Im Zuge der Neuregelung des lohnsteuerlichen Reisekosten-
rechts ist in § 9 Abs. 4 Satz 5 EStG n. F. ausdru¨cklich fest-
gelegt, dass der Arbeitnehmer je Dienstverha¨ltnis ho¨chstens eine
erste Ta¨tigkeitssta¨tte haben kann. Damit wird die gea¨nderte
Rspr. des BFH in diesem Punkt gesetzlich abgesichert und zu-
gleich klargestellt, dass ein Arbeitnehmer mit mehreren Dienst-
verha¨ltnissen durchaus auch mehrere erste Ta¨tigkeitssta¨tten ha-
ben kann
16
.
Erfu¨llen mehrere Ta¨tigkeitssta¨tten die Voraussetzungen fu¨r
die Annahme einer ersten Ta¨tigkeitssta¨tte, kann der Arbeitgeber
die erste Ta¨tigkeitssta¨tte festlegen (§ 9 Abs. 4 Satz 6 EStG
n. F.). Dabei muss es sich nicht um die Ta¨tigkeitssta¨tte handeln,
an der der Arbeitnehmer den zeitlich u¨berwiegenden Teil seiner
beruflichen Ta¨tigkeit verrichtet.
>
Beispiel 3:
Ein in Hamburg wohnender Filialleiter ist an drei Tagen in
der Woche in einer Filiale seines Arbeitgebers in Hamburg
und an zwei Tagen in der Woche in einer Filiale seines Ar-
beitgebers in Hannover ta¨tig. Der Arbeitgeber bestimmt die
Filiale in Hannover zur ersten Ta¨tigkeitssta¨tte.
Lo¨sung:
Durch die Festlegung seines Arbeitgebers hat der
Filialleiter in der betrieblichen Einrichtung seines Arbeit-
gebers in Hannover seine erste Ta¨tigkeitssta¨tte. Unerheblich
ist, dass er dort lediglich zwei Tage und damit nicht zeitlich
u¨berwiegend beruflich ta¨tig ist.
Macht der Arbeitgeber von seinem Bestimmungsrecht nach § 9
Abs. 4 Satz 6 EStG n. F. keinen Gebrauch oder ist die Bestim-
mung nicht eindeutig, ist die der Wohnung des Arbeitnehmers
o¨rtlich am na¨chsten liegende Ta¨tigkeitssta¨tte die erste Ta¨tig-
keitssta¨tte (§ 9 Abs. 4 Satz 7 EStG n. F.). Hierbei handelt es
sich um eine Regelung zugunsten des Arbeitnehmers, da die
Fahrten zu weiter entfernten Ta¨tigkeitssta¨tten als Auswa¨rtsta¨tig-
keit qualifiziert werden.
>
Abwandlung von Beispiel 3:
Der Arbeitgeber verzichtet auf die Bestimmung der ersten
Ta¨tigkeitssta¨tte.
Lo¨sung:
Erste Ta¨tigkeitssta¨tte des Filialleiters ist die seiner
Wohnung am na¨chsten liegende betriebliche Einrichtung sei-
nes Arbeitgebers in Hamburg. Die Ta¨tigkeit in Hannover ist
eine beruflich veranlasste Auswa¨rtsta¨tigkeit, fu¨r die ein steuer-
freier Reisekostenersatz in Betracht kommt.
Als erste Ta¨tigkeitssta¨tte qualifiziert § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG
n. F. auch eine Bildungseinrichtung, die außerhalb eines Ar-
beitsverha¨ltnisses zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer
vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird. Da der Stpfl.
selbst die Entscheidung fu¨r die jeweilige Bildungseinrichtung
trifft, hat er – ebenso wie ein Arbeitnehmer, der einer betriebli-
chen Einrichtung dauerhaft zugeordnet ist – die Mo¨glichkeit,
sich auf die entstehenden Wegekosten einzurichten und deren
Ho¨he (etwa durch eine entsprechende Wohnsitznahme, die
Nutzung o¨ffentlicher Verkehrsmittel oder die Bildung von Fahr-
gemeinschaften) zu beeinflussen. Aus diesem Grund ha¨lt der
Gesetzgeber die Gleichbehandlung einer vollzeitig besuchten
Bildungseinrichtung mit einer ersten Ta¨tigkeitssta¨tte sachlich
fu¨r gerechtfertigt
17
. Durch die Neuregelung ist die fu¨r die Be-
troffenen gu¨nstigere Rspr. des BFH, wonach es sich bei vollzei-
tig besuchten Bildungseinrichtungen nicht um regelma¨ßige Ar-
beitssta¨tten handelt
18
, ab 2014 gegenstandslos. Damit scheidet
ein Abzug vollzeitiger Bildungsaufwendungen in Form von
Fahrt-, Verpflegungs- und Unterkunftskosten nach Reisekosten-
grundsa¨tzen aus, wa¨hrend ein Teilzeitstudium bzw. eine sonstige
nicht vollzeitige Bildungsmaßnahme zum Abzug der genannten
Aufwendungen nach Reisekostengrundsa¨tzen berechtigen. Da
der Gesetzgeber offen gelassen hat, ab welchem zeitlichen Um-
fang eine vollzeitige Bildungsmaßnahme vorliegt, sind Finanz-
verwaltung und Rspr. aufgerufen, diese Lu¨cke zu schließen
19
.
Durch den Verweis in § 10 Abs. 1 Nr. 7 Satz 4 EStG n. F. auf
§ 9 Abs. 4 Satz 7 EStG n. F.
20
. wollte der Gesetzgeber eine
Gleichbehandlung von Werbungskosten- und Sonderausgaben-
abzug sicherstellen
21
.
2. Steuerliche Beru¨cksichtigung von Fahrtkosten
a) Fahrten zur ersten Ta¨tigkeitssta¨tte bzw. zum Sammelpunkt
Die Aufwendungen des Arbeitnehmers fu¨r die Wege von seiner
Wohnung zur ersten Ta¨tigkeitssta¨tte sind weiterhin mit der
Entfernungspauschale i. H. von 0,30 € je vollen Entfernungs-
kilometer als Werbungskosten anzusetzen (§ 9 Abs. 1 Satz 3
Nr. 4 EStG n. F.). Die Regelungen zur Ho¨he der Entfernungs-
pauschale sind unvera¨ndert beibehalten worden. Lediglich der
bisherige Begriff „regelma¨ßige Arbeitssta¨tte“ ist durch den neuen
Begriff „erste Ta¨tigkeitssta¨tte“ (s. o.) ersetzt worden.
Hat ein Arbeitnehmer keine erste Ta¨tigkeitssta¨tte i. S. des § 9
Abs. 4 EStG n. F., ist die Entfernungspauschale ab 2014 auch fu¨r
Fahrten des Arbeitnehmers von seiner Wohnung zu einem vom
Arbeitgeber dauerhaft festgelegten Ort anzusetzen, an dem sich
der Arbeitnehmer aufgrund der dienst- oder arbeitsrechtlichen
Festlegungen sowie den diesen ausfu¨llenden Absprachen und
Weisungen typischerweise arbeitsta¨glich zur Aufnahme seiner be-
ruflichen Ta¨tigkeit einzufinden hat (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3
EStGn. F.). In der Gesetzesbegru¨ndung werden z. B. Fahrten von
der Wohnung zu einemBusdepot oder Fa¨hrhafen genannt
22
. Ent-
sprechendes gilt jedoch auch fu¨r arbeitsta¨gliche Fahrten zu einem
Sammeltreffpunkt, fu¨r die Fahrten einer Stewardess zum Flugha-
fen sowie fu¨r die Fahrten von Bus- oder Lkw-Fahrern von der
Wohnung zu einem dauerhaft gleichbleibenden U¨ bernahmeort
ihrer Fahrzeuge. Diese Gleichbehandlung mit „Arbeitnehmern
mit erster Ta¨tigkeitssta¨tte“ gilt allerdings nur bezu¨glich der Fahrt-
kosten. Hinsichtlich des Ansatzes der Pauschbetra¨ge fu¨r Verpfle-
gungsmehraufwendungen und der Beru¨cksichtigung von Unter-
kunftskosten liegt bei diesen Arbeitnehmern weiterhin eine beruf-
lich veranlasste Auswa¨rtsta¨tigkeit vor.
b) Fahrtkosten bei beruflich veranlasster Auswa¨rtsta¨tigkeit
Bei beruflich veranlassten Fahrten im Rahmen einer Auswa¨rts-
ta¨tigkeit ko¨nnen die Fahrtkosten grds. wie bisher – nunmehr je-
doch erstmals aufgrund der speziellen Vorschrift des § 9 Abs. 1
Satz 3 Nr. 4a Satz 1 EStG n. F. – i. H. der tatsa¨chlich entstan-
denen Aufwendungen als Werbungskosten beru¨cksichtigt wer-
den. Entsprechendes gilt fu¨r einen steuerfreien Reisekostenersatz
der Fahrtkosten durch den Arbeitgeber nach § 3 Nr. 13
bzw. § 3 Nr. 16 EStG.
16 Diese Frage war in den aktuellen BFH-Urteilen vom 9. 6. 2011 – VI R 36/10,
a.a.O. (Fn. 10) und VI R 55/10, a.a.O. (Fn. 6), offen geblieben.
17 So die amtliche Gesetzesbegru¨ndung in BT-Drucks. 17/10774, DB0492522,
S. 15.
18 BFH-Urteil vom 9. 2. 2012 – VI R 42/11, DB 2012 S. 722 und VI R 44/10, DB
2012 S. 721.
19 M. E. bietet sich an, auf die Grundsa¨tze zur Abgrenzung zwischen Haupt-
und Nebenberuflichkeit in R 3.26 Abs. 2 LStR abzustellen.
20 Bei dem Verweis in § 10 Abs. 1 Nr. 7 Satz 4 EStG n. F. auf § 9 Abs. 4 Satz 7
EStG n. F statt auf § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG n. F liegt offenbar ein redaktionel-
les Versehen vor.
21 So die amtliche Gesetzesbegru¨ndung in BT-Drucks. 17/10774, DB0492522,
S. 17.
22 BT-Drucks. 17/10774, DB0492522, S. 13.
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Steuerrecht
DER BETRIEB | Nr. 19 | 10. 5. 2013