RA Frank Grell / RA Dr. Ulrich Klockenbrink, beide Hamburg
Verbesserung der Gla¨ubigermitbestimmung in
Insolvenzverfahren
– Chancen und Risiken eines Engagements im vorla¨ufigen Gla¨ubigerausschuss –
u
DB0590396
I. Einleitung
Nach etwas mehr als einem Jahr seit Inkrafttreten des Gesetzes
zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen
(ESUG) ist klar: Die Insolvenzrechtsreform war ein Schritt in
die richtige Richtung. Restrukturierer ko¨nnen unter dem neuen
Insolvenzrechtsregime erste Erfolge vorweisen, die noch 2011
so nicht denkbar gewesen wa¨ren. Um nur zwei Beispiele zu
nennen: Bei Centrotherm haben Gla¨ubiger und Aktiona¨re am
29. 1. 2013, also nur knapp sieben Monate nach Einleitung des
durch das ESUG neu eingefu¨hrten Schutzschirmverfahrens,
den Insolvenzplan verabschiedet und dadurch den Weg fu¨r eine
Restrukturierung freigemacht. Die Gla¨ubiger haben sich dabei
auf einen ebenfalls durch das ESUG neu eingefu¨hrten Debt-
Equity-Swap, verbunden mit einer Treuha¨nderstruktur, einge-
lassen. Nun soll das Insolvenzverfahren in Ku¨rze aufgehoben
werden.
Auch die Neumayer Tekfor Gruppe ist ihrem Sanierungsziel
– dem Erhalt der Gruppe sowie der einzelnen Standorte bei
mo¨glichst hoher Befriedigung der Gla¨ubigerforderungen – in-
nerhalb von nur fu¨nf Monaten nach Insolvenzantragstellung
durch den Verkauf an Amtek Auto am 11. 3. 2013 sehr nahe ge-
kommen. In den Gla¨ubigerversammlungen der insolventen
Gruppengesellschaften am 28. 2. 2013 fand das von der eigen-
verwaltenden Gescha¨ftsleitung und dem Sachwalter vorgestellte
Sanierungskonzept, das in Grundzu¨gen bereits wa¨hrend des
Schutzschirmverfahrens entwickelt worden war, die breite Zu-
stimmung der Gla¨ubiger. Dies wa¨re kaum mo¨glich gewesen, wa¨-
re das Sanierungskonzept nicht in enger Abstimmung mit Gla¨u-
bigervertretern erstellt worden.
Fu¨r eine fru¨hzeitige und enge Abstimmung mit den Gla¨ubi-
gern hat das ESUG nicht nur ein wichtiges juristisches Instru-
mentarium, den vorla¨ufigen Gla¨ubigerausschuss, bereitgestellt.
Die Insolvenzrechtsreform hat insgesamt zu einem Bewusst-
seinswandel hin zur sta¨rkeren Beru¨cksichtigung berechtigter
Gla¨ubigerinteressen in der Insolvenzrechtspraxis gefu¨hrt. Gla¨u-
bigern stehen nun aber nicht nur mehr Rechte insbesondere im
vorla¨ufigen Insolvenzverfahren zu. Mit den neuen Rechten ge-
hen auch neue Pflichten einher, die bei Nichtbeachtung zu einer
Haftung fu¨hren ko¨nnen. Die Haftungsrisiken treffen dabei wie
so oft die engagierten Beteiligten und nicht die Gla¨ubiger, die in
einer rein passiven Rolle verharren. Zur Einscha¨tzung und Ver-
meidung der Haftungsrisiken fu¨r Gla¨ubiger ist entscheidend, die
konkreten Pflichten zu kennen und sich entsprechend zu verhal-
ten. Wird dies beru¨cksichtigt, ko¨nnen Gla¨ubiger durch ihre akti-
ve Beteiligung im vorla¨ufigen Gla¨ubigerausschuss erheblich zum
Sanierungserfolg beitragen.
II. Der vorla¨ufige Gla¨ubigerausschuss
Die Einsetzung eines vorla¨ufigen Gla¨ubigerausschusses, d. h.
eines Gla¨ubigerausschusses, der bereits unmittelbar nach Insol-
venzero¨ffnungsantrag oder Antrag auf Einleitung eines Schutz-
schirmverfahrens nach §§ 270a und b InsO wa¨hrend des
Ero¨ffnungsverfahrens aktiv wird, ist seit der Insolvenzrechts-
reform in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO neben weiteren
mo¨glichen „vorla¨ufigen Maßnahmen“ wie der Bestellung eines
vorla¨ufigen Insolvenzverwalters, der Verha¨ngung eines all-
gemeinen Verfu¨gungsverbots fu¨r den Schuldner und der Un-
tersagung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen durch Gla¨u-
biger vorgesehen. § 22a InsO beschreibt die Voraussetzungen,
unter denen ein vorla¨ufiger Gla¨ubigerausschuss eingesetzt wer-
den muss oder kann. Danach hat das Insolvenzgericht einen
vorla¨ufigen Gla¨ubigerausschuss bei kumulativer Erfu¨llung
zweier der drei folgenden Gro¨ßenkriterien einzusetzen: die
Schuldnergesellschaft hat (i) eine Bilanzsumme von mindes-
tens 4,84 Mio. €, (ii) Umsatzerlo¨se in den zwo¨lf Monaten vor
dem letzten Abschlussstichtag von mindestens 9,68 Mio. €
und/oder (iii) im Jahresdurchschnitt mindestens 50 Arbeitneh-
mer („Pflichtausschuss“).
Auf Antrag soll das Insolvenzgericht einen vorla¨ufigen Gla¨u-
bigerausschuss auch bei Nichterfu¨llung der vorgenannten Krite-
rien einsetzen, wenn Personen benannt werden, die als Mitglie-
der des vorla¨ufigen Gla¨ubigerausschusses in Betracht kommen
und dem Antrag eine Einversta¨ndniserkla¨rung der benannten
Personen beigefu¨gt ist („Antragsausschuss“). Ein entsprechen-
des Antragsrecht haben neben dem Schuldner und einem be-
reits eingesetzten vorla¨ufigen Insolvenzverwalter auch Gla¨ubi-
ger. Nicht erforderlich ist, dass es sich bei dem den Antrag stel-
lenden Gla¨ubiger um einen Hauptgla¨ubiger handelt. Vielmehr
kann selbst jeder Kleingla¨ubiger einen Antrag auf Einsetzung
eines fakultativen vorla¨ufigen Gla¨ubigerausschusses stellen. Das
Insolvenzgericht hat dem Antrag zu entsprechen, sofern keine
nachpru¨fbaren, plausiblen und belastbaren Gru¨nde eine Abwei-
chung von der Soll-Regelung des § 22a Abs. 2 InsO rechtfer-
tigen
1
.
Schließlich kann ein Insolvenzgericht auch bei Nichterfu¨llung
der Gro¨ßenkriterien des § 22a Abs. 1 InsO und ohne Einset-
zungsantrag nach § 22a Abs. 2 InsO amtsseitig einen vorla¨ufi-
gen Gla¨ubigerausschuss gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a InsO
einsetzen („Amtsausschuss“)
2
. Gem. § 22a Abs. 3 InsO ist von
der Einsetzung eines vorla¨ufigen Gla¨ubigerausschusses jedoch
dann abzusehen, wenn der Gescha¨ftsbetrieb des Schuldners ein-
gestellt ist, die Einsetzung des vorla¨ufigen Gla¨ubigerausschusses
im Hinblick auf die zu erwartende Insolvenzmasse unverha¨ltnis-
ma¨ßig ist oder die mit der Einsetzung verbundene Verzo¨gerung
Frank Grell
, LL.M. (San Diego) ist Partner im Hamburger Bu¨ro von
Latham & Watkins und Leiter der deutschen Praxisgruppe Restruktu-
rierung und Insolvenz.
Dr. Ulrich Klockenbrink
, LL.M. (Virginia),
Executive MBA ist Rechtsanwalt und Mitglied dieser Praxisgruppe am
Hamburger Standort von Latham & Watkins.
1
Mo¨nning
, in: Nerlich/Ro¨mermann, InsO, 24. Erg.-Lfg. 2012, § 22a Rdn. 24;
Bo¨hm
, in: Braun, Insolvenzordnung, 2012, § 22a Rdn. 8.
2
Frind
, ZIP 2012 S. 1380.
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Wirtschaftsrecht
DER BETRIEB | Nr. 19 | 10. 5. 2013
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