bei Anspru¨chen nach § 71 i. V. mit § 21 Abs. 2 Satz 1
Nr. 1a InsO vertrauen.
2. Anwendung der Business Judgement Rule
a) Gesetzliche Verankerung der Business Judgement Rule
Zur sachgerechten Ausgestaltung der Haftungsvoraussetzungen
fu¨r Gla¨ubigerausschussmitglieder wird zunehmend die analoge
Anwendung der Business Judgement Rule vorgeschlagen
35
. Der
deutsche Gesetzgeber hat die Business Judgement Rule in § 93
Abs. 1 Satz 2 AktG fu¨r Vorsta¨nde von AGs bereits gesetzlich
verankert. Auf den Aufsichtsrat als das den Vorstand kontrollie-
rende Organ findet § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG u¨ber den Verweis
in § 116 Satz 1 AktG Anwendung. Gema¨ß der Business Judge-
ment Rule liegt eine Pflichtverletzung dann nicht vor, wenn der
Normadressat bei einer unternehmerischen Ermessenentschei-
dung vernu¨nftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage an-
gemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu han-
deln (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG).
b) Analoge Anwendung auf Mitglieder des Gla¨ubigerausschusses
Eine analoge Anwendung dieser Regelung auf den Gla¨ubiger-
ausschuss liegt wegen der strukturellen Vergleichbarkeit der
Aufsichtsrats- und Gla¨ubigerausschussta¨tigkeit nahe
36
. Zentrale
Aufgabe des Aufsichtsrats sowie des Gla¨ubigerausschusses ist
die Kontrolle der Rechtma¨ßigkeit, Zweckma¨ßigkeit und Wirt-
schaftlichkeit der unternehmerischen Gescha¨ftsta¨tigkeit (auch
in der Liquidation) sowie der Verwaltung von (Masse-)Gel-
dern. Dabei sind von den Gla¨ubigerausschussmitgliedern wie
auch von den Aufsichtsratsmitgliedern gleichermaßen unter-
nehmerische Ermessensentscheidungen zu treffen. Ferner neh-
men Aufsichtsrat und Gla¨ubigerausschuss ihre Kontroll- und
Unterstu¨tzungsaufgaben fremdnu¨tzig im Interesse der Gesell-
schafter- bzw. Gla¨ubigergesamtheit wahr. Entsprechend der
Rangfolge der Forderungen von Gesellschaftern und Gla¨ubi-
gern geht die Hoheit der stellvertretenden Kontrolle ab Insol-
venzantragstellung vom Aufsichtsrat auf den zuna¨chst vorla¨ufi-
gen Gla¨ubigerausschuss und dann auf den Gla¨ubigerausschuss
im ero¨ffneten Verfahren u¨ber. Wa¨hrend Gla¨ubiger vor der In-
solvenz des Schuldners grundsa¨tzlich mit einer vollsta¨ndigen
Befriedigung ihrer Forderungen rechnen du¨rfen, haben Gesell-
schafter außerinsolvenzlich ein besonderes Kontrollbedu¨rfnis,
da sie den Eigenkapitalpuffer des Schuldners stellen. Auch au-
ßerhalb der Insolvenz ist also nicht sicher, dass sie ihr Invest-
ment vollsta¨ndig zuru¨ckerhalten. Dem daraus resultierenden
Kontrollbedu¨rfnis wird durch die Aufsichtsratsta¨tigkeit Rech-
nung getragen. Im Zeitpunkt der Insolvenz, in dem der Eigen-
kapitalpuffer in aller Regel aufgezehrt ist und die Gla¨ubiger nur
noch anteilig befriedigt werden ko¨nnen, geht das Kontroll-
bedu¨rfnis von den Gesellschaftern, die bereits alles verloren ha-
ben, auf die Gla¨ubiger u¨ber
37
. Besonders deutlich wird das etwa
an dem neu eingefu¨hrten § 276a Satz 1 InsO, der den Auf-
sichtsrat auch in der Eigenverwaltung entmachtet. Das Kon-
trollbedu¨rfnis der Gla¨ubiger soll in der Insolvenz des Schuld-
ners sodann durch die Ta¨tigkeit des Gla¨ubigerausschusses be-
friedigt werden.
Des Weiteren haben sowohl Aufsichtsrat als auch Gla¨ubiger-
ausschuss eine gewisse Koordinations-, Professionalisierungs-
und Kanalisationsfunktion. Anders als bei einer GmbH, die
nach dem Leitbild des Gesetzgebers von einer u¨berschaubaren
Anzahl an Gesellschaftern gehalten wird, ist die AG als Publi-
kumsgesellschaft ausgestaltet. Dadurch wird eine stellvertretende
Wahrnehmung von Kontrollinteressen fu¨r die Gruppe der Ak-
tiona¨re erforderlich, um die Handlungsfa¨higkeit der Gesellschaft
zu gewa¨hrleisten. Auch § 22a Abs. 1 InsO, der gewisse Gro¨ßen-
erfordernisse an das schuldnerische Unternehmen stellt, geht fu¨r
den Fall der verpflichtenden Einsetzung eines vorla¨ufigen Gla¨u-
bigerausschusses von einer Vielzahl von Gla¨ubigern aus. Daher
besteht hier das Bedu¨rfnis nach einer stellvertretenden Kontrolle,
die so in einer Gla¨ubigerversammlung – zumal im vorla¨ufigen
Verfahren – aus zeitlichen und organisatorischen Gru¨nden nicht
stattfinden ko¨nnte. Sowohl im Aufsichtsrat als auch im Gla¨ubi-
gerausschuss ko¨nnen Gesellschafter bzw. Gla¨ubiger eine gewis-
senhafte und fachkundige Interessenvertretung erwarten. Sofern
diese nicht gewa¨hrleistet und den Gesellschaftern bzw. Gla¨ubi-
gern daraus ein Schaden entstanden ist, ist eine Haftung von
Aufsichtsratsmitgliedern bzw. Gla¨ubigerausschussmitgliedern
gerechtfertigt. Nicht einzusehen ist jedoch, warum Gla¨ubiger-
ausschussmitglieder einer strengeren Haftung unterliegen sollen
als Aufsichtsratsmitglieder. Somit sollten auch Gla¨ubigeraus-
schussmitglieder bei unternehmerischen Ermessenentscheidun-
gen nicht haften, wenn sie vernu¨nftigerweise annehmen durften,
auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der
Gla¨ubiger zu handeln.
Auch der Wille des Gesetzgebers spricht nicht gegen eine
Anwendung der Business Judgement Rule auf Gla¨ubigeraus-
schussta¨tigkeit. Ganz im Gegenteil: der Gesetzgeber erkennt das
Prinzip der eingeschra¨nkten U¨ berpru¨fbarkeit von unternehmeri-
schen Ermessensentscheidungen grundsa¨tzlich an. So heißt es
etwa in der Begru¨ndung zur Normierung der Business Judgment
Rule in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, dass ein unternehmerisches
Ermessen auch ohne gesetzliche Regelung „in allen Formen un-
ternehmerischer Beta¨tigung“ anzuerkennen sei
38
.
Schließlich spricht auch ein ganz praktisches Argument fu¨r
die Anwendbarkeit der Business Judgement Rule: Zur Business
Judgement Rule gibt es bereits eine vergleichsweise umfangrei-
che Rechtsprechung und Literatur, an der sich Gla¨ubigeraus-
schussmitglieder orientieren ko¨nnen. Die Anwendung der Busi-
ness Judgement Rule wu¨rde fu¨r die sich in Gla¨ubigerausschu¨ssen
fu¨r die Gla¨ubigergesamtheit engagierenden Personen somit ein
gewisses Maß an Rechtssicherheit schaffen und – ganz im Inte-
resse der Gla¨ubiger – dazu fu¨hren, dass die Versicherungspra¨-
mien fu¨r eine Gla¨ubigerausschussta¨tigkeit sinken (vgl. zu Letzte-
rem noch VI. 6.) unten).
3. Delegation von Aufgaben
a) Delegation der Kassenpru¨fung auf Dritte
Nicht zwingend erforderlich ist, dass Mitglieder in vorla¨ufigen
Gla¨ubigerausschu¨ssen sa¨mtliche Aufgaben perso¨nlich wahrneh-
men. Die Delegation von Aufgaben kann entweder auf andere
35
Ganter
, in: FS Gero Fischer, 2008, S. 121 (insb. S. 122);
Kebekus/Zenker
, in:
FS Georg Maier-Reimer, 2010, S. 319 (332);
Berger/Frege/Nicht
, NZI 2010
S. 321;
Cranshaw
, ZInsO 2012 S. 1151 (1154 f.).
36 Vgl. BGH vom 11. 11. 1993 – IX ZR 35/93, BGHZ 124 S. 86; LG Schwerin, Ur-
teil vom 10. 2. 2006 – 1 O 120/04, ZIP 2006 S. 720; noch zur GesO OLG Ros-
tock, ZInsO 2004 S. 814;
Frind
, ZIP 2012 S. 1380 (1381);
Heeseler/Neu
, NZI
2012 S. 440;
Cranshaw
, ZInsO 2012 S. 1151 (1152).
37 Die von
Klo¨hn
gea¨ußerten Bedenken gegen eine Anwendbarkeit der Busi-
ness Judgment Rule auf Gla¨ubigerausschu¨sse, weil die vom Aufsichtsrat ver-
tretenen Gesellschafter an einem „
return on investment
“ interessiert seien,
wa¨hrend fu¨r Gla¨ubiger nur der „
return of investment
“ entscheidend sei
(
Klo¨hn
, ZGR 2008 S. 110;
ders.
, in: Bork/Scha¨fer, GmbHG, 2010, § 43
Rdn. 28 f.), u¨berzeugt als Argument gegen die Anwendbarkeit der Business
Judgment Rule auf Gla¨ubigerausschu¨sse nicht.
38 RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092 S. 11 f.; ausfu¨hrlich hierzu
Kebekus/Zenker
,
a.a.O. (Fn. 35), S. 319 (323).
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Wirtschaftsrecht
DER BETRIEB | Nr. 19 | 10. 5. 2013
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