Entscheidungen
Insolvenzrecht
Insolvenzanfechtung einer Zahlung, die durch
Drohung mit Insolvenzantrag in einem Mahn-
schreiben erlangt wurde
InsO § 131 Abs. 1
a) Eine die Inkongruenz begru¨ndende Drohung mit einem
Insolvenzantrag kann auch dann vorliegen, wenn die Mo¨g-
lichkeit eines solchen Vorgehens im Mahnschreiben nur
„zwischen den Zeilen“ deutlich gemacht, aber dem Schuld-
ner das damit verbundene Risiko klar vor Augen gefu¨hrt
wird.
b) Der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen der
Androhung des Insolvenzantrags und der angefochtenen De-
ckungshandlung ist gegeben, wenn zum Zeitpunkt der Zah-
lung aus objektivierter Sicht die Wirkungen der Drohung
noch angedauert haben.
BGH-Urteil vom 7. 3. 2013 – IX ZR 216/12
u
DB0589309
Der Kla¨ger begehrt als Verwalter in dem Insolvenzverfahren u¨ber das
Vermo¨gen der W. AG (nachfolgend: Schuldnerin) im Wege der Insol-
venzanfechtung Ru¨ckgewa¨hr von Zahlungen, welche die Schuldnerin
zur Erfu¨llung ihrer Verbindlichkeiten an den Beklagten geleistet hat.
Die Schuldnerin gab seit 1999 Inhaberschuldverschreibungen aus, wo-
von der Beklagte zwei erwarb. Nachdem die Schuldnerin ihrer Ru¨ck-
zahlungsverpflichtung gegenu¨ber dem Beklagten nicht nachgekommen
war, mahnte dieser die Schuldnerin am 12. 2. und 5. 3. 2006 erfolglos.
Am 4. 4. 2006 mahnte der vom Beklagten beauftragte Rechtsanwalt die
Schuldnerin. In der Mahnung wird eine Zahlungsfrist bis 11. 4. 2006
gesetzt. Anschließend heißt es:
„Sollten Sie diese Frist verstreichen lassen, bin ich beauftragt, alle er-
forderlichen Maßnahmen einzuleiten, um die Forderung meines
Mandanten durchzusetzen, d. h., wir werden ohne weitere Mahnung
Klage erheben. Mein Mandant kann sich nicht des Eindrucks er-
wehren, dass . . . (die Schuldnerin) nicht in der Lage ist, ihren Zah-
lungsverpflichtungen nachzukommen (wofu¨r in der Tat einiges
spricht). Sollte sich dieser Verdacht erha¨rten und wir keinen Zah-
lungseingang innerhalb der vorgegebenen Frist verzeichnen ko¨nnen,
so behalten wir uns ausdru¨cklich vor, Insolvenzantrag zu stellen.“
Die Schuldnerin u¨berwies am 12. 4. 2006 den eingeforderten Betrag
einschließlich Zinsen und Anwaltskosten, insgesamt 11.313,77 €.
Auf Eigenantrag der Schuldnerin vom 19. 6. 2006 wurde am 1. 9. 2006
das Insolvenzverfahren u¨ber ihr Vermo¨gen ero¨ffnet. Der Kla¨ger hat be-
hauptet, die Schuldnerin sei seit 11. 1. 2006 zahlungsunfa¨hig gewesen.
Die Zahlung sei inkongruent, weil der Vertreter des Beklagten die
Schuldnerin mit der Drohung, Insolvenzantrag zu stellen, unter Druck
gesetzt habe. Dem anwaltlichen Vertreter des Beklagten sei die Zah-
lungsunfa¨higkeit der Schuldnerin aus einer Vielzahl von Mandaten be-
kannt gewesen.
Das LG Neuruppin hatte die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des
Kla¨gers hatte das OLG Brandenburg der Klage stattgegeben. Die zula¨s-
sige Revision des Beklagten blieb erfolglos.
AUS DEN GRU¨ NDEN
1 . . . 9
I
I.
. . .
II.
Die Ausfu¨hrungen des Berufungsgerichts hal-
ten rechtlicher Pru¨fung stand. Die Zahlung, die der Beklagte
von der Schuldnerin erhalten hat, ist nach § 131 Abs. 1 Nr. 2
InsO anfechtbar.
Inkongruente Leistung bei Drohung mit einem Insolvenzantrag
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1.
Die Annahme des Berufungsgerichts, es liege eine Dro-
hung mit einem Insolvenzantrag vor, ist nicht zu beanstanden.
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Wer den Insolvenzantrag zur Durchsetzung von Anspru¨chen
eines einzelnen Gla¨ubigers missbraucht, erha¨lt eine Leistung,
die ihm nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung auf
diesem Weg nicht zusteht. Die Leistung ist inkongruent, auch
außerhalb des Dreimonatszeitraums der Deckungsanfechtung
1
.
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Entsprechendes gilt, wenn ein Insolvenzantrag nicht gestellt,
sondern nur angedroht ist
2
. Eine die Inkongruenz begru¨ndende
Drucksituation ist dann anzunehmen, wenn sich die mit der
Mahnung verbundenen Hinweise auf ein mo¨gliches Insolvenz-
verfahren nicht in Unverbindlichkeiten erscho¨pfen, sondern ge-
zielt als Mittel der perso¨nlichen Anspruchsdurchsetzung ver-
wendet werden
3
. Wo genau bei der mit einem angeku¨ndigten
Insolvenzantrag zusammenha¨ngenden Zahlungsaufforderung
die Grenze zwischen einer unbedenklichen Mahnung und einer
die Inkongruenz begru¨ndenden Drohung verla¨uft, hat der Senat
bislang allerdings offengelassen
4
.
13
I
Diese Grenze ist hier u¨berschritten. Eine zur Abwendung
der Einzelzwangsvollstreckung erbrachte Leistung ist nach der
Rechtsprechung des Senats inkongruent, wenn der Schuldner
zur Zeit der Leistung aus seiner – objektivierten – Sicht damit
rechnen muss, dass ohne sie der Gla¨ubiger nach dem Ablauf der
Zahlungsfrist mit der ohne Weiteres zula¨ssigen Zwangsvollstre-
ckung beginnt
5
. Fu¨r die Frage, ob eine die Inkongruenz begru¨n-
dende Drohung mit einem Insolvenzantrag vorliegt, ist es ausrei-
chend, wenn der Schuldner zur Zeit der Leistung aus seiner –
ebenfalls objektivierten – Sicht ernsthaft damit rechnen muss,
der Gla¨ubiger werde nach Ablauf der gesetzten Zahlungsfrist
Insolvenzantrag stellen. Hierfu¨r genu¨gt eine Formulierung, die
dies zwar nicht ausdru¨cklich androht, ein derart geplantes Vor-
gehen aber „zwischen den Zeilen“ deutlich werden la¨sst
6
.
Hinweis auf die Mo¨glichkeit eines Insolvenzantrags in der Mah-
nung ist ausreichend
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I
Der Revision ist zuzugeben, dass die zahlungsauslo¨sende
Mahnung des Anwalts des Beklagten fu¨r den Fall der Nichtzah-
lung in erster Linie Klageerhebung androhte, was unbedenklich
ist. Nachfolgend wird jedoch dargestellt, dass der Mandant den
Eindruck habe, die Schuldnerin sei zahlungsunfa¨hig. Nach Auf-
fassung des Beklagtenvertreters spreche hierfu¨r einiges. Zah-
lungsunfa¨higkeit ist, was bekannt ist, allgemeiner Ero¨ffnungs-
grund fu¨r ein Insolvenzverfahren (vgl. § 17 Abs. 1 InsO). Ein
Insolvenzantrag wird fu¨r den Fall „vorbehalten“, dass sich der
Verdacht erha¨rten sollte und kein Zahlungseingang festzustellen
sei. Dem Wortlaut nach wird damit zwar noch kein Insolvenz-
antrag angeku¨ndigt. Zudem mu¨sste sich der Verdacht der Zah-
lungsunfa¨higkeit erha¨rten, wobei unklar bleibt, ob hierfu¨r aus
Gla¨ubigersicht die Nichtzahlung ausreicht. Fu¨r den Schuldner
wird durch eine solche Formulierung allerdings klar erkennbar
1 BGH-Urteil vom 18. 12. 2003 – IX ZR 199/02, BGHZ 157 S. 242 (246 f.) = DB
2004 S. 810; vom 18. 6. 2009 – IX ZR 7/07, DB0330459 = ZIP 2009 S. 1434,
Rdn. 5; vom 25. 10. 2012 – IX ZR 117/11, DB 2012 S. 2687 = WM 2012
S. 2251, Rdn. 10.
2 BGH-Urteil vom 29. 4. 1999 – IX ZR 163/98, DB 1999 S. 1492 = ZIP 1999
S. 973 (974); vom 18. 12. 2003, a.a.O. (Fn. 1), BGHZ 157 S. 242 (247).
3 BGH vom 18. 12. 2003, a.a.O. (Fn. 1), BGHZ 157 S. 242 (247 f.); vom 18. 6.
2009, a.a.O. (Fn. 1), Rdn. 5.
4 BGH vom 18. 12. 2003, a.a.O. (Fn. 1), BGHZ 157 S. 242 (248).
5 BGH-Urteil vom 15. 5. 2003 – IX ZR 194/02, DB 2003 S. 1901 = ZIP 2003
S. 1304 (1305); vom 18. 12. 2003, a.a.O. (Fn. 1), BGHZ 157 S. 242 (248).
6 Vgl. BGH-Beschluss vom 6. 11. 2008 – 4 StR 495/08, NStZ 2009 S. 263.
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Wirtschaftsrecht
DER BETRIEB | Nr. 19 | 10. 5. 2013
1...,44,45,46,47,48,49,50,51,52,53 55,56,57,58,59,60,61,62,63,64,...84