Mark Walddo¨rfer / RA Bernd Wilhelm, LLM, Du¨sseldorf
Anhebung der Regelaltersgrenze und betrieb-
liche Versorgungszusagen im Scheidungsfall
u
DB0590610
I. Einleitung
Nach der Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 15. 5. 2012
1
)
ist eine vor der Einfu¨hrung der Anhebung der Regelaltersgrenze
in der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 2008 geschaffene
Versorgungsordnung dahin gehend auszulegen, dass eine Alters-
grenze, die auf die Vollendung des 65. Lebensjahres abstellt, im
Regelfall dynamisch auszulegen ist. Damit ist nunmehr die indi-
viduelle Regelaltersgrenze des betroffenen Mitarbeiters in der
gesetzlichen Rentenversicherung maßgeblich. Das Urteil hat
zahlreiche Auswirkungen auf die betriebliche Altersversorgung.
Der nachfolgende Beitrag befasst sich ausschließlich mit den
Auswirkungen beim Versorgungsausgleich im Scheidungsfall.
II. Kernaussage des BAG-Urteils vom 15. 5. 2012
In seinem Urteil vom 15. 5. 2012 – 3 AZR 11/10
1
hat das BAG
gepru¨ft, wie eine feste Altersgrenze von 65 Jahren in einer Ver-
sorgungsordnung auszulegen ist, die vor dem 1. 1. 2008 erteilt
wurde. Bekanntermaßen ist zum 1. 1. 2008 das RV-Altersgren-
zenanpassungsgesetz (RVAGAnpG) in Kraft getreten. Dieses
hebt die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung schrittweise von der Vollendung des 65. auf die Vollendung
des 67. Lebensjahres an. Gegenstand des Urteils ist die Frage,
ob bei einer Versorgungsordnung im Hinblick auf die Alters-
grenze auf den ausdru¨cklichen Wortlaut und damit auf die Voll-
endung des 65. Lebensjahres abzustellen ist oder die Regelalters-
grenze in der gesetzlichen Rentenversicherung gemeint ist.
U¨ berraschenderweise hat sich das BAG nicht der bisher in der
Literatur u¨berwiegend vertretenen Meinung angeschlossen
2
. Die-
se hatte vertreten, dass die Anhebung der Regelaltersgrenze in der
gesetzlichen Rentenversicherung gerade nicht automatisch dazu
fu¨hrt, dass auch in betrieblichen Versorgungsordnungen die Al-
tersgrenze von 65 Jahren als dynamischer Verweis auf die Regel-
altersgrenze zu verstehen ist. Das aktuelle Urteil gibt jedoch der
bisherigen Mindermeinung im Schrifttum den Vorzug, sodass
die Auslegung der Versorgungszusage i. d. R. zu einem „Mitwan-
dern“ der Altersgrenze fu¨hrt
3
. Die Benennung des 65. Lebensjah-
res stellt nach Auffassung des BAG eine dynamische Verweisung
auf die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung
dar. Das Urteil bezieht sich zuna¨chst auf die Ermittlung von un-
verfallbaren Anwartschaften beim vorzeitigen Ausscheiden.
III. Auswirkungen auf die betriebliche Altersversor-
gung im Versorgungsausgleich
1. Ermittlung unverfallbarer Anwartschaften
Das BAG-Urteil betrifft zuna¨chst unmittelbar nur die Ermittlung
der Ho¨he von sog. unverfallbaren Anwartschaften nach § 1b
Abs. 1 BetrAVG. Da dies aber auch Auswirkungen auf die Er-
mittlung des sog. Ehezeitanteils und des Ausgleichswerts beim
Versorgungsausgleich hat, soll hier zuna¨chst die Auswirkung auf
die Ho¨he der unverfallbaren Anwartschaft dargestellt werden.
Eine unverfallbare Anwartschaft liegt dann vor, wenn ein Ar-
beitnehmer, dem eine betriebliche Altersversorgung zugesagt
wurde, nach Eintritt der Unverfallbarkeitsvoraussetzungen aus
dem Unternehmen ausscheidet
4
.
Grundsa¨tzlich findet in der betrieblichen Altersversorgung da-
bei das zeitratierliche Verfahren Anwendung
5
. Das bedeutet, dass
die im Versorgungsfall zur Altersgrenze erreichbare Anwartschaft
in demVerha¨ltnis aufrechterhalten wird, welches der tatsa¨chlichen
Betriebszugeho¨rigkeit zur mo¨glichen Betriebszugeho¨rigkeit bis
zum Versorgungsbeginn entspricht
6
. Die Anwendung des Urteils
fu¨hrt dazu, dass sich die maximal mo¨gliche Betriebszugeho¨rigkeit
erho¨ht. Somit verkleinert sich der Faktor mit dem der erreichbare
Anspruch multipliziert wird und es kommt zuna¨chst zu einer Ver-
ringerung der unverfallbaren Anwartschaft. Nicht u¨bersehen wer-
den sollte allerdings, dass je nach Gestaltung der Zusage die Ver-
la¨ngerung der Dienstzeit wiederum zu einer Erho¨hung des er-
reichbaren Versorgungsanspruchs fu¨hren kann.
Neben dem zeitratierlichen Verfahren ko¨nnen auch Spezial-
regelungen fu¨r einzelne Durchfu¨hrungswege oder Zusagearten
zur Anwendung kommen
7
. In diesen Fa¨llen fu¨hrt das Urteil zu-
na¨chst nur dazu, dass die unverfallbare Anwartschaft zu einem
spa¨teren Zeitpunkt fa¨llig wird, sofern in diesen Fa¨llen der An-
wendungsbereich ero¨ffnet ist.
2. Ehezeitanteil bzw. Ausgleichswert
Zentraler Gedanke der im Jahr 2009 in Kraft getretenen Reform
des Versorgungsausgleichs ist der Ausgleich durch eine Auftei-
lung eines jeden Versorgungsrechts als Anwartschaft im Zeit-
punkt der Scheidung beim jeweiligen Versorgungstra¨ger
8
.
Grundsa¨tzlich werden somit sa¨mtliche vom ausgleichspflichtigen
Ehegatten wa¨hrend der Ehezeit erworbenen Rechte system-
intern nach § 11 VersAusglG geteilt (interne Teilung), so dass
der ausgleichsberechtigte Ehegatte ein eigenes Anrecht erha¨lt.
Im Fall der internen Teilung einer betrieblichen Altersversor-
gung erha¨lt der ausgleichsberechtigte Ehegatte nach § 12
VersAusglG somit den Status eines mit einer gesetzlich unver-
fallbaren Anwartschaft ausgeschiedenen Arbeitnehmers.
Mark Walddo¨rfer
, Aktuar DAV /Sachversta¨ndiger IVS, ist Gescha¨fts-
fu¨hrer der Longial GmbH, Du¨sseldorf. RA
Bernd Wilhelm
, ist Leiter
des Fachbereichs Recht, Steuern, Versorgungstra¨germanagement der
Longial GmbH, Du¨sseldorf.
1 BAG vom 15. 5. 2012 – 3 AZR 11/10, DB 2012 S. 1756.
2
Cisch/Kruip
, BB 2007 S. 1162 (1163);
Reichenbach/Gru¨neklee
, DB 2007
S. 2234 (2235); ErfK/
Steinmeyer
, 12. Aufl., § 2 BetrAVG, Rdn. 5,
Rolfs
, NZA
2011 S. 540 (541)
3
Ho¨fer
, BetrAVG, Bd. I., Rdn. 3119.5,
Ho¨fer/Witt/Kuchem
, BB 2007 S. 1445
(1450)
4 Im Fall einer arbeitgeberfinanzierten bAV muss der Arbeitnehmer im Aus-
scheidezeitpunkt das 25. Lebensjahr vollendet haben und die Versorgungs-
zusage muss mindestens 5 Jahre bestanden haben (§ 1b Abs. 1 BetrAVG)
bzw. die U¨ bergangsregelung des § 30f BetrAVG greift; Anwartschaften aus
Entgeltumwandlung sind von Beginn an unverfallbar (§ 1b Abs. 5 BetrAVG).
5
Blomeyer/Rolfs/Otto
, BetrAVG, 5. Aufl. 2010, § 2 Rdn. 16
6
Langohr-Plato
, Betriebliche Altersversorgung, 5. Aufl. 2010, Rdn. 413
7 Vgl. hierzu Darstellung bei
Blomeyer/Rolfs/Otto
, BetrAVG, 5. Aufl. 2010
Rdn. 19
8 BT-Drucks. 16/10144, S. 31
DER BETRIEB | Nr. 19 | 10. 5. 2013
Arbeitsrecht
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