Der 1968 geborene Kla¨ger ist verheiratet und zwei Kindern zum Un-
terhalt verpflichtet. Er war seit April 1998 bei dem beklagten Land-
schaftsverband als Ga¨rtner gegen ein durchschnittliches Bruttomonats-
entgelt i. H. von 2.800 Euro bescha¨ftigt. Der Kla¨ger ist zu 70 v. H. in
seiner Erwerbsfa¨higkeit gemindert. Seit Ma¨rz 2004 war er Vertrauens-
person der schwerbehinderten Menschen im Dezernat 9 des Beklag-
ten. Er ist anla¨sslich seiner Einstellung nach dem Gesetz u¨ber die
fo¨rmliche Verpflichtung nicht beamteter Personen u. a. auf die Straf-
vorschrift § 201 StGB (
Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes
) hinge-
wiesen worden.
Am 16. 8. 2006 fu¨hrte Herr B – ein Mitarbeiter des Beklagten – ein
Personalgespra¨ch mit dem Kla¨ger. Der Kla¨ger zeichnete dieses Ge-
spra¨ch ohne Einwilligung des B auf. Im Anschluss daran schnitt er
heimlich zwei weitere Personalgespra¨che mit. Das Aufnahmegera¨t hatte
er sich von einem damaligen Kollegen geliehen. Er gab es diesem, ohne
die Mitschnitte gelo¨scht zu haben, zuru¨ck. Der Kollege zeichnete im
Mai 2008 ebenfalls drei Gespra¨che auf.
Am 9. 2. 2010 ging beim Beklagten ein Schreiben der Staatsanwaltschaft
ein. Diese teilte mit, im Zusammenhang mit einem gegen den betreffen-
den Kollegen des Kla¨gers gefu¨hrten strafrechtlichen Ermittlungsverfah-
ren seien Audiodateien beschlagnahmt worden. Der Beklagte beantragte
Akteneinsicht, die er bis zum 2. 3. 2010 erhielt. Eine Anho¨rung der Da-
teien gestattete die Staatsanwaltschaft nur den von den Aufzeichnungen
betroffenen Mitarbeitern. Herr B ho¨rte die Aufzeichnungen am 24. 3.
2010 an und unterrichtete den Beklagten u¨ber deren Inhalt.
Mit Schreiben vom 25. 3. 2010 lud der Beklagte den Kla¨ger zu einer
Anho¨rung am 30. 3. 2010. Der Kla¨ger hielt die A¨ ußerungsfrist fu¨r zu
kurz bemessen. Der Beklagte ra¨umte ihm daraufhin eine Frist zur Stel-
lungnahme bis zum 6. 4. 2010, 9:00 Uhr, ein. Der Kla¨ger a¨ußerte sich
auch bis zu deren Ablauf nicht.
Der Beklagte beantragte noch am selben Tag sowohl beim o¨rtlichen
Personalrat als auch beim Gesamtpersonalrat die Zustimmung zur be-
absichtigten außerordentlichen Ku¨ndigung des Arbeitsverha¨ltnisses der
Parteien. Der Personalrat erteilte die Zustimmung mit Schreiben vom
8. 4. 2010, der Gesamtpersonalrat teilte mit Schreiben gleichen Da-
tums mit, gegen die beabsichtigte Ku¨ndigung keine Bedenken zu ha-
ben.
Noch am 6. 4. 2010 hatte der Beklagte auch die Zustimmung des Inte-
grationsamts zu der beabsichtigten außerordentlichen Ku¨ndigung bean-
tragt. Sie wurde am 19. 4. 2010 erteilt.
Mit Schreiben vom 19. 4. 2010 ku¨ndigte der Beklagte das Arbeitsver-
ha¨ltnis der Parteien fristlos.
Die Vorinstanzen (zuletzt LAG Ko¨ln vom 18. 5. 2011 – 8 Sa 364/11)
haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Kla¨gers blieb erfolglos.
AUS DEN GRU¨ NDEN
Das BAG besta¨tigt, dass vor einer Ku¨ndigung einer Vertrauens-
person der schwerbehinderten Menschen der Betriebsrat zu-
stimmen muss, nicht die Schwerbehindertenvertretung
1 . . . 15
I
I. 1.
Das LAG hat zu Recht angenommen, die Ku¨ndi-
gung habe nicht gem. § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Zustim-
mung der Schwerbehindertenvertretung bedurft.
16
I
a)
Nach § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX besitzen die Vertrau-
enspersonen der schwerbehinderten Menschen gegenu¨ber dem
Arbeitgeber die gleiche perso¨nliche Rechtsstellung, insbes. den
gleichen Ku¨ndigungsschutz wie ein Mitglied des Betriebs- oder
Personalrats. Fu¨r die Vertrauenspersonen gilt damit § 15
KSchG i. V. mit § 103 BetrVG bzw. den maßgeblichen per-
sonalvertretungsrechtlichen Vorschriften entsprechend. Dies
wird ganz u¨berwiegend dahin verstanden, dass die Vertrauens-
personen ebenfalls nur aus wichtigem Grund und nur mit Zu-
stimmung des Betriebs- oder Personalrats geku¨ndigt werden
ko¨nnen
1
.
Der Gegenauffassung in Literatur und Rechtsprechung, welche
anstelle des Betriebsrats die Schwerbehindertenvertretung fu¨r
zusta¨ndig erachtet . . .
17
I
b)
Zum Teil wird in ju¨ngerer Zeit angenommen, nach § 96
Abs. 3 Satz 1 SGB IX seien § 15 KSchG und § 103 BetrVG
mit der Maßgabe anzuwenden, dass nicht die vorherige Zustim-
mung des Betriebsrats, sondern die der Schwerbehindertenver-
tretung erforderlich sei
2
. Andernfalls werde der Eigensta¨ndigkeit
dieses Organs nicht ausreichend Rechnung getragen
3
.
Sinn der maßgeblichen Schutznorm sei es, die Vertretung, die ein
Mitglied verlieren solle, selbst u¨ber die Zustimmung zur außerordentli-
chen Ku¨ndigung entscheiden zu lassen
4
. Solle einer Vertrauensperson
geku¨ndigt werden, so ko¨nne der Betriebsrat die Frage, ob der Ku¨ndi-
gungsgrund mit ihrer Amtsta¨tigkeit im Zusammenhang stehe, nicht
aus eigener Kenntnis beantworten. Hinzu komme, dass in manchen
Betrieben zwar eine Schwerbehindertenvertretung, aber kein Betriebs-
rat vorhanden sei
5
. Sinn und Zweck des in § 103 Abs. 1 BetrVG auf-
gestellten Zustimmungserfordernisses sei nicht nur der Schutz des je-
weils betroffenen Amtstra¨gers, sondern zu verhindern, dass ein demo-
kratisch gewa¨hltes Gremium durch den Verlust einzelner Mitglieder in
seiner Funktionsfa¨higkeit und in der Kontinuita¨t seiner Amtsfu¨hrung
beeintra¨chtigt werde. Dieses Ziel sei nur dann effektiv zu erreichen,
wenn das jeweils betroffene Gremium selbst – ggf. also die Schwerbe-
hindertenvertretung – u¨ber die Zustimmung zur außerordentlichen
Ku¨ndigung entscheide
6
. Bei der Schwerbehindertenvertretung handele
es sich um eine eigensta¨ndige Interessenvertretung der von ihr repra¨-
sentierten Menschen. Sie habe andere Aufgaben als der Betriebsrat
7
.
Zwischen der Schwerbehindertenvertretung und dem Betriebsrat ko¨n-
ne es Auseinandersetzungen u¨ber die angemessene Beru¨cksichtigung
der Belange schwerbehinderter Menschen geben. Daher sei es allein
sachgerecht, in Ausfu¨llung des in § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ver-
wandten Rechtsbegriffs „gleiche perso¨nliche Rechtsstellung“ die
Schwerbehindertenvertretung und nicht den Betriebsrat u¨ber den An-
trag auf Zustimmung zur außerordentlichen Ku¨ndigung eines Mit-
glieds entscheiden zu lassen
8
.
. . . folgt das BAG unter Hinweis auf Wortlaut und Entstehungs-
geschichte des § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX, Sinn und Zweck sowie
systematische Erwa¨gungen nicht
18
I
c)
Die zuletzt dargestellte Ansicht u¨berzeugt nicht. Zutref-
fend ist die zuerst genannte Auffassung. Die Ku¨ndigung des Ar-
beitsverha¨ltnisses einer Vertrauensperson der schwerbehinderten
Menschen bedarf nach § 96 Abs. 3 Satz 1 SGB IX i. V. mit
§ 103 BetrVG bzw. den jeweiligen personalvertretungsrecht-
1 Vgl. BAG vom 11. 5. 2000 – 2 AZR 276/99, BAGE 94 S. 313 = DB 2001 S. 205;
vom 23. 6. 1993 – 2 ABR 58/92, DB 1993 S. 2390; BVerwG vom 25. 2. 2004
– 6 P 12.03, AP BPersVG § 47 Nr. 4;
Kittner/Da¨ubler/Zwanziger-Deinert
, 8.
Aufl., § 15 KSchG Rdn. 15 und § 103 BetrVG Rdn. 11;
Fitting
, 26. Aufl.,
§ 103 Rdn. 6; ErfK/
Kiel
, 12. Aufl., § 15 KSchG Rdn. 9;
Knittel
, SGB IX, 6.
Aufl., § 96 Rdn. 42;
Schaub/Koch
, ArbR-Hdb., 14. Aufl., § 178 Rdn. 85;
Kos-
sens
, in: Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, 3. Aufl., § 96 Rdn. 13;
Laber
,
ArbRB, 2010 S. 342 (344); APS/
Linck
, 4. Aufl., § 15 KSchG Rdn. 59 (60); Ha-
Ko/
Na¨gele-Berkner
, 4. Aufl., § 15 Rdn. 31;
Pahlen
, in: Neumann/Pahlen/Ma-
jerski-Pahlen, SGB IX, 12. Aufl., § 96 Rdn. 5; HWK/
Quecke
, 5. Aufl., § 15
KSchG Rdn. 16;
Cramer/Ritz/F. Dopatka
, SGB IX, 6. Aufl., § 96 Rdn. 8;
Thu¨-
sing
, in: Richardi, BetrVG, 12. Aufl., § 103 Rdn. 11;
v. Hoyningen-Huene/
Linck
, KSchG, 14. Aufl., § 15 Rdn. 33.
2 LAG Hamm vom 21. 1. 2011 – 13 TaBV 72/10, LAGE SGB IX § 96 Nr. 2 mit
zust. Anm. Grimme, AiB 2011 S. 555;
Du¨well
, in: LPK-SGB IX, 3. Aufl., § 96
Rdn. 60 (61);
Trenk-Hinterberger
in HK-SGB IX, § 96 Rdn. 10; unklar: DKKW/
Bachner
, BetrVG, 13. Aufl., § 103 Rdn. 11.
3 LAG Hamm vom 21. 1. 2011, a.a.O. (Fn. 2), Rdn. 58;
Du¨well
, in: LPK-SGB IX,
a.a.O. (Fn.2), § 96 Rdn. 61.
4 LAG Hamm vom 21. 1. 2011, a.a.O. (Fn. 2), Rdn. 61;
Du¨well
, in: LPK-SGB IX,
a.a.O. (Fn.2).
5
Du¨well
, in: LPK-SGB IX, a.a.O. (Fn.2).
6 LAG Hamm vom 21. 1. 2011, a.a.O. (Fn. 2), Rdn. 61.
7 LAG Hamm vom 21. 1. 2011, a.a.O. (Fn. 2), Rdn. 66.
8 LAG Hamm vom 21. 1. 2011, a.a.O. (Fn. 2), Rdn. 67.
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Arbeitsrecht
DER BETRIEB | Nr. 19 | 10. 5. 2013