22 . . . 23
I
aa)
. . .
bb)
Der Massenentlassungsanzeige war keine
Stellungnahme des – als einziges Gremium damit befassten –
Konzernbetriebsrats zu den beabsichtigten Ku¨ndigungen nach
§ 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG beigefu¨gt. Eine solche war auch nicht
im Interessenausgleich vom 12. 11. 2008 enthalten.
Es kommt deshalb nicht darauf an, ob der Konzernbetriebsrat das fu¨r
die Durchfu¨hrung des Konsultationsverfahrens und damit fu¨r die Abga-
be der Stellungnahme zusta¨ndige Gremium war
2
. Nicht entscheidungs-
erheblich ist auch, ob – wie die Beklagte in der Revisionserwiderung
erstmals behauptet hat – der Interessenausgleich der Agentur fu¨r Arbeit
mit oder schon vor Erstattung der Massenentlassungsanzeige u¨bermit-
telt wurde.
24
I
(1)
Die Betriebsparteien haben in § 8 des Interessenaus-
gleichs im Einzelnen aufgefu¨hrt, woru¨ber der Konzernbetriebs-
rat unterrichtet worden ist, und besta¨tigt, dass die erforderlichen
Beratungen durchgefu¨hrt worden sind. Dies dokumentiert ledig-
lich die erfolgte Unterrichtung. Eine Stellungnahme des Kon-
zernbetriebsrats ist darin nicht enthalten. . . .
25
I
(2)
Auch in der Pra¨ambel und den Schlussbestimmungen
des Interessenausgleichs liegt keine Stellungnahme im dar-
gestellten Sinn . . .
26
I
(3)
§ 8 Satz 2 des Interessenausgleichs verdeutlicht, dass in
dessen Regelungen auch aus Sicht der Betriebsparteien keine
Stellungnahme i. S. von § 17 Abs. 3 KSchG enthalten war. . . .
27 . . . 29
I
e)
Die Beklagte hat nicht glaubhaft gemacht, dass sie
die Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG erfu¨llt ha¨tte.
(wird ausgefu¨hrt)
Keine Heilung durch Bescheid der Agentur fu¨r Arbeit
30
I
f)
Die Pru¨fung, ob vor Ausspruch der Ku¨ndigungen eine
wirksame Massenentlassungsanzeige erstattet worden ist, ist
nicht der gerichtlichen Kontrolle entzogen. Die auf der Grund-
lage von § 18 Abs. 1, Abs. 2 KSchG erlassene Entscheidung der
Agentur fu¨r Arbeit hindert die Feststellung der Unwirksamkeit
der Massenentlassungsanzeige durch die Gerichte fu¨r Arbeits-
sachen auch dann nicht, wenn sie bestandskra¨ftig geworden ist.
Die Bindungswirkung des Bescheids umfasst nur seinen eigent-
lichen Inhalt, d. h. die Festsetzung der Dauer der Sperrfrist,
nicht aber die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige
selbst
3
. Der Bescheid entfaltet weder gegenu¨ber dem Arbeitneh-
mer noch gegenu¨ber den Gerichten fu¨r Arbeitssachen materielle
Bestandskraft und vermag deshalb mo¨gliche Fehler der Massen-
entlassungsanzeige nicht zu heilen
4
.
Unwirksame Massenentlassungsanzeige fu¨hrt zur Unwirksam-
keit der Ku¨ndigung
31
I
2.
Das Fehlen einer wirksamen Massenentlassungsanzeige
fu¨hrt zur Unwirksamkeit der Ku¨ndigung. Dies folgt aus einer
unionsrechtskonformen Auslegung des § 17 Abs. 3 KSchG.
32
I
a)
Der Gerichtshof der Europa¨ischen Union hat in der
Rechtssache „Junk“
5
entschieden, die RL 98/59/EG des Rates
vom 20. 7. 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten u¨ber Massenentlassungen (MERL) sei dahin-
gehend auszulegen, dass die Ku¨ndigungserkla¨rung des Arbeit-
gebers das Ereignis sei, das als Entlassung gelte, und der Arbeit-
geber Massenentlassungen erst nach dem Ende des Konsultati-
onsverfahrens und im Anschluss an ihre Anzeige vornehmen
du¨rfe. Eine Rechtsfolge fu¨r den Fall, dass das Verfahren vor dem
Ausspruch einer Ku¨ndigung nicht ordnungsgema¨ß durchgefu¨hrt
wurde, ist in der MERL nicht vorgesehen. Entha¨lt eine unions-
rechtliche RL keine besondere Regelung fu¨r den Fall eines Ver-
stoßes gegen ihre Vorschriften, obliegt den Mitgliedstaaten die
Wahl einer Sanktion. Sie haben dabei darauf zu achten, dass die
Versto¨ße gegen das Gemeinschaftsrecht nach sachlichen und
verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden, die denjenigen
entsprechen, die fu¨r nach Art und Schwere gleichartige Versto¨ße
gegen nationales Recht gelten. Die Sanktion muss dabei wirk-
sam, verha¨ltnisma¨ßig und abschreckend sein
6
.
33
I
b)
Der deutsche Gesetzgeber hat in §§ 17, 18 KSchG keine
ausdru¨ckliche Regelung u¨ber die Rechtsfolge des Fehlens oder
der Fehlerhaftigkeit einer Anzeige bei Ausspruch der Ku¨ndigung
getroffen.
34
I
c)
Das BAG hat bislang offengelassen, ob eine nicht ord-
nungsgema¨ße – weil etwa verspa¨tet erstattete – Massenentlas-
sungsanzeige zur Unwirksamkeit einer zuvor ausgesprochenen
Ku¨ndigung fu¨hrt
7
. Es hat aber angenommen, im Fall einer nicht
wirksam erstatteten Massenentlassungsanzeige ko¨nne die Ku¨n-
digung das Arbeitsverha¨ltnis jedenfalls nicht auflo¨sen
8
.
35
I
d)
In Teilen des Schrifttums wird die Auffassung vertreten, auch
nach der Entscheidung des EuGH in der Sache „Junk“ fu¨hre ein Ver-
stoß des Arbeitgebers gegen seine aus § 17 Abs. 3 KSchG folgenden
Anzeigepflichten nicht zur Unwirksamkeit der Ku¨ndigung
9
. Als Sankti-
on genu¨ge eine dauerhafte Entlassungssperre
10
. Teilweise wird u¨berdies
angenommen, dem Arbeitgeber stehe die Mo¨glichkeit der „Nachbesse-
rung“ offen. Er ko¨nne noch nach Ausspruch der Ku¨ndigung, solange
die fu¨r den jeweiligen Arbeitnehmer geltende Ku¨ndigungsfrist noch
nicht abgelaufen sei, eine unterlassene Anzeige nachholen oder eine feh-
lerhafte Anzeige korrigieren. Die Entlassung werde dann zu einem ent-
sprechend spa¨teren Zeitpunkt wirksam
11
.
36
I
e)
Anderen Stimmen zufolge bewirkt dagegen das Fehlen einer
wirksamen Massenentlassungsanzeige vor Ausspruch der Ku¨ndigung
deren Unwirksamkeit
12
.
§ 17 Abs. 1 i. V. mit Abs. 3 Satz 2, Satz 3 KSchG ist ein Verbots-
gesetz i. S. von § 134 BGB
37
I
f)
Die zuletzt genannte Auffassung ist zutreffend. Die Ge-
genmeinung beru¨cksichtigt nicht hinreichend Sinn und Zweck
der in Umsetzung der MERL geregelten Konsultations- und
Anzeigepflichten des Arbeitgebers. Unter Beachtung des uni-
onsrechtlichen Grundsatzes des „effet utile“ fu¨hrt es zur Unwirk-
2 Zur Zusta¨ndigkeit des Gesamtbetriebsrats vgl. BAG vom 20. 9. 2012 – 6 AZR
155/11, Rdn. 32 ff., DB 2012 S. 2876 = NZA 2013 S. 32; vom 7. 7. 2011 – 6
AZR 248/10, Rdn. 20 ff., BAGE 138 S. 301 = DB0457823; zur Zusta¨ndigkeit
des Konzernbetriebsrats
Dzida/Hohenstatt
, NJW 2012 S. 27 (29);
Mu¨ckl
,
ArbR 2011 S. 238 (239);
Niklas/Koehler
, NZA 2010 S. 913 (916).
3 BAG vom 20. 9. 2012, a.a.O. (Fn. 2), Rdn. 28.
4 Vgl. grundlegend und dazu, dass der bisherigen Rspr. des Zweiten Senats
durch die Entscheidung des EuGH in Sachen „Junk“ die Grundlage entzogen
ist, BAG vom 28. 6. 2012, a.a.O. (Fn. 1), Rdn. 70 ff.
5 EuGH vom 27. 1. 2005 – Rs. C-188/03, EuGHE 2005 S. I-885 = DB 2005
S. 453.
6 EuGH vom 8. 6. 1994 – Rs. C-383/92, EuGHE 1994 S. I-2479.
7 Vgl. BAG vom 23. 3. 2006 – 2 AZR 343/05, Rdn. 32, BAGE 117 S. 281 = DB
2006 S. 1902; vom 29. 11. 2007 – 2 AZR 763/06, Rdn. 35, DB 2008 S. 1756;
vgl. aber vom 15. 12. 2011 – 8 AZR 692/10, DB 2012 S. 1690; vom 28. 5.
2009 – 8 AZR 273/08, Rdn. 54, DB 2009 S. 2216 = AP BGB § 613a Nr. 370.
8 BAG vom 28. 6. 2012, a.a.O. (Fn. 1), Rdn. 51; vom 22. 4. 2010 – 6 AZR
948/08, Rdn. 23, BAGE 134 S. 176 = DB 2010 S. 1763; vom 13. 7. 2006 – 6
AZR 198/06, Rdn. 21, BAGE 119 S. 66 = DB 2006 S. 2820.
9 APS/
Moll
, 4. Aufl., § 18 KSchG Rdn. 42 ff.;
Appel
, DB 2005 S. 1002 (1004);
Ferme/Lipinski
, ZIP 2005 S. 593 (597);
dies.
, NZA 2006 S. 937 (940).
10
Moll
, a.a.O. (Fn. 9), Rdn. 46;
Appel
, a.a.O. (Fn. 9).
11
Ferme/Lipinski
, a.a.O. (Fn. 9).
12 Vgl. KR/
Weigand
, 10. Aufl., § 17 KSchG Rdn. 103; ErfK/
Kiel
, 13. Aufl., § 17
KSchG Rdn. 36;
Bader/Bram/Do¨rner/Suckow
, Stand Dezember 2012, § 17
KSchG Rdn. 75, Rdn. 83;
Bauer/Krieger/Powietzka
, DB 2005 S. 445 (448);
Lembke/Oberwinter
, NJW 2007 S. 721 (727);
Reinhard
, RdA 2007 S. 207
(211);
Niklas/Koehler
, a.a.O. (Fn. 2);
Hu¨tzen
, ZInsO 2012 S. 1801 (1810);
mit Einschra¨nkungen
Clemenz
, FS Bauer 2010 S. 229 (238).
940
Arbeitsrecht
DER BETRIEB | Nr. 17 | 26. 4. 2013
1...,58,59,60,61,62,63,64,65,66,67 69,70,71,72,73,74,75,76,77,78,...84