samkeit der Ku¨ndigung als Rechtsgescha¨ft, wenn bei ihrem Aus-
spruch eine wirksame Anzeige nach § 17 Abs. 3 KSchG nicht
vorliegt. In der Erkla¨rung der Ku¨ndigung liegt dann ein Verstoß
gegen ein gesetzliches Verbot i. S. von § 134 BGB.
38 . . . 39
I
aa)
. . .
bb)
§ 17 Abs. 1 i. V. mit Abs. 3 Satz 2, Satz 3
KSchG ist ein Verbotsgesetz i. S. von § 134 BGB.
40
I
(1)
§ 17 KSchG dient der Umsetzung der MERL. Deren
Ziel ist der Schutz der Arbeitnehmer im Fall von Massenentlas-
sungen
13
. Dies gilt sowohl fu¨r das Konsultationsverfahren als
solches als auch fu¨r das Anzeigeerfordernis. Art. 2 Abs. 2 der
RL bestimmt, dass sich die Konsultationen zumindest auf die
Mo¨glichkeit, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu be-
schra¨nken und die Mo¨glichkeit erstrecken sollen, ihre Folgen
durch soziale Begleitmaßnahmen zu mildern. Nach Art. 3
Abs. 1 Unterabs. 3 der RL muss die Anzeige „alle zweckdienli-
chen Angaben u¨ber . . . die Konsultationen der Arbeitnehmer-
vertreter“ enthalten.
41
I
(2)
Entsprechend diesem Versta¨ndnis dient § 17 KSchG
auch dem Arbeitnehmerschutz. . . . (wird ausgefu¨hrt)
42
I
(3)
Mit Blick auf diesen Gesetzeszweck ist § 17 Abs. 1 i. V.
mit Abs. 3 Satz 2, Satz 3 KSchG als gesetzliches Verbot zu ver-
stehen, Ku¨ndigungen vor Erstattung einer diesen Erfordernissen
genu¨genden Anzeige auszusprechen.
43
I
(a)
Gem. Art. 6 MERL mu¨ssen die Mitgliedstaaten Verfahren ein-
richten, mit denen die Einhaltung der von der RL vorgesehenen Ver-
pflichtungen gewa¨hrleistet werden kann. Die den Mitgliedstaaten u¨ber-
lassene Umsetzung dieser Maßgabe darf der MERL nicht ihre prakti-
sche Wirksamkeit nehmen
14
.
44
I
(b)
Dieser Verpflichtung ist der nationale Gesetzgeber u. a. dadurch
nachgekommen, dass er die Beifu¨gung der Stellungnahme des Betriebs-
rats – ersatzweise den glaubhaften Nachweis der rechtzeitigen Unter-
richtung – als Voraussetzung fu¨r eine Wirksamkeit der Massenentlas-
sungsanzeige ausgestaltet hat. Die Vorschrift verlangt eine umfassende
Unterrichtung der Agentur fu¨r Arbeit – auch u¨ber die Durchfu¨hrung
des Konsultationsverfahrens – vor Ausspruch der Ku¨ndigung und ero¨ff-
net ihr die Chance, auf der Basis der betreffenden Informationen Maß-
nahmen zugunsten der Arbeitnehmer zu ergreifen.
Nur mit einem Ku¨ndigungsverbot sind die Ziele von MERL und
§ 17 KSchG zu erreichen
45 . . . 48
I
(c)
Dies verlangt nach einem Verbot, das schon den
Ausspruch der Ku¨ndigung als solchen vor Erstattung einer wirk-
samen Massenentlassungsanzeige ausschließt. Andernfalls ist
nicht gewa¨hrleistet, dass die Ziele von MERL und § 17 KSchG
erreicht werden. Deren Regelungen sollen verhindern, dass der
Arbeitgeber durch den Ausspruch von Ku¨ndigungen unumkehr-
bare Fakten schafft, bevor entweder die Konsultationen auch aus
Sicht des Betriebsrats – mit welchem Ergebnis auch immer – be-
endet sind (§ 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG) oder sie nicht wenigstens
wa¨hrend zweier Wochen auf der Basis hinreichender Unterrich-
tung ergebnisorientiert haben gefu¨hrt werden ko¨nnen
15
). Die ge-
setzliche Verpflichtung, dies durch Beifu¨gung der Stellungnah-
me des Betriebsrats oder glaubhaften Vortrags u¨ber Beginn und
Stand der Beratungen zu dokumentieren, dient ihrerseits der Ef-
fektivita¨t der Regelungen. Die Verpflichtung wu¨rde um die mit
ihr bezweckte Wirkung gebracht, wu¨rde sie nicht gleichgesetzt
mit dem Verbot, Ku¨ndigungen auszusprechen, ohne sie erfu¨llt
zu haben. Ein Verstoß gegen dieses Verbot fu¨hrt deshalb gem.
§ 134 BGB zur Nichtigkeit . . . (wird ausgefu¨hrt)
49
I
3.
Eine Vorlage zur Vorabentscheidung an den Gerichtshof der Eu-
ropa¨ischen Union gem. Art. 267 AEUV war nicht erforderlich. Das
Unionsrecht entha¨lt klare Regelungen zum Umfang der in der Massen-
entlassungsanzeige notwendigen Angaben und der ihr beizufu¨genden
Unterlagen. Zu der Frage, welche Rechtsfolgen eine unvollsta¨ndige An-
zeige nach sich zieht, entha¨lt die MERL keine Regelungen. Der Streit-
fall wirft damit keine Frage der Auslegung von Unionsrecht auf. Er be-
trifft allein die Anwendung nationalen Rechts
16
. Auf die Frage, ob die
MERL einen bestimmten zeitlichen Ablauf von Beteiligung des Be-
triebsrats und Anzeigeerstattung verlangt, kommt es nicht an
17
. . .
Hinweis des Senats:
zu OS 1 und 2: Fortf. von BAG vom 28. 6. 2012
– 6 AZR 780/10, DB 2012 S. 2166 = EzA KSchG § 17 Nr. 26.
Redaktioneller Hinweis:
Volltext unter DB0585316.
13 EuGH vom 17. 12. 1998 – Rs. C-250/97, Lauge u. a., Rdn. 19, EuGHE 1998
S. I-8737; vgl. auch MERL Nr. 2 der Erwa¨gungsgru¨nde.
14 Vgl. EuGH vom 16. 7. 2009 – Rs. C-12/08, Mono Car Styling, Rdn. 34 und 36,
EuGHE 2009 S. I-6653.
15 § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG; vgl. EuGH, a.a.O. (Fn. 5), Rdn. 38, 44.
16 Vgl. a. BAG vom 21. 3. 2012 – 6 AZR 596/10, Rdn. 34, DB0479359 = EzA
KSchG § 17 Nr. 25; vom 18. 1. 2012 – 6 AZR 407/10, Rdn. 48, DB 2012
S. 927.
17 Zu einer daraus resultierenden Vorlagepflicht vgl. BVerfG vom 25. 2. 2010 –
1 BvR 230/09, Rdn. 23 ff., BVerfGK 17 S. 108.
Ku¨ndigungsrecht/Verfahrensrecht
Massenentlassungsanzeige: Ergeben sich aus dem
Arbeitgebervortrag Ma¨ngel beim Verfahren nach
§ 17 KSchG, hat das Gericht Unwirksamkeitsgru¨n-
de von Amts wegen zu pru¨fen
Konsultationsverfahren – Darlegungslast – Entscheidungskom-
petenz des LAG bei Verletzungen der Hinweispflicht nach § 6
Satz 2 KSchG
KSchG § 6 Satz 2, § 17 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 und Satz 3; BGB
§ 138 Abs. 2; Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. 7. 1998
zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
u¨ber Massenentlassungen (MERL) Art. 2, Art. 6
1.
Der Arbeitnehmer ist darlegungs- und ggf. beweispflichtig fu¨r
die tatsa¨chlichen Voraussetzungen der Anzeigepflicht nach § 17
KSchG. Steht die Anzeigepflicht fest, trifft die Darlegungs- und
Beweislast fu¨r die ordnungsgema¨ße Durchfu¨hrung des Verfah-
rens nach § 17 KSchG den Arbeitgeber, weil die ordnungsgema¨-
ße Durchfu¨hrung dieses Verfahrens Wirksamkeitsvoraussetzung
der Ku¨ndigung ist. Die konkreten Anforderungen an den erfor-
derlichen Vortrag richten sich nach den allgemeinen Regelungen
zur Verteilung der Erkla¨rungslast gem. § 138 Abs. 2 ZPO.
2.
Tra¨gt der Arbeitgeber ohne Ru¨ge des Arbeitnehmers zu dem
von ihm durchgefu¨hrten Verfahren nach § 17 KSchG vor und
ist daraus eindeutig ersichtlich, dass den Anforderungen des
§ 17 KSchG nicht genu¨gt ist, hat das Gericht nach den all-
gemeinen zivilprozessualen Regeln unabha¨ngig von einer aus-
dru¨cklichen Ru¨ge des Arbeitnehmers derartige Unwirksamkeits-
gru¨nde von Amts wegen zu beru¨cksichtigen.
Gleiches gilt, wenn sich solche Unwirksamkeitsgru¨nde aus vom
Arbeitgeber in das Verfahren eingefu¨hrten Unterlagen eindeutig
ergeben.
3.
Hat das Arbeitsgericht seine Hinweispflicht nach § 6 Satz 2
KSchG verletzt, muss das Landesarbeitsgericht selbst pru¨fen, ob
der Arbeitgeber seinen Pflichten aus § 17 KSchG genu¨gt hat,
sofern nach vorstehenden Grundsa¨tzen eine solche Pru¨fung ge-
boten ist.
(Orientierungssa¨tze der Richterinnen und Richter des BAG)
BAG-Urteil vom 13. 12. 2012 – 6 AZR 5/12
u
DB0589635
DER BETRIEB | Nr. 17 | 26. 4. 2013
Arbeitsrecht
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