b) Auslegung des Sinngehalts der A¨ ußerung des Arbeitnehmers
Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist kein Freifahrtsschein
zur Verletzung der Menschenwu¨rde, fu¨r Formalbeleidigungen,
Schma¨hkritiken
10
oder Lu¨gen. Davon abzugrenzen ist die (noch)
zula¨ssige Kritik amArbeitgeber, wobei auch u¨berspitzte, ggf. sogar
polemische Kritik vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasst
ist. Aufgrund der wertsetzenden Bedeutung der Meinungsfreiheit
fu¨r die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist die A¨ uße-
rung des Arbeitnehmers stets durch eine sorgfa¨ltige, den Wert-
gehalt der Meinungsfreiheit beru¨cksichtigende Sinnermittlung
zu kla¨ren. Ausgangspunkt fu¨r die Auslegung ist der Wortlaut
der A¨ ußerung. Diese darf jedoch den inhaltlichen Zusammen-
hang, in dem die A¨ ußerung steht, sowie die fu¨r den Empfa¨nger er-
kennbaren Begleitumsta¨nde, unter denen sie gefallen ist, nicht un-
beru¨cksichtigt lassen. Daher darf eine A¨ ußerung (insbesondere ein
Teil davon) nicht aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert
betrachtet werden. Dadurch wu¨rde sonst einer A¨ ußerung ein Sinn
beigelegt werden, den sie nicht hat. Ist eine A¨ ußerung mehrdeutig
– hierbei gilt ein großzu¨giger Maßstab – muss eine andere, eben-
falls mo¨gliche Deutung mit u¨berzeugendenGru¨nden ausgeschlos-
sen werden. Andernfalls muss zugunsten des Arbeitnehmers der
Sinngehalt der anderen, die Interessen (und ggf. Ehre) des Arbeit-
gebers weniger belastende, Deutung der A¨ ußerung des Arbeitneh-
mers zugrunde gelegt werden
5
.
2. Beschimpfungen und wahrheitswidrige Behauptungen
Grobe Beschimpfungen von Arbeitgeber, Vorgesetzen, Arbeits-
kollegen oder Kunden sind an sich geeignet, eine (sogar außer-
ordentliche) Ku¨ndigung zu rechtfertigen. Hierbei handelt es sich
um A¨ ußerungen, deren diffamierender Gehalt so erheblich ist,
dass sie in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße He-
rabsetzung der anderen Person erscheinen und daher unabha¨n-
gig von ihrem konkreten Kontext stets als perso¨nlich diffamie-
rende Beleidigung aufgefasst werden mu¨ssen. In diesen Fa¨llen
muss das Grundrecht der Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers
wegen der erheblichen Ehrverletzung regelma¨ßig zuru¨cktreten
11
.
Dies ist z. B. der Fall, wenn ein Arbeitnehmer seinen Chef als
„Menschenschinder“
12
oder „Halsabschneider“
13
bezeichnet; den
direkten Vorgesetzten einen „Wixxer“ nennt
14
oder der dauern-
den Lu¨gerei bezichtigt
15
. Gleiches gilt fu¨r die Diffamierung von
Arbeitskollegen als „Klugscheißer“
16
und „brauner Mob“
17
, oder
von Kunden als „Arschloch“
18
und „Abschaum“
19
.
Ebenfalls nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sind be-
wusst wahrheitswidrig aufgestellte ehrverletzende Tatsachenbe-
hauptungen, insbesondere wenn sie den Tatbestand einer u¨blen
Nachrede erfu¨llen
20
. Macht ein Arbeitnehmer z. B. den Eintrag,
„Kunden sollten noch offenstehende Rechnungsbetra¨ge besser
nicht mehr an das Unternehmen u¨berweisen, denn wenn der
Gescha¨ftsfu¨hrer erst mal das Geld hat, sieht niemand mehr et-
was davon“, entsteht der Eindruck, der Gescha¨ftsfu¨hrer beha¨lt
Einnahmen fu¨r sich und macht sich damit der Straftat einer Un-
treue (§ 266 StGB) schuldig
21
. Wenn eine Arbeitnehmerin einer
Kollegin gegenu¨ber a¨ußert „dann kann ich es dir ja auch sagen,
ich habe ein Verha¨ltnis mit dem Gescha¨ftsfu¨hrer Herrn Dr. G.
gehabt“, stellt sie bewusst wahrheitswidrig zulasten des Ge-
scha¨ftsfu¨hrers eine ihn in der Ehre und Wu¨rde verletzende Tat-
sachenbehauptung auf. Die Formulierung, ein Verha¨ltnis gehabt
zu haben, ist unter Beru¨cksichtigung der umgangssprachlichen
Gepflogenheiten nur dahin zu verstehen, mit einer Person ein
von beiden Seiten getragenes sexuelles Verha¨ltnis gehabt zu ha-
ben
22
. Nichts anderes gilt, wenn ein Arbeitnehmer behauptet,
sein Vorgesetzter habe ihm zwei Abmahnungen erteilt, obwohl
dies frei erfunden ist
14
.
3. Unmutsa¨ußerungen
a) Zula¨ssige Meinungsa¨ußerung
aa) Arbeitgeber, betriebliche Verha¨ltnisse, Ta¨tigkeit
Kritik am Arbeitgeber und an den betrieblichen Verha¨ltnissen,
selbst wenn diese unsachlich, u¨berspitzt oder in polemischer Form
gea¨ußert wird ist grundsa¨tzlich von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Der Arbeitgeber hat keinen Anspruch darauf, von seinen Arbeit-
nehmern nur so dargestellt zu werden, wie er selbst gern gesehen
werden mo¨chte oder wie er sich selbst und seine Leistungen sieht.
Selbst eine u¨berzogene oder ausfa¨llige Kritikmacht eine A¨ ußerung
fu¨r sich genommen noch nicht zur unzula¨ssigen Beleidigung
23
. Ist
eine kritische A¨ ußerung des Arbeitnehmers u¨ber den Arbeitgeber
in sozialen Netzwerken von der Meinungsfreiheit gedeckt, verletzt
diese auch keine arbeitsvertraglichen Ru¨cksichtnahme- und
Treuepflichten
24
. Die Aussage „wenn der Chef so weiter macht,
macht er die Firma irgendwann einmal kaputt“ ist eine zwar zuge-
spitzte, aber noch zula¨ssige Kritik an der Unternehmenspolitik.
Dabei handelt es sich um eine allgemeine Bewertung, die weder
einen formal beleidigenden noch bloß schma¨henden Charakter
hat
25
. Gleiches gilt fu¨r die Bezeichnung des Arbeitgebers als „Des-
pot“. Diese Bezeichnung ist zwar polemisch, aber noch von der
Meinungsfreiheit gedeckt
26
. Wirft ein Arbeitnehmer seinem Ar-
beitgeber „politische Maßregelung im Zusammenhang mit der
Tarifrunde – damit sollen ka¨mpferische Kollegen mundtot ge-
macht werden. Jagd auf Kranke, Einschu¨chterung und Verweige-
rung des demokratischen Rechts auf freie Meinungsa¨ußerung –
das sind weit verbreitete Methoden der Herrschenden“ vor, han-
delt es sich zwar um unsachliche, polemische A¨ ußerungen und
u¨berspitzte Kritiken. Sie enthalten jedoch weder eine Formalbelei-
digung noch stellen sie eine Schma¨hung oder einen Angriff auf die
Menschenwu¨rde des Arbeitgebers oder eines seiner Repra¨sentan-
ten dar. Daher ist eine Kritik an den allgemeinen wirtschaftlichen
und sozialen Verha¨ltnissen einer- und amArbeitgeber und den be-
trieblichen Verha¨ltnissen andererseits, auch wenn sie u¨berspitzt
und polemisch ausfa¨llt, noch vom Grundrecht der freien Mei-
nungsa¨ußerung gedeckt
27
. Gleiches gilt fu¨r eine Computeranima-
tion als Kritik an systematischen Trennungsgespra¨chen imUnter-
10 Bei einer Formalbeleidigung ergibt sich die Herabwu¨rdigung eines anderen
Menschen aus der Form der A¨ ußerung selbst ohne Ru¨cksicht auf den Inhalt
der Aussage (insb. Schimpfwo¨rter). Bei einer Schma¨hkritik dient die A¨ uße-
rung nicht mehr der inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Sache, son-
dern der Herabwu¨rdigung des anderen; vgl. Mu¨Ko-BGB/
Rixecker
, 6. Aufl.
2012, Anhang zu § 12 BGB Rdn. 156.
11
Mu¨ller-Glo¨ge
, a.a.O. (Fn. 4), § 626 BGB Rdn 86, m. w. N.; BeckOK-ArbR/
Stof-
fels
, Ed. 26. 12. 2012, § 626 BGB Rdn. 106, m. w. N.; Staudinger/
Preis
, Neu-
bearb. 2011, § 626 BGB Rdn. 162, m. w. N.
12 LAG Hamm vom 10. 10. 2012 – 3 Sa 644/12, ZD 2013 S. 93.
13 Vgl. BGH vom 1. 2. 1977 – VI ZR 204/74, GRUR 1977 S. 801 (Bezeichnung
eines Unternehmers in der Gewerkschaftszeitung).
14 ArbG Hagen vom 16. 5. 2012 – 3 Ca 2597/11, ZD 2012 S. 344.
15 LAG Hessen vom 1. 9. 2006 – 3 Sa 1962/05, NZA-RR 2007 S. 245.
16 ArbG Duisburg vom 26. 9. 2012 – 5 Ca 949/12, ZD 2013 S. 95 = NZA-RR 2013
S. 18.
17 BAG vom 24. 6. 2004 – 2 AZR 63/03, DB0078656 = NJW 2005 S. 619.
18 LAG Schleswig-Holstein vom 8. 4. 2010 – 4 Sa 474/09, BeckRS 2010, 70368.
19 LAG Du¨sseldorf vom 19. 12. 1995 – 8 Sa 1345/95, NZA-RR 1996 S. 166.
20
Mu¨ller-Glo¨ge
, a.a.O. (Fn. 4), § 626 BGB Rdn 86, m. w. N.;
Stoffels
, a.a.O.
(Fn. 4), § 626 BGB Rdn. 106, m. w. N.;
Preis
, a.a.O. (Fn. 11), § 626 BGB Rdn.
162, m. w. N.
21 BAG vom 6. 2. 1997 – 2 AZR 38/96, BeckRS 1997, 30368988.
22 LAG Schleswig-Holstein vom 20. 9. 2007 – 4 Sa 192/07, LAGE § 626 BGB
2002 Nr. 13.
23 BayVGH vom 29. 2. 2012 – 12 C 12.264, NZA-RR 2012 S. 302.
24 BAG vom 12. 1. 2006 – 2 AZR 21/05, DB 2006 S. 1567 (Ls.) = NZA 2006
S. 917; LAG Baden-Wu¨rttemberg vom 10. 2. 2010 – 2 Sa 59/09, BeckRS
2010, 66551.
25 BAG vom 17. 2. 2000 – 2 AZR 927/98, BeckRS 2010, 69168.
26
Hinrichs/Ho¨rtz
, NJW 2013 S. 648 (649).
27 BAG vom 12. 1. 2006, a.a.O. (Fn. 24).
DER BETRIEB | Nr. 17 | 26. 4. 2013
Arbeitsrecht
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