DER BETRIEB 21 - page 66

Entscheidungen
Betriebsu¨bergang
Betriebsaufspaltung: Zuordnung von Arbeitneh-
mern zu Betrieb oder Betriebsteil vorrangig nach
Arbeitsvertrag, sodann Direktionsrecht
Nach Widerspruch gegen Betriebsu¨bergang kein Anspruch auf
Zuweisung zu verbleibendem Bereich
BGB §§ 241, 242, 315, 613a; GewO § 106; BetrVG §§ 95, 99,
100; KSchG § 1 Abs. 2
1. Geht ein Betrieb oder Betriebsteil im Weg eines Betriebs-
u¨bergangs auf einen Erwerber u¨ber, so werden nur diejenigen
Arbeitnehmer von diesem Betriebsu¨bergang erfasst, deren
Arbeitsverha¨ltnisse dem u¨bergegangenen Betrieb oder Be-
triebsteil zugeordnet waren.
2. Fu¨r die Frage, welchem Betrieb oder Betriebsteil ein Arbeit-
nehmer zugeordnet ist, kommt es zuna¨chst auf den Willen
der Arbeitsvertragsparteien an. Liegt ein solcher weder in
ausdru¨cklicher noch in konkludenter Form vor, so erfolgt die
Zuordnung grundsa¨tzlich – ebenfalls ausdru¨cklich oder kon-
kludent – durch den Arbeitgeber aufgrund seines Direktions-
rechts.
3. Widerspricht ein Arbeitnehmer dem U¨ bergang seines Ar-
beitsverha¨ltnisses auf den Erwerber des Betriebs, dem er
wirksam zugeordnet war, so hat er grundsa¨tzlich keinen An-
spruch gegen seinen bisherigen Arbeitgeber auf Zuordnung
zu einem anderen Betrieb, der ebenfalls im Weg eines Be-
triebsu¨bergangs auf einen anderen Erwerber u¨bergehen soll.
Dies gilt auch dann, wenn ihm eine betriebsbedingte Ku¨ndi-
gung durch seinen bisherigen Arbeitgeber wegen Wegfalls
einer Weiterbescha¨ftigungsmo¨glichkeit droht.
(Orientierungssa¨tze der Richterinnen und Richter des BAG)
BAG-Urteil vom 21. 2. 2013 – 8 AZR 877/11
u
DB0593294
Die Parteien streiten daru¨ber, ob das Arbeitsverha¨ltnis des Kla¨gers von
der Beklagten zu 2. im Weg eines Betriebsu¨bergangs auf die Beklagte
zu 1. u¨bergegangen ist und ob diese den Kla¨ger weiterbescha¨ftigen muss
– hilfsweise daru¨ber, ob eine von der Beklagten zu 2. ausgesprochene
Ku¨ndigung das Arbeitsverha¨ltnis des Kla¨gers mit ihr beendet hat.
Der 1960 geborene Kla¨ger war seit 1982 bei der D der DDR und daran
anschließend bei der D AG bescha¨ftigt. Diese betrieb 16 Callcenter.
Das E Callcenter wurde ausgegliedert und ging auf die V GmbH u¨ber.
Der Kla¨ger war dort als Callcenter-Agent ta¨tig. Einen ihm von der V
GmbH angebotenen Arbeitsvertrag, der u. a. eine Bezugnahme auf die
fu¨r die V GmbH geltenden Tarifvertra¨ge beinhaltete, unterzeichnete
der Kla¨ger nicht. Dennoch wandte die V GmbH diese Tarifbestim-
mungen auf das Arbeitsverha¨ltnis mit dem Kla¨ger an. Nach § 10 Abs. 1
Buchst. a des von der V GmbH vereinbarten Umsetzungs-Tarifvertrags
(UTV) galt der Manteltarifvertrag der D AG (MTV) weiter. Dieser
entha¨lt u. a. eine Regelung, wonach Arbeitnehmer, die das 50. Le-
bensjahr und eine Betriebszugeho¨rigkeit von 15 Jahren vollendet haben,
einem besonderen Ku¨ndigungsschutz unterliegen.
Das von der V GmbH betriebene E Callcenter wurde am 1. 5. 2007 im
Weg eines Betriebsu¨bergangs von der Beklagten zu 2. u¨bernommen.
In diesem Callcenter wurden neben den Telefonta¨tigkeiten sog. Back-
officearbeiten erledigt. Diese umfassten kaufma¨nnische und administra-
tive Endkundenprozesse. Dabei wurden schriftliche oder mittels Fax
bzw. E-Mail u¨bermittelte Anfragen und Auftra¨ge bearbeitet. Der Tele-
fon- und der Backofficebereich waren nicht getrennt. Die Mitarbeiter
der Beklagten zu 2. konnten beide Ta¨tigkeiten von ihren Arbeitspla¨tzen
aus erledigen. Der Kla¨ger wurde wie bisher als Callcenter-Agent zu den
fu¨r die V GmbH geltenden Tarifbedingungen von der Beklagten zu 2.
fu¨r ein Bruttomonatsgehalt von 2.237,77 € im Schichtdienst projektbe-
zogen eingesetzt. Zum Zeitpunkt des Betriebsu¨bergangs auf die Beklag-
te zu 2. waren im Callcenter ca. 200 Arbeitnehmer bescha¨ftigt, die im
Wesentlichen Ta¨tigkeiten fu¨r die D AG erbrachten. Nach der U¨ ber-
nahme erweiterte die Beklagte zu 2. das Gescha¨ftsfeld durch die Gewin-
nung weiterer Auftra¨ge. Es wurden Neueinstellungen vorgenommen.
Wa¨hrend die von der V GmbH u¨bernommenen Arbeitnehmer ein Jah-
reseinkommen zwischen 35.000 und 40.000 € brutto erzielten, wurde
mit den neu Eingestellten ein Jahresgehalt von 15.000 bis 17.000 €
brutto vereinbart. Die Beklagte zu 2. bot sa¨mtlichen Mitarbeitern, die
von der V GmbH u¨bernommen worden waren, darunter auch dem
Kla¨ger am 16. 7. 2008, neue Arbeitsvertra¨ge zum 1. 1. 2009 an. Diese
sahen schlechtere Konditionen fu¨r die Arbeitnehmer vor.
44 ehemalige Arbeitnehmer der V GmbH, einschließlich des Kla¨gers,
unterzeichneten die A¨ nderungsvertra¨ge nicht. Diese Mitarbeiter wurden
im Sommer 2009, streitig ist, ob am 1. 7. oder im September, in zwei
Teams, die Teams Nr. 5 und 6, aufgeteilt. Ihnen wurden Arbeitspla¨tze
in einem Raum im ersten Obergeschoss des Geba¨udes in der C in E,
dem sog. Studio 5b, zugewiesen. In diesemBereich wurden ausschließlich
Backofficeta¨tigkeiten in Gleitzeit von 7:00 bis 20:00 Uhr im Zwei-
Schicht-Modell verrichtet. In dem u¨brigen Bereich, dem Großraumbu¨ro
des Callcenters, wurden die neu eingestelltenMitarbeiter und die fru¨heren
Mitarbeiter der VGmbH, die einer A¨ nderung ihrer Arbeitsvertra¨ge zuge-
stimmt hatten, mit Telefonta¨tigkeiten im 24-Stunden-Takt bescha¨ftigt.
Am 26. 10. 2009 beschloss die Beklagte zu 2. eine Betriebsaufspaltung,
wonach zum 1. 12. 2009 2 organisatorisch selbststa¨ndige und durch
Umzug getrennte Betriebe entstehen sollten. In einem Betrieb sollten
ausschließlich Backoffice-Ta¨tigkeiten ausgefu¨hrt werden, im anderen
Betrieb allgemeine Callcenterdienstleistungen. Mit Wirkung vom 1. 1.
2010 sollte der gro¨ßere Betrieb, der die Callcenterdienstleistungen
durchfu¨hrt an die neu gegru¨ndete t GmbH verpachtet (Betriebsu¨b-
ergang) und der kleinere Betrieb, der Backoffice-Ta¨tigkeiten ausfu¨hrt,
an die neu gegru¨ndete b GmbH verpachtet (Betriebsu¨bergang) werden.
In einem Interessenausgleich vom 27. 11. 2009 zwischen der Beklagten
zu 2. und ihrem Betriebsrat u¨ber die Spaltung und Verpachtung des Be-
triebs E der Beklagten zu 2. wurden weitere Ausfu¨hrungen getroffen.
In der Anlage 1 zum Interessenausgleich war der Kla¨ger als „Mitarbeiter
Betrieb Backoffice“ namentlich erwa¨hnt. In der ebenfalls am 27. 11.
2009 geschlossenen freiwilligen Betriebsvereinbarung wurde ein Be-
standsschutz in Form des Ausschlusses von betriebsbedingten Ku¨ndi-
gungen fu¨r die vom Betriebsu¨bergang betroffenen Arbeitnehmer bis
zum 31. 12. 2010 garantiert. Fu¨r die ehemaligen V-Mitarbeiter, welche
die neuen Arbeitsvertra¨ge mit Wirkung zum 1. 1. 2009 unterzeichnet
hatten, war diese Frist bis zum 30. 4. 2012 verla¨ngert.
Mit Schreiben vom 30. 11. 2009 informierte die Beklagte zu 2. den Kla¨-
ger u¨ber die Betriebsaufspaltung zum 7. 12. 2009 und daru¨ber, dass er
ab diesem Zeitpunkt in den neuen Betriebsra¨umen arbeiten werde. Mit
Schreiben vom 17. 12. 2009 unterrichtete die Beklagte zu 2. den Kla¨ger
u¨ber den bevorstehenden Betriebsu¨bergang. Am 29. 12. 2009 wider-
sprach der Kla¨ger gegenu¨ber der Beklagten zu 2. dem Betriebsu¨bergang.
Die beiden Betriebe der Beklagten zu 2., „Backoffice“ und „Service-
Center Telekommunikation“, wurden zum 1. 1. 2010 an die b GmbH
und die Beklagte zu 1. verpachtet.
Mit Schreiben vom 28. 1. 2010 ku¨ndigte die Beklagte zu 2. das Arbeits-
verha¨ltnis mit dem Kla¨ger außerordentlich mit Auslauffrist und hilfs-
weise ordentlich aus betriebsbedingten Gru¨nden zum 31. 8. 2010 und
stellte ihn von der Arbeitsleistung frei.
Das ArbG hat die Klage einschließlich des Hilfsantrags abgewiesen.
Auf die Berufung des Kla¨gers hat das LAG (Thu¨ringen – 6 Sa 50/11)
den Hauptantra¨gen stattgegeben. Die Revision der Beklagten zu 1. war
erfolgreich, hinsichtlich des hilfsweise gestellten Ku¨ndigungsschutz-
antrags gegen die Beklagte zu 2 wurde der Rechtsstreit an das LAG zu-
ru¨ckverwiesen.
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Arbeitsrecht
DER BETRIEB | Nr. 21 | 24. 5. 2013
1...,56,57,58,59,60,61,62,63,64,65 67,68,69,70,71,72,73,74,75,76,...86
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