KURS MAGAZIN 08/2013 - page 39

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KURS
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aut der Studie zehren derzeit viele Versicherer von ihren
attraktiven Altbeständen, insbesondere in historisch äu-
ßerst profitablen Sparten wie Unfall. Das Neugeschäft
könne damit in aller Regel nicht mithalten – in bisher lu-
krativen Sparten habe der gestiegene Wettbewerbsdruck zu
sinkenden Margen geführt. In historisch defizitären Sparten
wie Gebäudeversicherung und Kfz verbessere sich die Mar-
gensituation nur langsam, da das Prämienniveau oft nur für
das Neugeschäft angepasst werde, heißt es weiter. Dadurch
sinke die Profitabilität derVersicherungsbestände.Das Neuge-
schäft lahme insbesondere wegen der unattraktiv gewordenen
Lebens- und Krankenversicherungen und der höheren regula-
torischen Anforderungen. Damit Versicherungsunternehmen
auch langfristig profitabel bleiben, müssten sie ihr Geschäft
grundlegend umstrukturieren und konsequenter an Risiko-
Ertragskriterien ausrichten, rät das Beratungsunternehmen.
Dies erfordere eine strategische, organisatorische und kul-
turelle Umorientierung – im Unternehmen und im Vertrieb.
Mit der Lebens- und der privatenKrankenversicherung stecken
Bain &Company zufolge zwei Sparten in der Krise, die für die
Versicherer wichtige Kostenträger sind und vielen Vertrieben
das Auskommen sichern. Sie litten unter den anhaltend niedri-
gen Zinsen, die PKV kranke zudem an der überproportionalen
medizinischen Inflation, die die Prämien in die Höhe treibt. Die
Finanz- und Eurokrise sorge mit stärkerer Finanzmarktregulie-
rung für zusätzlichenDruck.Hohe Kapitalerträge, die Beitrags-
anpassungen in der privaten Krankenversicherung historisch
abfedern konnten und die klassische Lebensversicherung für
Kunden undVersicherer attraktiv machten, gebe es nicht mehr.
Die geplante Richtlinie Solvency II werde die Kapitalanfor-
derungen und Anlagekriterien zudem verschärfen, heißt es
weiter. Hinzu träten die grundsätzliche Marktsättigung, der
demografische Wandel und zumindest mittelfristig die ge-
dämpfte Konjunktur, die Zuflüsse in ein langfristiges Produkt
wie die klassische Lebensversicherung schmälern.
Umfassene Neuausrichtung notwendig
„All das bedeutet laut Studienautoren empfindliche Einbußen
in der Profitabilität der Versicherer und macht oftmals eine
umfassende Neuausrichtung notwendig und zwar entlang aller
Hebel, das heißt strategisch und operativ“, erklärt Dr.Christian
Kinder,Partner undVersicherungsexperte bei Bain&Company.
Eine umfassende Neuausrichtung hält er für unumgänglich.
Denn um bei anhaltend intensivem Wettbewerb und schwa-
cher Konjunktur profitabel zu bleiben, müssen Kinder zufol-
ge zahlreiche deutsche Versicherer ihr Neugeschäft stärker
an finanziellen Erfordernissen ausrichten – also diejenigen
Sparten und Produkte fördern, die nachhaltig Wert schaffen.
Das verschiebe den Angebots-Mix bei vielen Versicherern.
Die Anpassung von Preisniveau und Zeichnungskriterien ins-
besondere in den traditionell unprofitablen Sparten ist laut
Kinder der zweite Schritt: „Dauerhaft werden sichVersicherer
unprofitable Sparten wie Wohngebäudeschutz und Kfz nicht
mehr leisten können. Die Hoffnung von hohen Cross-Selling-
Quoten über Ankerprodukte hat sich nur in den seltensten
Fällen wirklich erfüllt. Insofern wird es für die Versicherer
auch in diesen Sparten darum gehen, eine kritische Mindest-
profitabilität zu erreichen und zwar gemeinsam mit demVer-
trieb“, so der Bain-Experte.
Parallel zu diesen Anpassungen gehörten Vertriebskanäle,
-strukturen und -mitarbeiter auf den Prüfstand. Die Ziele
für das Neugeschäft würden komplexer: Sie orientierten sich
an besseren Risikoprofilen und Margen. Zudem werde die
Bestandskundenbetreuung für viele Versicherer künftig vor
der Neukundengewinnung stehen.
Konzentration auf Qualitätsvermittler
Das alles bedeutet laut Kinder erheblicheAnpassungen imVer-
trieb,wo sich neben den Produktprioritäten auch die Prozesse,
Anreizsysteme und Courtagen ändern. Die Neuausrichtung
erfordere daher intensive Weiterbildung, Steuerung und Mo-
tivation derVertriebspartner und der Betreuungsorganisation.
Zudemmüssten die Vertriebskosten insgesamt sinken und die
Vertriebsproduktivität steigen. Was, so Kinder, in der Regel
bedeute, dass nicht alle Vertriebspartner gehalten werden
könnten. „Erfahrungsgemäß führt die Neuausrichtung des
Vertriebs zur Konzentration auf Qualitätsvermittler. Analy-
siert man die Bestände, schreiben sie das beste und damit
profitabelste Geschäft“, sagt auch Dr. Henrik Naujoks, Leiter
der Praxisgruppe Finanzdienstleistungen von Bain&Compa-
ny in Europa. „Doch sich von schwachen Vertriebspartnern
zu trennen, ist äußerst sensibel und verlangt ein balanciertes
Vorgehen sowie präzise Vorbereitung, sonst sind die Schäden
größer als der Nutzen.“
Da in Zukunft dieWettbewerbsintensität im europäischen Ver-
sicherungsmarkt nicht abnehmen und dieRegulierungsanforde-
rungen steigen werden, müssen die Kosten sinken.Weitere Effi-
zienzgewinne in denVersicherungsunternehmen sind laut Studie
unumgänglich, denn dieDigitalisierung sei auch in derVersiche-
rungswirtschaft auf dem Vormarsch. Die Vergangenheit habe
gezeigt,dass Rationalisierungsmaßnahmen nicht auf Kosten der
Kunden gehendürften.ImZeitalter derDigitalisierung habe sich
eine derartige Herangehensweise ohnehin selbst überholt. „Die
Digitalisierung findet anders als die historischeAutomatisierung
durch die Kunden statt, mit oder ohne Zutun der einzelnen
Versicherer“, meint Naujoks. „Digitalisierung muss für die
Neuausrichtung der Versicherer deshalb ganzheitlich gedacht
und genutzt werden – sparten- und funktionsübergreifend“.
Unter Anpassungsdruck
Die deutschen Versicherer stehen vor den größten Herausforderungen der Nachkriegszeit: Angesichts des
Wettbewerbsdrucks seien die Beiträge vieler Sparten mit geringen Margen kalkuliert, die
Vertriebsprovisionen
hingegen oftmals sehr hoch, heißt es in einer Studie der Top-Managementberatung Bain & Company.
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