lassen sich grob zwei Gruppen von Unternehmen bilden, welche
u¨ber AR-Kandidaten zuru¨ckhaltender (60,5% der Gesellschaf-
ten) bzw. offener (39,5%) informieren. Es fa¨llt auf, dass die Un-
ternehmen mit einer offeneren Informationspolitik tendenziell
ha¨ufiger Anforderungsprofile fu¨r den Gesamt-AR oder zumin-
dest einzelne Positionen im Gremium erstellen. Wa¨hrend in
dieser Gruppe 56,7% der Gesellschaften solche Profile verwen-
den, ist dies im Kreis der eher zuru¨ckhaltenden Unternehmen
nur bei 41,3% der Fall. Bei aller gebotenen Zuru¨ckhaltung der
Interpretation ko¨nnten diese Befunde auf einen gewissen Zu-
sammenhang zwischen der Professionalita¨t der Kandidatenaus-
wahl und der Transparenzbereitschaft der Unternehmen hindeu-
ten.
IV. Zusammenfassung
Der Kodex entha¨lt in seiner aktuellen Fassung vom 15. 5. 2012
neben der Wiedergabe gesetzlicher Vorschriften insgesamt 96
Empfehlungen und sieben Anregungen, deren Umsetzung je-
weils nicht zwingend ist. Die vorliegende Erhebung des BCCG
belegt, dass diese Bestimmungen von den bo¨rsennotierten Ge-
sellschaften gleichwohl nach wie vor gut angenommen werden.
So befolgen die Unternehmen heute durchschnittlich 80,7%
sa¨mtlicher (103) Kodexregelungen, die u¨ber das Gesetz hinaus-
gehen. Zwar werden immerhin 53 Empfehlungen sowie alle An-
regungen heute von weniger als 90% der Unternehmen ange-
wendet
81
. Von diesen
neuralgischen
Bestimmungen erfahren al-
lerdings in der Gesamtstichprobe nach Adjustierungen zur Be-
ru¨cksichtigung von Anwendungsvoraussetzungen
82
nur zwei
Anregungen
83
eine mehrheitliche Ablehnung.
Die Untersuchung besta¨tigt ferner zwei grundlegende Ak-
zeptanzmuster, die sich bereits in der Vergangenheit als stabil
erwiesen haben. Zum einen unterscheiden sich die Befolgungs-
quoten deutlich zwischen den einzelnen Bo¨rsensegmenten.
Wa¨hrend beispielsweise ein DAX-Unternehmen im Durch-
schnitt 95,8% der Empfehlungen umsetzt, betra¨gt die Quote
im General Standard 68,4%. Zum anderen liegen die Akzep-
tanzwerte der Anregungen tendenziell merklich unter denjeni-
gen der Empfehlungen. So erreicht die Befolgungsquote der
Empfehlungen z. B. u¨ber alle Unternehmen betrachtet 81,9%
(DAX: 95,8%) und die Quote der Anregungen nur 64,1%
(DAX: 76,7%). Der systematische Akzeptanzvorsprung der
Empfehlungen kommt auch darin zum Ausdruck, dass die vier
Kodexbestimmungen, die 2012 inhaltlich unvera¨ndert von An-
regungen zu Empfehlungen hochgestuft worden sind, jetzt ten-
denziell ho¨here Werte erreichen
84
.
Beim Vergleich der aktuellen Befunde mit fru¨heren Befra-
gungsergebnissen des BCCG lassen sich zwar gewisse Verschie-
bungen der Zahlen feststellen, die das generelle Bild der Kodex-
befolgung allerdings nicht grundlegend a¨ndern. Bezogen auf die
(73) Unternehmen, die auch an der letzten umfassenden Akzep-
tanzstudie
85
teilgenommen haben, schwanken die Akzeptanz-
werte bei 50 der 69 seither inhaltlich unvera¨nderten Soll-Be-
stimmungen um maximal ± 5%. Bei elf Empfehlungen sind die
Werte hingegen um jeweils mehr als 5% gesunken und bei acht
anderen Empfehlungen um mehr als 5% gestiegen. Der 2012 in
die Pra¨ambel aufgenommene Hinweis auf die Vereinbarkeit
wohlbegru¨ndeter Kodexabweichungen mit dem Ziel guter Un-
ternehmensfu¨hrung (Stichwort ,Abweichungskultur’) hat somit
(bislang noch) keine gravierenden Spuren hinterlassen
86
.
Sa¨mtliche im vergangenen Jahr eingefu¨hrten neuen Empfeh-
lungen zur Unabha¨ngigkeit der AR-Mitglieder sind gegenwa¨rtig
(nicht-adjustiert) sowohl in der Gesamtstichprobe als auch in al-
len Bo¨rsenindizes und -segmenten (mehr oder weniger) neural-
gisch
87
. Nach Beru¨cksichtigung von Akzeptanzsteigerungen im
Jahresverlauf und von Adjustierungen werden dann nur noch
zwei (E49; E57) der vier neuen Empfehlungen mit Bezug zur
Unabha¨ngigkeit neuralgisch sein.
Die erhobenen Daten zur faktischen Umsetzung der unab-
ha¨ngigkeitsbezogenen Regelungen zeigen u. a., dass die Spann-
weite der Zielsetzungen fu¨r die Anzahl unabha¨ngiger Aktiona¨rs-
vertreter im AR (bei einem Modus von 50,0%) von 25,0% bis
100,0% reicht
88
. Diese Ziele werden ohne Ausnahme zumindest
realisiert und nicht selten u¨bererfu¨llt. Bemerkenswert ist auch,
dass der Anteil unabha¨ngiger AR-Mitglieder in Pru¨fungs- und
Nominierungsausschu¨ssen der Tendenz nach ho¨her liegt als in
den Gesamtgremien. Bezu¨glich der strittigen Frage des Unab-
ha¨ngigkeitsstatus der Arbeitnehmer zeichnet sich ab, dass die
meisten mitbestimmten Unternehmen offensichtlich wenigstens
einige oder sogar alle Arbeitnehmervertreter als unabha¨ngig be-
handeln.
Bei der namentlichen Nennung der unabha¨ngigen AR-Mit-
glieder in CG-Publikationen sind deutliche Unterschiede zwi-
schen der Person des unabha¨ngigen Finanzexperten und den u¨b-
rigen Organmitgliedern zu konstatieren. Wa¨hrend 64,0% der
Unternehmen zumindest den Namen des Finanzexperten bereits
vero¨ffentlichen bzw. dies noch fu¨r das Jahr 2013 planen, erfolgt
eine Nennung der u¨brigen unabha¨ngigen AR-Mitglieder nur
– aber auch immerhin – bei 45,8% der Gesellschaften.
Zur Umsetzung der neuen Empfehlungen, eventuelle perso¨n-
liche oder gescha¨ftliche Beziehungen von AR-Kandidaten zum
Unternehmen, den Organen der Gesellschaft oder einem we-
sentlich beteiligten Aktiona¨r offen zu legen, vero¨ffentlichen die
Unternehmen am ha¨ufigsten den Lebenslauf der AR-Kandida-
ten (73,7%), die Art der Beziehungen (60,5%) sowie die Ein-
scha¨tzung der Kandidatenunabha¨ngigkeit (48,7%). Geringer
ausgepra¨gt ist demgegenu¨ber die Bereitschaft der Gesellschaften,
auch zum Umfang (38,2%) und vor allem zur Dauer (30,3%) der
Beziehungen Stellung zu nehmen. Es fa¨llt auf, dass die Unter-
nehmen mit einer offeneren Informationspolitik tendenziell ha¨u-
figer Anforderungsprofile fu¨r den Gesamt-AR oder zumindest
einzelne Positionen im Gremium erstellen. Diese Befunde
ko¨nnten auf einen gewissen Zusammenhang zwischen der Pro-
fessionalita¨t der Kandidatenauswahl und der Transparenzbereit-
schaft der Unternehmen hindeuten. In der Summe verdeutlichen
die gewonnenen empirischen Erkenntnisse u¨ber die Umset-
zungspraxis somit eindrucksvoll aufs Neue, dass die erkla¨rte Ak-
zeptanz von Kodexbestimmungen mit sehr unterschiedlichen
Formen ihrer tatsa¨chlichen Anwendung im Detail einhergehen
kann.
81 Nach den Angaben der Unternehmen wird die Zahl der neuralgischen Emp-
fehlungen im Jahresverlauf 2013 auf 46 zuru¨ckgehen, bei den Anregungen
dagegen nur um eine Regelung (von sieben auf sechs Sollte-Bestimmun-
gen). Siehe zu Einzelheiten S. 887 f.
82 Zur Adjustierung na¨her S. 886. Ohne eine solche Anpassung wu¨rde auch die
Empfehlung mehrheitlich abgelehnt, eventuell bestehende erfolgsorientier-
te AR-Vergu¨tungen auf eine nachhaltige Unternehmensentwicklung aus-
zurichten (E69).
83 Hierbei handelt es sich um die Anregungen zur U¨ bertragung der HV (A3)
und zur Stellungnahme zu den Kodexanregungen (A5), siehe Tab. 2.
84 Bezogen auf die 73 Unternehmen, die auch an der BCCG Studie 2010 teil-
genommen haben, gilt dies fu¨r drei der vier Bestimmungen (siehe S. 893),
beim Vergleich der Akzeptanzwerte fu¨r die Gesamtstichproben sogar fu¨r alle
vier Regelungen.
85 Siehe
v. Werder/Talaulicar
, DB 2010 S. 853.
86 Siehe na¨her S. 892 f.
87 Siehe na¨her S. 892 sowie insbesondere die Akzeptanzwerte fu¨r E49 und E55
bis E57 in Tab. 4.
88 Siehe hierzu und zum folgenden Abschn. III. 2.
DER BETRIEB | Nr. 17 | 26. 4. 2013
Betriebswirtschaft
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