Eindeutige Ru¨ckschlu¨sse auf die Vorstellungen des historischen
Gesetzgebers ko¨nnen nicht gezogen werden
34
I
(2)
Anders als das Berufungsgericht gemeint hat, la¨sst die
nur knappe Erwa¨hnung der Stundungswirkung im Bericht des
Finanzausschusses bei na¨herer Betrachtung aber schon keine
eindeutigen Ru¨ckschlu¨sse darauf zu, wie der historische Gesetz-
geber die zivilrechtlichen Wirkungen des Zahlungsverbots fu¨r
die Fa¨lligkeit bestehender Forderungen verstanden wissen woll-
te. . . . (Wird ausgefu¨hrt.)
Unzula¨ssiges Abstellen auf ein in der Gesetzesbegru¨ndung nie-
dergelegtes Versta¨ndnis des § 46a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KWG a. F.
bei fehlendem Niederschlag im Gesetzeswortlaut
35 . . . 36
I
(3)
Letztlich kommt es hierauf aber nicht entscheidend
an. Denn selbst wenn die Verfasser des Ausschussberichts eine
Stundungswirkung im Rechtssinne gewollt haben sollten, kann
bei der Auslegung des § 46a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KWG a. F.
nicht entscheidend auf ein in der Gesetzesbegru¨ndung nieder-
gelegtes Versta¨ndnis der Norm abgestellt werden, das – wie hier
– keinen Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden hat.
37
I
Der Entstehungsgeschichte kommt zwar zur Erfassung des
objektiven Willens des Gesetzgebers erhebliches Gewicht zu
37
.
Es genu¨gt aber nicht, dass sich die Rechtsfolgen allein der Ge-
setzesbegru¨ndung entnehmen lassen. Fu¨r die Auslegung einer
Gesetzesvorschrift ist vielmehr der im Gesetz auch zum Aus-
druck gekommene objektivierte Wille des Gesetzgebers maß-
geblich. Nicht entscheidend ist demgegenu¨ber die bloße subjek-
tive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Or-
gane oder einzelner ihrer Mitglieder u¨ber die Bedeutung der Be-
stimmung, so erhellend die Materialien auch fu¨r die Sinnermitt-
lung sein mo¨gen
38
.
38
I
Die bloße Erwa¨hnung der Stundungswirkung im Bericht
des Finanzausschusses ist deswegen fu¨r die Auslegung des § 46a
KWG a. F. nicht maßgebend. Ebenso wenig kommt den ver-
gleichbaren Ausfu¨hrungen in der Begru¨ndung des RegE zum
Vierten Finanzmarkfo¨rderungsgesetz
39
entscheidungserhebliche
Bedeutung zu. Denn auch dieser Ansicht hat der Gesetzgeber
nicht durch A¨ nderung oder Erga¨nzung des Kreditwesengesetzes
objektiv Ausdruck verliehen.
Keine Stundungswirkung des Zahlungsverbots im Hinblick auf
den Gesetzeszweck
39 . . . 40
I
(4)
. . .
dd)
Anders als das Berufungsgericht gemeint
hat, zwingt auch der Gesetzeszweck nicht zur Annahme einer
Stundungswirkung des Zahlungsverbots
40
.
Regelungszwecke der Massesicherung und Erstellung eines
Sanierungskonzepts . . .
41
I
(1)
Der gegenteiligen Argumentation steht bereits der Wort-
laut der Vorschrift als a¨ußerste Schranke jeder Auslegung ent-
gegen
41
. Unabha¨ngig davon ist die Annahme einer Stundung
nach Sinn und Zweck der Regelung nicht zwingend.
42
I
Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgefu¨hrt hat, soll
dem Kreditinstitut durch Anordnung von Maßnahmen nach
§ 46a Abs. 1 KWG a. F. eine „Verschnaufpause“ gewa¨hrt wer-
den, um zur Abwendung der Insolvenz ein Sanierungskonzept
zu erstellen und dieses zu verwirklichen
42
. Insolvenzen sollen
nicht vollsta¨ndig ausgeschlossen werden, doch soll den beteilig-
ten Wirtschaftskreisen Zeit fu¨r U¨ berlegungen und Maßnahmen
gegeben werden, die einen Schaden fu¨r die Gla¨ubiger des Kre-
ditinstituts und die Kreditwirtschaft mo¨glichst gering halten
43
.
Dem Vera¨ußerungs- und Zahlungsverbot kommt dabei prima¨r
die Funktion zu, ein weiteres finanzielles „Ausbluten“ des Kre-
ditinstituts durch bevorzugte Befriedigung einzelner Gla¨ubiger
bis zum Abschluss von Sanierungsu¨berlegungen oder praktisch
wahrscheinlicher bis zur Insolvenzero¨ffnung zu verhindern
44
.
. . . ko¨nnen unabha¨ngig von der Annahme einer Stundungswir-
kung erreicht werden
43
I
(2)
Beide Regelungszwecke – Massesicherung und Erstel-
lung eines Sanierungskonzepts – lassen sich unabha¨ngig von der
Annahme einer Stundungswirkung erreichen. Ein Liquidita¨ts-
abfluss wird bereits dadurch verhindert, dass die fa¨lligen Forde-
rungen wa¨hrend der Dauer des Zahlungsverbots nicht durch-
setzbar sind. Der hierdurch bewirkte einstweilige Stillstand gibt
zudem Raum fu¨r Sanierungsu¨berlegungen. Dass Sanierungs-
bemu¨hungen u¨ber Gebu¨hr erschwert oder gar unmo¨glich ge-
macht werden, wenn Verzugszinsen und etwaige Schadens-
ersatzanspru¨che bei Gesundung des Kreditinstituts zulasten der
verbliebenen Masse erfu¨llt werden mu¨ssen, ist entgegen der An-
nahme des Berufungsgerichts nicht ersichtlich
45
.
44
I
Die Rettung eines in Insolvenzgefahr geratenen Kreditinsti-
tuts setzt naturgema¨ß einschneidende Stu¨tzungs- und Sanie-
rungsmaßnahmen voraus. Wie das Berufungsgericht zutreffend
ausgefu¨hrt hat, sollen insbesondere Großgla¨ubiger wa¨hrend der
Dauer der Maßnahmen nach § 46a Abs. 1 KWG a. F. pru¨fen,
ob sie die Insolvenz durch Forderungsverzichte, die U¨ bernahme
von Gescha¨ftsanteilen oder andere geeignete Maßnahmen ver-
hindern wollen
46
. In derartige Sanierungsu¨berlegungen ko¨nnen
Zinsanspru¨che und etwaige Schadensersatzanspru¨che, die wa¨h-
rend der Dauer des Zahlungsverbots anfallen, eingestellt werden,
soweit sie fu¨r die insoweit erforderlichen grundlegenden U¨ berle-
gungen u¨berhaupt von Relevanz sind. Zudem sind die Maßnah-
men nach § 46a KWG a. F. (§ 46 KWG n. F.) nur von voru¨ber-
gehender Natur, sodass das Ausmaß etwaiger Verzo¨gerungs-
scha¨den begrenzt ist. Zwar ist die Dauer von Maßnahmen nach
§ 46a KWG a. F. im Gesetz nicht geregelt. Faktisch betra¨gt die
Zeit fu¨r Sanierungsu¨berlegungen aber nur sechs Wochen, weil
die BaFin den Entscha¨digungsfall nach § 5 Abs. 1 Satz 2
EAEG spa¨testens binnen dieser Frist feststellen muss
47
. Schließ-
lich zeigt das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO, dass Sa-
nierungsbemu¨hungen zur Abwendung einer Insolvenz nicht
stets durch einen Zahlungsaufschub flankiert werden, mag ein
36
Kollhosser
, in: Pro¨lls, VAG, 12. Aufl., § 89 Rdn. 10;
von Uckermann
, in: Farny/
Helten/Koch/Schmidt, HdV, 1988, S. 999 (1000);
Henning
, Die Zwangsliqui-
dation von Versicherungsunternehmen, 1998, S. 13;
Fromm/Goldberg
, VAG,
1966, § 89 Anm. 4 VII.;
Lehmann/Scha¨fer/Cirpka
, BSpkG, 3. Aufl., § 15
Anm. 7; Gesetzesentwurf zum BSpkG in Beitra¨ge und Materialien zum Bau-
sparkassengesetz, S. 56 f.; a. A.
Ba¨hr
, in: Fahr/Kaulbach/Ba¨hr/Pohlmann,
VAG, 5. Aufl., § 89 Rdn. 4.
37 BVerfG-Beschluss vom 11. 6. 1980 – 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54 S. 277
(297 f.); BGH vom 30. 6. 1966, a.a.O. (Fn. 21), BGHZ 46 S. 74 (81).
38 BVerfG vom 11. 6. 1980, a.a.O. (Fn. 37); Urteil vom 16. 2. 1983 – 2 BvE 1, 2,
3, 4/83, BVerfGE 62 S. 1 (44 f.), m. w. N.; BGH vom 19. 4. 2012, a.a.O.
(Fn. 21), Rdn. 30, m. w. N.
39 BT-Drucks. 14/8017 S. 141.
40
Binder
, EWiR 2012 S. 295 (296); a. A.
Schaaf
, BKR 2012 S. 188;
Fischer
, EWiR
2012 S. 709 (710).
41 Vgl. BGH vom 30. 6. 1966, a.a.O. (Fn. 21); Senatsbeschluss vom 2. 10. 2012
– XI ZB 12/12, DB 2012 S. 2507 = WM 2012 S. 2092, Rdn. 17.
42 BT-Drucks. 7/4631 S. 4 (8); VG Frankfurt/M., Beschluss vom 22. 6. 2006 – 1
G 1738/06, BeckRS 2006, 24799.
43 BT-Drucks. 7/4631 S. 4 (8).
44 BT-Drucks. 7/4631 S. 8;
Binder
, a.a.O. (Fn. 8), S. 315.
45 A. A.
Fischer
, EWiR 2012 S. 709 (710).
46 BT-Drucks. 7/4631 S. 8.
47
Kokemoor
, a.a.O. (Fn. 2), § 46a Rdn. 20;
Schwenk
, jurisPR-BKR 6/2008 Anm.
6; vgl. VG Frankfurt/M. vom 22. 6. 2006, a.a.O. (Fn. 42).
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Wirtschaftsrecht
DER BETRIEB | Nr. 17 | 26. 4. 2013