Rechtsanwalt, ohne zuvor eine Mehrheitsentscheidung des Auf-
sichtsrats herbeizufu¨hren, handelt er entsprechend § 177 BGB
als Vertreter ohne Vertretungsmacht
12
. Der Aufsichtsrat kann
diese Handlungsweise durch Mehrheitsbeschluss genehmigen.
Kein Stimmverbot bei Beschlussfassung
24
I
2.
Sollte es im weiteren Verfahren darauf ankommen, ob die
vollmachtlose Prozessfu¨hrung vom Aufsichtsrat der Beklagten
mit Beschluss vom 19. 6. 2010 genehmigt worden ist, wird zu
beachten sein, dass die drei Aufsichtsratsmitglieder aus dem La-
ger B. H. bei dieser Beschlussfassung keinem Stimmverbot un-
terlagen, weil sie in der Aufsichtsratssitzung vom 26. 10. 2009
gegen die Abberufung der Kla¨ger gestimmt hatten. Ein Stimm-
verbot unter dem Gesichtspunkt des Verbots des Richtens in
eigener Sache
13
kann hier nicht aus dem Umstand hergeleitet
werden, dass im Rahmen der Klage der abberufenen Vorstands-
mitglieder die Frage eine Rolle spielen ko¨nnte, ob bei der Be-
schlussfassung des Aufsichtsrats u¨ber die Abberufung drei Auf-
sichtsratsmitglieder ihr Stimmrecht – wie der Aufsichtsratsvor-
sitzende angenommen hat – rechtsmissbra¨uchlich ausgeu¨bt ha-
ben. Wegen der Aufgabenverteilung zwischen Vorstand und
Aufsichtsrat wird ha¨ufig in Prozessen mit Vorstandsmitgliedern
die Wirksamkeit eines den Vorstand betreffenden Aufsichtsrats-
beschlusses zu kla¨ren sein. Es widerspra¨che der Kompetenz-
zuweisung des § 112 AktG, wollte man bei der Beschlussfassung
des Aufsichtsrats u¨ber die Vertretung der Gesellschaft in einem
Prozess gegen Vorstandsmitglieder ein Stimmverbot von Auf-
sichtsratsmitgliedern allein schon deshalb annehmen, weil diese
an einer fru¨heren, fu¨r den Gegenstand des Prozesses (mo¨glicher-
weise) bedeutsamen Beschlussfassung des Aufsichtsrats beteiligt
waren.
Behandlung der Stimmabgabe eines Aufsichtsratsmitglieds im
Falle eines nichtigen Wahlbeschlusses
25
I
3.
Sollte es im Zusammenhang mit der Beschlussfassung des
Aufsichtsrats vom 19. 6. 2010 auf die Wirksamkeit der Stimm-
abgabe des B. H. ankommen, wird zu pru¨fen sein, ob die Wahl
des B. H. zum Aufsichtsratsmitglied nichtig war. Entgegen der
Auffassung des Berufungsgerichts wu¨rde die Nichtigkeit der
Wahl dazu fu¨hren, dass auch die Stimmabgabe des B. H. nich-
tig, nicht zu za¨hlen und damit die Genehmigung der bisherigen
Prozessfu¨hrung beschlossen gewesen wa¨re.
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I
a)
Ist der Beschluss u¨ber die Wahl eines Aufsichtsratsmit-
glieds nichtig, wird die gewa¨hlte Person fu¨r die Stimmabgabe
und Beschlussfassung im Aufsichtsrat wie ein Nichtmitglied be-
handelt
14
. War die Stimme des als Nichtmitglied zu behandeln-
den Aufsichtsratsmitglieds fu¨r die Beschlussfassung oder die Ab-
lehnung eines Beschlussantrags ursa¨chlich, ist ein entsprechen-
der Beschluss nicht gefasst worden oder kommt sogar die Um-
kehrung des Beschlussergebnisses in Betracht
15
. Die Lehre vom
faktischen Organ, nach der die Handlungen des nichtig bestell-
ten Aufsichtsratsmitglieds als wirksam anzusehen sind, ist auf
die Stimmabgabe bei der Beschlussfassung des Aufsichtsrats
u¨ber die Genehmigung einer vollmachtlosen Prozessfu¨hrung im
Prozess mit dem Vorstand nicht anwendbar. Der Vorstand ist
als Organ der Gesellschaft nicht schutzwu¨rdig, weil er die Nich-
tigkeit der Wahl kennen muss
16
.
Nichtigkeit der Wahl zum Aufsichtsratsmitglied wegen Verstos-
ses gegen § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AktG
27
I
b)
Die Wahl von B. H. zum Aufsichtsratsmitglied
ko¨nnte nichtig sein, weil er bei seiner Wahl am 7. 7. 2007
und auch danach Gescha¨ftsfu¨hrer der P. GmbH war, deren
Anteile sich mehrheitlich im Eigentum der Beklagten befan-
den.
28
I
Nach § 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG ist die Wahl eines Aufsichts-
ratsmitglieds nichtig, wenn die gewa¨hlte Person nach § 100
Abs. 1 und 2 AktG bei Beginn ihrer Amtszeit nicht Aufsichts-
ratsmitglied sein kann. Nach § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AktG
kann Mitglied eines Aufsichtsrats nicht sein, wer gesetzlicher
Vertreter eines von der Gesellschaft abha¨ngigen Unternehmens
ist. Nach § 17 Abs. 2 AktG wird vermutet, dass ein im Mehr-
heitsbesitz stehendes Unternehmen abha¨ngig i. S. des § 17
Abs. 1 AktG und damit i. S. des § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
AktG ist.
29
I
Die Vermutung des § 17 Abs. 2 AktG kann widerlegt sein,
wenn der Mehrheitsgesellschafter seinen ihm sonst zukommen-
den Einfluss nicht entfalten kann
17
. Die Kla¨ger haben im
Rechtsbeschwerdeverfahren geltend gemacht, die P. GmbH sei
im relevanten Zeitraum nicht i. S. der § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2,
§ 17 AktG von der Beklagten abha¨ngig gewesen. Das Beru-
fungsgericht wird sich ggf. mit dem Vortrag der Kla¨ger zur Wi-
derlegung der Abha¨ngigkeitsvermutung des § 17 Abs. 2 AktG –
eventuell nach erga¨nzendem Vorbringen der Parteien – befassen
mu¨ssen.
Treuwidrigkeit der Ablehnung, Prozessfu¨hrung der Gesellschaft
zu genehmigen
30
I
4.
Schließlich wird darauf hingewiesen, dass in einem Fall
wie dem vorliegenden die Ablehnung des Antrags, durch Be-
schluss des Aufsichtsrats die Prozessfu¨hrung der Gesellschaft ge-
gen eine Klage von Vorstandsmitgliedern zu genehmigen, schon
deshalb treuwidrig und damit nichtig sein kann, weil die Klage
gegen einen Beschluss des Aufsichtsrats (hier: auf Abberufung
der Kla¨ger als Vorstandsmitglieder) gerichtet ist. Die Weigerung
des Aufsichtsrats, der Aktiengesellschaft die Mo¨glichkeit zu ge-
ben, sich gegen vom Vorstand erhobene Klagen, die die Wirk-
samkeit von Aufsichtsratsbeschlu¨ssen zum Gegenstand haben,
zu verteidigen, wird nur in ganz besonders gelagerten Ausnah-
mefa¨llen dem Unternehmenswohl entsprechen. Es liegt vielmehr
regelma¨ßig nahe, dass die Aufsichtsratsmitglieder sich von sach-
fremden Erwa¨gungen leiten lassen, wenn sie der Gesellschaft in
einem solchen Fall die Rechtsverteidigung unmo¨glich machen.
Dies gilt insbesondere, wenn wie hier gerade die Aufsichtsrats-
mitglieder, deren Stimmrechtsausu¨bung bei der Fassung des von
den Vorstandsmitgliedern beanstandeten Aufsichtsratsbeschlus-
ses durch den Aufsichtsratsvorsitzenden als missbra¨uchlich ge-
wertet worden ist, durch die Verweigerung der Genehmigung
der Prozessfu¨hrung die gerichtliche U¨ berpru¨fung des Aufsichts-
ratsbeschlusses verhindern.
12
Hu¨ffer
, AktG, 10. Aufl., § 112 Rdn. 7;
Spindler
, in: Spindler/Stilz, AktG,
2. Aufl., § 122 Rdn. 44;
Drygala
, in: Karsten Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl.,
§ 112 Rdn. 19;
Habersack
, in: Mu¨nchKomm-AktG, 3. Aufl., § 107 Rdn. 61;
Mertens/Cahn
, in: Ko¨lnKomm-AktG, 3. Aufl., § 107 Rdn. 55;
Roth
, in: Hopt,
Großkomm-AktG, 4. Aufl., § 107 Rdn. 125, § 112 Rdn. 108.
13 Vgl. dazu BayObLG, Beschluss vom 28. 3. 2003 – 3 Z BR 199/02, DB 2003
S. 1265 = ZIP 2003 S. 1194 (1196);
Tomasic
, in: Grigoleit, AktG, § 108
Rdn. 28;
Roth
, a.a.O. (Fn. 12), § 108 Rdn. 55.
14 BGH-Urteil vom 19. 2. 2013 – II ZR 56/12, DB 2013 S. 806 = ZIP 2013
S. 720, Rdn. 20.
15 Vgl. BGH vom 19. 2. 2013, a.a.O. (Fn. 14), Rdn. 21.
16 Vgl. BGH vom 19. 2. 2013, a.a.O. (Fn. 14), Rdn. 23.
17 Vgl. hierzu
Emmerich
, in: Emmerich/Habersack, Aktien und GmbH-Konzern-
recht, 6. Aufl., § 17 Rdn. 39 f.;
Hu¨ffer
, a.a.O. (Fn. 12), § 17 Rdn. 21 f.;
Lieb-
scher
, in: Mu¨nchKomm-GmbHG, § 13 Anh. Rdn. 114.
DER BETRIEB | Nr. 25 | 21. 6. 2013
Wirtschaftsrecht
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