ne relevante Beeinflussung der Sanierungsbereitschaft durch die
Gewerkschaftseinbindung
festgestellt werden. Nach Expertenmei-
nung nimmt diese, jedenfalls im Rahmen der Sanierung mittel-
sta¨ndischer Betriebe, offenbar nur eine untergeordnete Relevanz
ein. Betont wurde jedoch, dass die Gewerkschaften teils eine
durchaus „[. . .]
positive und sehr kooperative Rolle spielen
“
40
.
b) Vertrauen
Gema¨ß den Expertenaussagen sei es „
[. . .] ganz essentiell, dass
das Management in der Sanierung oder in der Insolvenz noch das
Vertrauen der Stakeholder hat
“
41
. Zumeist wird dieses personelle
Vertrauen in der Insolvenz jedoch kaum zu gewa¨hrleisten sein.
Vielmehr scheint es durch das sog. „
Systemvertrauen
“
42
– hier das
noch vorhandene Vertrauen in das (insolvente) Unternehmen
und dessen Reputation – ersetzt zu werden. Dieses kann trotz
fehlendem Vertrauen auf der personalen Ebene weiterbestehen
43
,
es jedoch nicht vollsta¨ndig ersetzen. Entsprechend agieren sog.
„Boundary Spanner“ als personifizierte Bindung zwischen den
Akteuren und dem Vertrauenssystem. Diese Position scheint
prima¨r dem Insolvenzverwalter zuzukommen, dessen Aufgabe es
sei, „
[. . .] das unkoordinierte Zusammenlaufen der Gla¨ubiger, die
ihr Vertrauen verloren haben, zu koordinieren
“
44
. Da auch das Zu-
trauen in die Kompetenzen der Akteure in der Vertrauensbil-
dung einen wesentlichen Faktor darstellt, ist ebenfalls die Rele-
vanz der bereits erla¨uterten Determinanten der internen, fachli-
chen Expertise sowie der Insolvenz- und Branchenexpertise des
Insolvenzverwalters herauszustellen.
c) Risikobereitschaft
Den Aussagen der befragten Experten folgend, hat die
Risiko-
bereitschaft
der einzelnen Stakeholder einen erheblichen Einfluss
auf ihre Sanierungsbereitschaft.
Die Sanierungsforschung wird bisher von Ansa¨tzen dominiert,
die eine erho¨hte Risikoaffinita¨t von Krisenunternehmen unterstel-
len
45
. Nach Meinung der befragten Experten scheint dies die rea-
len Verha¨ltnisse der Unternehmenspraxis nicht widerzuspiegeln;
vielmehr legen spa¨te Insolvenzanmeldungen nahe, dass risikoaf-
fine (als „insolvenzaffine“) Entscheidungen wohl eher die Ausnah-
me als die Regel sind
46
. Damit stellt sich die Frage, in welchemRi-
sikobereich sich die einzelnen Stakeholder zum Entscheidungs-
zeitpunkt befinden. Nach dem Risikomodell der drei Referenz-
punkte
47
verhalten sich existenziell bedrohte Entscheider risikoa-
vers (vgl. Abb. 4
48
: „Survival Point“; hier: die (drohende) Insol-
venz), was das Verhalten in der Praxis erkla¨ren ko¨nnte.
Eine besondere Position nimmt dabei die Risikobereitschaft des
Insolvenzverwalters
ein. Nach Aussagen der befragten Experten
fu¨hren die weitreichenden Haftungsrisiken
49
der Insolvenzsanie-
rung dazu, „
[. . .] dass viele Verwalter [. . .] immer versuchen werden,
diesenWeg des geringstenWiderstandes zu gehen
“
50
„
und da trennt sich
so ein bisschen die Spreu vom Weizen bei der Haftungsu¨ bernahme-
bereitschaft der deutschen Insolvenzverwalter
“
51
. Es konnte jedoch
festgestellt werden, dass die Risikoaversion der Verwalter durch
den mo¨glichen Reputationsgewinn bei erfolgreicher Durchfu¨h-
rung einer Sanierung aufgehoben wird. So steige „
[. . .] natu¨ rlich
die Chance, [. . .] dass ich vorgeschlagen werde von Gla¨ubigern fu¨ r wei-
tere Positionen, wenn ich saniere
“
52
. Die Sanierung ist somit zwar ri-
sikoreicher, erho¨ht jedoch die Reputation des Verwalters. Seine
Risikoneigung ist offenbar davon abha¨ngig, wie hoch der „gefu¨hl-
te“ Reputationsverlust einer Liquidation von ihm angesetzt wird.
Weniger renommierte Verwalter scheinen – im Gegensatz zu re-
nommierten Verwaltern – den Reputationsverlust als weniger
drastisch zu empfinden; sie neigen daher imZweifel zur Zerschla-
gung / Liquidation des Unternehmens.
Die
Sanierungsberater
handeln nach Aussagen der Experten
zumeist risikoavers (im Sinne einer Insolvenzvermeidung): „
Si-
cherlich, wenn jemand eine langfristige Kundenbeziehung aufgebaut
hat als Berater in einem Unternehmen, wird er eher vor einer Insol-
venzvariante zuru¨ ckschrecken
“
53
. Diese Risikoaversion scheint in
der Praxis auch dadurch besta¨rkt zu werden, dass Berater mit
Eintritt der Insolvenz nicht selten durch den Insolvenzverwalter
ausgetauscht werden. Den Aussagen der interviewten Experten
folgend, scheint sich dies sogar auf eine eher positive Bewertung
von Krisenunternehmen im Rahmen von Sanierungsgutachten
auszuwirken, wodurch „
[. . .] die Insolvenzantragstellung durch
das Einschalten von Sanierungsberatern, die Erstellung von Gut-
achten und so weiter nur hinausgezo¨gert [wu¨ rde]
“
54
. Dieses Ergeb-
nis scheint zuna¨chst alarmierend, allerdings ist es insofern zu re-
lativieren, als dass die Experten stets von einer signifikant-positi-
ven Korrelation zwischen Insolvenzexpertise der Berater und ih-
rer Risiko-/Insolvenzaffinita¨t berichteten.
d) Anreizsysteme
Spa¨testens mit Anmeldung der Insolvenz ist das extrinsische
Motiv der individuellen Sicherheit (z. B. Existenzsicherung
durch regelma¨ßiges Einkommen) der Mitarbeiter bedroht; die
steigende Arbeitsbelastung kann zudem die intrinsische Motiva-
tion verringern. Um resultierenden Abwanderungstendenzen der
Leistungstra¨ger
entgegenzuwirken, scheint es aus Sicht der be-
fragten Experten besonders erstrebenswert, deren Motivation
(auch) durch die Gewa¨hrung moneta¨rer Anreize sicherzustellen.
In diesem Zusammenhang spielen nicht zuletzt Retention-Boni
(Treue-/Bleibepra¨mien) eine erhebliche Rolle
55
. Letztlich kann
ha¨ufig nur so das erfolgskritische, interne Fachwissen (s. o.) si-
chergestellt werden.
40 Experte G.
41 Experte V.
42 Vgl. hierzu
Luhmann
, in: Hartmann, Vertrauen: die Grundlage des sozialen
Zusammenhalts, 2001, S. 143-160.
43 Vgl.
Gilbert
, Zeitschrift fu¨r Management 2007 S. 93.
44 Experte X.
45 Vgl.
Bowman
, Sloan Management Review 1982 S. 40 sowie allgemein den
entscheidungstheoretischen Ansatz der Prospect Theory von
Kahneman/
Tversky
, Econonmetrica 1979 S. 263-292.
46 Dieses Missverha¨ltnis zwischen Theorie und Praxis wurde ebenfalls in zahl-
reichen Vero¨ffentlichungen, insbesondere der strategischen Management-
lehre, kritisiert. Vgl.
Audia/Greve
, Management Science 2006 S. 83-94 sowie
die „threat rigidity thesis“ von
Staw/Sandelands/Dutton
, Administrative Sci-
ence Quarterly 1981 S. 501 ff.
47 Vgl.
Hu/Blettner/Bettis
, Strategic Management Journal 2011 S. 1426-1436.
48 Das Anspruchsniveau kennzeichnet eine subjektive, psychische Vergleichs-
gro¨ße des Entscheiders, die maßgeblich auf Erfahrungswerten beruht.
49 Vgl. zu der besonderen insolvenzrechtlichen Haftungslage bei der Betriebs-
fortfu¨hrung nach ESUG
Brinkmann
, DB 2012 S. 1313-1319 (1369-1372) so-
wie allgemein
Smid
, Grundzu¨ge des Insolvenzrechts, 4. Aufl. 2002, S. 195.
50 Experte X.
51 Experte K.
52 Experte Z.
53 Experte X.
54 Experte D.
55 Vgl.
Mu¨ckl
, Zeitschrift fu¨r Wirtschaftsrecht 2012 S. 1642-1649.
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Betriebswirtschaft
DER BETRIEB | Nr. 15 | 12. 4. 2013