Vergleicht man die neue Rechtslage mit dem bisherigen
Recht, so sind folgende Unterschiede festzustellen. Das neue
Verfahren fu¨hrt zu einer Verbesserung des Rechtsschutzes, weil
die Ablehnung einer gesonderten Feststellung durch das FA von
der Ko¨rperschaft mit Einspruch bzw. Verpflichtungsklage ange-
griffen werden kann
24
. Die gesonderte Feststellung bindet – an-
ders als die Vorla¨ufigkeitsbescheinigung – nicht lediglich das
ausstellende FA nach Treu und Glauben, sondern begru¨ndet
eine verfahrensrechtliche Bindung nach § 182 AO, die es z. B.
auch einem FG verwehrt, bei bestandskra¨ftiger Feststellung die
satzungsma¨ßige Gemeinnu¨tzigkeit der Einrichtung infrage zu
stellen
25
. Die Bindungswirkung ist zudem nicht auf die Veranla-
gung zur KSt beschra¨nkt, sondern betrifft – anders als nach bis-
herigem Recht
26
– auch die Festsetzung anderer Einzelsteuern
(z. B. USt). Des Weiteren sind auch die Wohnsitz-FA¨ der
Spender und Mitglieder an die Feststellung gebunden. Sie ko¨n-
nen also z. B. nicht von sich aus die satzungsma¨ßige Gemein-
nu¨tzigkeit der Empfa¨ngerko¨rperschaft infrage stellen (und diese
z. B. als Berufsverband behandeln). Schließlich schafft die ge-
sonderte Feststellung auch eine tragfa¨hige verfahrensrechtliche
Grundlage fu¨r die Berechtigung zur Ausstellung von Zuwen-
dungsbesta¨tigungen
27
. Dass die Bindungswirkung der gesonder-
ten Feststellung nur „ceteris paribus“ gilt, also z. B. bei einer ge-
meinnu¨tzigkeitsscha¨dlichen nachtra¨glichen Satzungsa¨nderung
nach § 60a Abs. 3 AO entfa¨llt, liegt auf der Hand
28
.
Abschließend ist – „ceterum censeo [...]“ – darauf hinzuwei-
sen, dass § 60a AO natu¨rlich auch fu¨r Ko¨rperschaften mit Sitz
und Gescha¨ftsleitung in EU-Staaten gilt, die z. B. in Deutsch-
land um Spenden werben wollen (vgl. auch § 10b Abs. 1 Satz 2
Nr. 3 EStG). Sie beno¨tigen ku¨nftig eine gesonderte Feststellung
nach § 60a AO, damit sie nach § 63 Abs. 5 Nr. 1 AO u¨berhaupt
zur Ausstellung von Zuwendungsbesta¨tigungen i. S. von § 50
EStDV berechtigt sind. Hier stellt sich allerdings die Frage der
o¨rtlichen Zusta¨ndigkeit eines FA, fu¨r die – mangels eines inla¨n-
dischen Sitzes oder einer inla¨ndischen Gescha¨ftsleitung – wohl
auf § 20 Abs. 3 und 4 AO zuru¨ckgegriffen werden muss
29
. In
den Gesetzesmaterialien findet man zu alledem nichts, sodass
man den Eindruck gewinnen muss, dass es dem deutschen Ge-
setzgeber ganz recht ist, wenn Direktspenden ins EU-Ausland
weiterhin die Ausnahme bleiben (die großen internationalen Or-
ganisationen bedienen sich ohnehin seit jeher inla¨ndischer
„Durchleitungsstellen“ i. S. von § 58 Nr. 1 AO).
5. Ru¨cklagen- und Vermo¨gensbildung (§ 62 AO)
Im Bereich der Ru¨cklagen- und Vermo¨gensbildung sind gegen-
u¨ber dem Regierungsentwurf nur zwei kleine A¨ nderungen zu
vermelden: Zum einen ist die fehlerhafte U¨ berschrift zu § 62
AO bereinigt worden (es heißt jetzt richtig „Vermo¨gensbildung“
statt „Vermo¨gensverwendung“). Ferner wurde der Eingangssatz
in § 62 Abs. 3 AO gea¨ndert. Ku¨nftig ist nicht mehr von „Ver-
mo¨genszufu¨hrung“ die Rede, sondern es wird – praktisch umge-
kehrt – festgestellt, dass die entsprechenden Mittel nicht der
Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung unterliegen.
Ob die „Umbettung“ der Vorschriften zur Ru¨cklagen- und
Vermo¨gensbildung von § 58 Nr. 6, 7, 11 und 12 AO a. F. in
den neuen § 62 AO systematisch wirklich geboten war
30
, er-
scheint nach wie vor zweifelhaft, weil das neue Umfeld (zwi-
schen Vermo¨gensbindung und tatsa¨chlicher Gescha¨ftsfu¨hrung)
auch nicht recht passt
31
. Fu¨r die praktische Arbeit mit dem Ge-
setz ist jedenfalls zu beachten, dass sich durch diese A¨ nderung –
zur Freude aller Satzungsgestalter und Verfasser von Gemein-
nu¨tzigkeitsbu¨chern – nicht nur die „Hausnummern“ fu¨r die ver-
schiedenen Ru¨cklagen und Vermo¨gensbestandteile, sondern
auch die Ziffern in § 58 AO verschoben haben. Der Erwerb von
Gesellschaftsrechten ist nunmehr – soviel Systematik musste of-
fenbar sein – sogar doppelt geregelt (§§ 58 Nr. 9, 62 Abs. 1
Nr. 4 AO), je nachdem, ob laufende Mittel eingesetzt oder eine
Ru¨cklage fu¨r einen ku¨nftigen Erwerb gebildet werden sollen.
§ 62 AO regelt nunmehr die Voraussetzungen, unter denen
Mittel von der Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung aus-
genommen sind. Da die Aufza¨hlung in § 62 Abs. 1 Nr. 1-4 AO
nicht alle steuerlich zula¨ssigen Ru¨cklagen entha¨lt (es fehlt z. B.
die Betriebsmittelru¨cklage und die Ru¨cklage im steuerpflichtigen
wirtschaftlichen Gescha¨ftsbetrieb), handelt es sich nicht um eine
abschließende Regelung. Sieht man von den rein redaktionellen
A¨ nderungen ab, so entha¨lt § 62 AO drei sachliche Abweichun-
gen gegenu¨ber dem bisherigen Recht:
– § 62 Abs. 1 Nr. 2 AO entha¨lt erstmals eine ausdru¨ckliche Re-
gelung zur sog. „Ru¨cklage fu¨r Wiederbeschaffung“. Sie er-
laubt bei „beabsichtigten“ Wiederbeschaffungen eine Ru¨ck-
lagenzufu¨hrung i. H. der regula¨ren AfA. Abzuwarten bleibt,
wie eng die Finanzverwaltung das Merkmal „beabsichtigt“ in-
terpretieren wird. Sollten konkrete Planungen innerhalb des
bei § 58 Nr. 6 AO a. F. u¨blichen Zeithorizonts verlangt wer-
den, du¨rfte die Wiederbeschaffungsru¨cklage auf (bewegliche)
Vermo¨gensgegensta¨nde mit vergleichsweise kurzen Nut-
zungsdauern (Schulbeispiel: Der Rettungswagen der Hilfs-
organisation) beschra¨nkt bleiben, was steuerbegu¨nstigten
Ko¨rperschaften mit nutzungsgebundenen Immobilien eine
vorausschauende Wirtschaftsfu¨hrung durch den langfristigen
Aufbau von „Neuherstellungsru¨cklagen“ fu¨r Anstaltsgeba¨ude
(z. B. Krankenha¨user und Pflegeheime) erschwert.
– Ist der Ho¨chstbetrag fu¨r die Bildung der freien Ru¨cklagen
nach § 62 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 AO nicht ausgescho¨pft, kann
die Ru¨cklagenbildung nach Satz 2 innerhalb der folgenden
zwei Jahre nachgeholt werden
32
. Diese Flexibilisierung du¨rfte
z. B. von Bedeutung sein, wenn in Zukunft mit steigenden
Zinsertra¨gen gerechnet werden kann.
– § 62 Abs. 2 AO entha¨lt erstmals eine gesetzliche Regelung
u¨ber den Zeitpunkt der steuerlichen Ru¨cklagenbildung (bis
zum Ablauf der Mittelverwendungsfrist). Damit lo¨st sich die
steuerliche Ru¨cklagenbildung endgu¨ltig von der zivilrecht-
lichen Ergebnisverwendung. Denn die vereins- oder gesell-
schaftsrechtlichen Beschlu¨sse u¨ber die Bildung von Gewinn-
ru¨cklagen im Jahresabschluss eines Vereins oder einer
gGmbH werden grds. im Folgejahr getroffen.
6. Tatsa¨chliche Gescha¨ftsfu¨hrung (§ 63 AO)
Gegenu¨ber dem Regierungsentwurf ist § 63 AO in zwei Punk-
ten vera¨ndert worden. Zum einen ist die Regelung zur Fristset-
24 Zu den Rechtsschutzmo¨glichkeiten nach altem Recht vgl.
Hu¨ttemann
, a.a.O.
(Fn. 23), § 7 Rdn. 11.
25 Vgl. zu diesem Risiko etwa das BFH-Urteil vom 23. 7. 2009 – V R 20/08,
BStBl. II 2010 S. 719 = DB 2009 S. 2245, wo eine fehlende Vermo¨gensbin-
dung beanstandet wurde.
26 Siehe dazu etwa BFH-Urteil vom 11. 3. 1999 – V R 57, 58/96, BStBl. II 1999
S. 331 = DB 1999 S. 1248.
27 Zu den Defiziten des bisherigen Rechts vgl. die kritische Analyse des BFH-
Urteils vom 19. 7. 2011 – X R 32/10, BFH/NV 2012 S. 179 bei
Hu¨ttemann
, FR
2012 S. 241.
28 Insoweit gilt nichts anderes als fu¨r die Bindung des FA nach Treu und Glau-
ben an die vorla¨ufige Bescheinigung nach AEAO Tz. 8 zu § 59 AO.
29 Vgl. auch
Schauhoff/Kirchhain
, FR 2013 S. 305.
30 Kritisch bereits
Hu¨ttemann
, DB 2012 S. 2593.
31 Der „alte“ § 62 AO betraf – systematisch korrekt – Ausnahmen fu¨r Stiftungen
und Betriebe gewerblicher Art von der Vermo¨gensbindung nach § 61 AO. Er
fiel der „causa“
Stauffer
zum Opfer.
32 A¨ hnlich bereits der Vorschlag von
Hu¨ttemann/Weitemeyer
, npoR 2009 S. 107.
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Steuerrecht
DER BETRIEB | Nr. 15 | 12. 4. 2013