Einkommensteuer/Abgabenordnung
Positive Differenz der Ru¨ckgewa¨hr von Einlagen
gegenu¨ber den Anschaffungskosten (§ 17 Abs. 4
Satz 1 EStG) als nachtra¨glich bekannt gewordene
Tatsache
Wesentliche Beteiligung – Ru¨ckgewa¨hr von Einlagen
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1; EStG § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c, § 17
Abs. 1 und 4; KStG § 27
1. Vereinnahmt der i. S. von § 17 Abs. 1 EStG beteiligte Stpfl.
Zuru¨ckzahlungen aus dem steuerlichen Einlagekonto
i. S. des § 27 KStG, erkla¨rt er im Rahmen seiner Veranlagung
aber keinen Vera¨ußerungsgewinn, sondern legt dem FA nur
eine Steuerbescheinigung u¨ber die zuru¨ckgezahlten Betra¨ge
vor, kann das FA einen ohne Beru¨cksichtigung eines Ver-
a¨ußerungsgewinns ergangenen ESt-Bescheid nach § 173
Abs. 1 Nr. 1 AO a¨ndern, wenn ihm nachtra¨glich bekannt wird,
dass die zuru¨ckgezahlten Einlagen die Anschaffungskosten
u¨bersteigen.
2. Der i. S. von § 17 Abs. 1 EStG beteiligte Gesellschafter erzielt
steuerbare Einnahmen aus § 17 Abs. 4 Satz 1, Satz 2 EStG
durch Zuru¨ckzahlung von Betra¨gen aus dem steuerlichen
Einlagekonto i. S. des § 27 KStG nur, soweit diese die An-
schaffungskosten der Beteiligung u¨bersteigen.
BFH-Urteil vom 19. 2. 2013 – IX R 24/12
u
DB0590224
Der Kla¨ger erwarb im Jahre 2003 70% der Anteile an einer GmbH von
deren Muttergesellschaft entgeltlich fu¨r 0,70 € im Rahmen eines Insol-
venzplanverfahrens der GmbH. Der Nominalwert betrug 179.000 €. Im
Anschluss an den Erwerb wurde eine Kapitalerho¨hung vorgenommen,
an der der Kla¨ger mit 31.000 € beteiligt war. Im Streitjahr (2006) erhielt
der Kla¨ger Ausschu¨ttungen aus dem steuerlichen Einlagekonto i. H.
von 1.400.000 €.
In seiner unter Mitwirkung einer Steuerberatungsgesellschaft angefer-
tigten Steuererkla¨rung fu¨r das Streitjahr machte der Kla¨ger in den vor-
gelegten Anlagen GSE und KAP keine Angaben zu der von der GmbH
erhaltenen Ausschu¨ttung oder u¨ber seine Anschaffungskosten der Be-
teiligung und legte auch keine Gewinnermittlung vor. Der Steuererkla¨-
rung beigefu¨gt war aber eine Steuerbescheinigung der GmbH. Darin
bescheinigte die GmbH am 8. 9. des Streitjahres, an diesem Tag an den
Kla¨ger fu¨r das Jahr 2005 1.400.000 € aus dem steuerlichen Einlagekon-
to (§ 27 KStG) bezahlt zu haben.
Das FA beru¨cksichtigte im ESt-Bescheid fu¨r das Streitjahr vom 7. 1.
2008 keine Einku¨nfte aus § 17 EStG. Infolge einer Außenpru¨fung ge-
langte das FA zu der Auffassung, dass der Kla¨ger durch die Ausschu¨t-
tung einen Vera¨ußerungsgewinn nach § 17 Abs. 4 EStG von
1.368.999 € erzielt habe, der nach dem Halbeinku¨nfteverfahren gem.
§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c EStG zur Ha¨lfte, also i. H. von 684.499 €
zu versteuern sei. Dementsprechend a¨nderte das FA den ESt-Bescheid
unter Berufung auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO durch A¨ nderungsbescheid
vom 8. 7. 2010, erfasste bei den Einku¨nften aus Gewerbebetrieb zusa¨tz-
lich einen Vera¨ußerungsgewinn von 684.499 € und setzte die ESt fu¨r
das Streitjahr auf 357.249 € fest.
Die Klage, mit der sich der Kla¨ger gegen die A¨ nderbarkeit des ur-
spru¨nglichen ESt-Bescheids wandte, hatte keinen Erfolg: Nicht allein
die Ausschu¨ttung des Eigenkapitals bilde den steuerbaren Tatbestand.
Steuerbar sei der Vorgang erst dann, soweit die Ausschu¨ttung die An-
schaffungskosten u¨bersteige. Dem FA sei im maßgebenden Zeitpunkt
der abschließenden Zeichnung aber nicht bekannt gewesen, dass der
Vera¨ußerungspreis die Anschaffungskosten u¨berstiegen habe. Diese
steuerrelevante Tatsache sei dem FA erst bei der Außenpru¨fung be-
kannt geworden. Das FA sei auch nicht nach Treu und Glauben daran
gehindert gewesen, den ESt-Bescheid zu a¨ndern. Zwar habe es weiter-
gehende Ermittlungen unterlassen, dem stu¨nde aber die nicht genu¨gen-
de Mitwirkungspflicht des Kla¨gers entgegen. Bei der auf das punktuelle
Ereignis einer Einlagenru¨ckgewa¨hr bezogenen Kenntnis u¨ber einen
Mittelzufluss sei nicht auf das Vorhandensein eines Gewinns zu schlie-
ßen. Hiergegen richtet sich die Revision des Kla¨gers.
AUS DEN GRU¨ NDEN
1 . . . 8
I
Die Revision ist unbegru¨ndet. Zutreffend hat das FG das
FA als berechtigt angesehen, den ESt-Bescheid fu¨r das Streitjahr
nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu a¨ndern. Die Voraussetzungen
dieser Vorschrift liegen im Streitfall vor. Es sind Tatsachen
nachtra¨glich bekannt geworden, die zu einer ho¨heren ESt fu¨h-
ren. Erst aufgrund der Außenpru¨fung erfuhr das FA von steuer-
baren Einnahmen i. S. des § 17 Abs. 4 Satz 1 und 2 EStG.
Voraussetzung einer A¨ nderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO . . .
9
I
1.
Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide zu a¨n-
dern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachtra¨glich bekannt
werden, die zu einer ho¨heren Steuer fu¨hren. Tatsachen i. S. der
Vorschrift sind Lebensvorga¨nge, die insgesamt oder teilweise
einen gesetzlichen Steuertatbestand oder das einzelne Merkmal
eines solchen Tatbestands erfu¨llen
1
.
. . . ist u. a. das nachtra¨gliche Bekanntwerden einer „steuer-
relevanten Tatsache“
10
I
a)
Wenn im Streitfall das FG es als „steuerrelevante Tatsa-
che“ ansieht, dass die aus dem Einlagekonto zugeflossenen Zah-
lungen die Anschaffungskosten u¨berstiegen haben, so mag of-
fenbleiben, ob es sich bei der Differenz von Einnahmen und Er-
werbsaufwendungen um eine Tatsache i. S. des § 173 Abs. 1
Nr. 1 AO oder nicht vielmehr um eine Schlussfolgerung han-
delt
2
. Nach der Rspr. sind Einku¨nfte als eine Tatsache anzuse-
hen und einheitliche Einku¨nfte nicht in Einnahmen und Aus-
gaben aufzuspalten, wenn sich nachtra¨glich, z. B. nach einer
Scha¨tzung, ergibt, dass Einku¨nfte einer Einkunftsart als Unter-
schied zwischen steuerbaren Einnahmen und Erwerbsaufwand
nicht oder nicht richtig erkla¨rt und beru¨cksichtigt wurden
3
.
Steuerbare Einnahmen des Kla¨gers wurden nachtra¨glich be-
kannt
11
I
b)
Indes geht es um diese Problematik hier nicht. Das FG
hat den Sachverhalt zutreffend dahin gewu¨rdigt, dass das FA bei
Vornahme der urspru¨nglichen Veranlagung nicht wusste, dass
der Kla¨ger steuerbare Einnahmen gem. § 17 Abs. 4 Satz 2 EStG
erzielt hat. Zwar war ihm die Tatsache der Zuru¨ckzahlung von
Betra¨gen aus dem steuerlichen Einlagekonto i. S. des § 27 KStG
bereits aufgrund der Steuerbescheinigung der GmbH bekannt,
die der Steuererkla¨rung beigefu¨gt worden war. Ferner wusste das
FA aufgrund eines in den Akten enthaltenen Vermerks vom
18. 10. 2001, dass der Kla¨ger i. S. von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG
qualifiziert an der GmbH beteiligt war. Damit waren aber noch
nicht alle Tatsachen schon im Zeitpunkt der urspru¨nglichen
Veranlagung bekannt, um den Steuertatbestand bei der Steuer-
festsetzung feststellen zu ko¨nnen.
1 St. Rspr., z. B. BFH-Urteil vom 13. 5. 2004 – IV R 11/02, BFH/NV 2004
S. 1400, m. w. N.
2 Vgl. dazu
Loose
, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rdn. 2;
von Groll
, in:
Hu¨bschmann/Hepp/Spitaler, § 173 AO Rdn. 73, m. w. N.
3 Vgl. BFH-Urteil vom 1. 10. 1993 – III R 58/92, BStBl. II 1994 S. 346 = DB
1994 S. 360 (Ls.); vom 10. 7. 2008 – IX R 4/08, BFH/NV 2008 S. 1803.
DER BETRIEB | Nr. 17 | 26. 4. 2013
Steuerrecht
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