RA Dr. Ru¨diger Litten, LL.M. / RA und Dipl.-Betriebswirt (BA) Alexander Schwenk, Frankfurt/M.
EMIR – Auswirkungen der OTC-Derivateregulie-
rung auf Unternehmen der Realwirtschaft (Teil 2)
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DB0589225
Der Aufsatz wird aus Heft 16 fortgesetzt.
III. Compliance-Pflichten von Unternehmen der Real-
wirtschaft unter EMIR
2. Die einzelnen Compliance-Pflichten
c) Clearingpflicht
Die Einfu¨hrung einer Clearingpflicht u¨ber zwischengeschaltete
CCPs bildet das Herzstu¨ck der EMIR. Sie soll den Vertragspar-
teien das Risiko des Ausfalls ihres Partners abnehmen, sodass
ein „Dominoeffekt“ bei Ausfall eines Handelsteilnehmers, der
zum Zusammenbruch weiterer Handelsteilnehmer fu¨hren kann,
vermieden wird. Durch die Einfu¨hrung wandelt sich die Markt-
struktur von einer bilateralen zu einer zentralen
93
. Die CCP
u¨bernimmt bei jedem Abschluss die Rolle einer Gegenpartei fu¨r
jede Seite des Gescha¨fts. Die beiden Handelspartner sind nun
gegenu¨ber der CCP berechtigt und verpflichtet, d. h. die Risiko-
position einer jeden Partei auf diesem Markt besteht nun gegen-
u¨ber ein und derselben Gegenpartei
94
.
Anknu¨pfungspunkt der Clearingpflicht ist Art. 4 Abs. 1
EMIR. Hiernach sind Gegenparteien zum Clearing aller OTC-
Derivatekontrakte verpflichtet, die zu einer Derivatekategorie
geho¨ren, die der Clearingpflicht gem. Art. 5 Abs. 2 a) EMIR
unterliegt, wenn die Kontrakte u. a.
– zwischen zwei finanziellen Gegenparteien abgeschlossen wur-
den,
– zwischen einer finanziellen Gegenpartei und einer nichtfinan-
ziellen Gegenpartei, die u¨ber der sog. Clearingschwelle liegt,
abgeschlossen wurden,
– zwischen zwei nichtfinanziellen Gegenparteien abgeschlossen
wurden, die beide u¨ber der Clearingschwelle liegen
95
.
Daneben setzt Art. 4 Abs. 1 b) EMIR voraus, dass der jeweilige
OTC-Derivatekontrakt auch vom zeitlichen Anwendungs-
bereich der Clearingpflicht erfasst wird. Vor diesem Hinter-
grund haben nichtfinanzielle Gegenparteien die Anwendbarkeit
der Vorschriften zur Clearingpflicht wie folgt zu pru¨fen:
aa) Clearingpflichtige OTC-Derivatekontrakte
Nur OTC-Derivatekontrakte, die zu einer Derivatekategorie ge-
ho¨ren, die der Clearingpflicht gem. Art. 5 Abs. 2 a) EMIR un-
terliegen, sind clearingpflichtig (Art. 4 Abs. 1 EMIR). Das sind
nur die sog. „standardisierten“ OTC-Derivatekontrakte. Welche
OTC-Derivatekontrakte genau als standardisiert i. S. des Art. 5
Abs. 2 EMIR gelten und damit einer Clearingpflicht unterliegen
werden, wird in einem von den nationalen Aufsichtsbeho¨rden
und ESMA gesteuerten Prozess festgelegt
96
und in dem o¨ffentli-
chen Register i. S. von Art. 6 EMIR publiziert
97
.
Bei der Ermittlung der clearingpflichtigen Derivatekategorien
hat ESMA gem. Art. 5 Abs. 4 EMIR zu beru¨cksichtigen:
– den Standardisierungsgrad der Vertragsbedingungen und der
operativen Prozesse bei der betreffenden Kategorie von
OTC-Derivaten,
– das Volumen und die Liquidita¨t der jeweiligen OTC-Deri-
vatekategorie sowie
– die Verfu¨gbarkeit von fairen, zuverla¨ssigen und allgemein ak-
zeptierten Preisbildungsinformationen der jeweiligen OTC-
Derivatekategorie.
Die Frage der Standardisierung wird also rechtlich und operatio-
nell gepru¨ft. Hier soll ESMA beru¨cksichtigen, ob die Vertrags-
bedingungen auf Basis der fu¨r die jeweilige Derivatekategorie ge-
bra¨uchlichen Rechtsdokumente, u. a. Netting-Rahmenverein-
barungen, Definitionen, Standardbedingungen und -besta¨tigun-
gen dokumentiert sind
98
(z. B. gem. ISDA, DRV) und ob die
operativen Prozesse der jeweiligen Derivatekategorie automati-
sierten post-trade-Verarbeitungen und „lifecycle events“ unter-
liegen, die die Gegenparteien nach einem allgemein vereinbarten
Zeitplan auf einheitliche Weise handhaben
99
.
Bei der Liquidita¨tsermittlung soll das Verha¨ltnis zwischen
den Margenanforderungen des CCP und dem Risiko, das die
Clearingverpflichtung mindern will, beru¨cksichtigt werden
100
.
Ferner wird ESMA die langfristige Stabilita¨t der Gro¨ße und
Tiefe des Markts in Bezug auf das Produkt und die Wahrschein-
lichkeit, dass die Marktdurchdringung der jeweiligen Derivate-
kategorie auch beim Ausfall eines Clearingmitglieds ausreichend
bleiben wird, zu beru¨cksichtigen haben
101
. Der Grund fu¨r die
Verknu¨pfung der Liquidita¨t mit dem Margin-Gedanken liegt
darin, dass CCPs mo¨glicherweise hoch illiquide Instrumente
clearen ko¨nnten, indem sie unverha¨ltnisma¨ßig hohe Margenzah-
lungen fordern. In einer solchen Situation wa¨re es nicht ange-
messen, eine Clearingverpflichtung aufzustellen; das Ziel der
EMIR, systemisches Risiko zu minimieren, wu¨rde verfehlt
102
.
Dr. Ru¨diger Litten
ist Partner,
Alexander Schwenk
Of Counsel im
Frankfurter Bu¨ro der internationalen Sozieta¨t Norton Rose LLP.
93 Kommission, KOM (2009) 332, S. 6 f.
94 Kommission, KOM (2009) 332, S. 7. Ausnahmen bestehen, wenn mehrere
CCPs u¨ber sog. Interoperabilita¨tsvereinbarungen verbunden sind (vgl.
Art. 51 ff. EMIR sowie ESMA, Final Report, Guidelines and Recommendations
for establishing consistent, efficient and effective assessments of interope-
rability arrangements (ESMA/2013/323) vom 15. 3. 2013).
95 Auf einen weiteren, in Art. 4 Abs. 1 a) lit v) EMIR genannten Drittstaaten-
sachverhalt sei vorsorglich hingewiesen. Die Frage, wann ein Kontrakt „un-
mittelbare, wesentliche und vorhersehbare Auswirkungen innerhalb der Uni-
on hat“ ist neben anderen grenzu¨berschreitenden Sachverhalten Gegen-
stand noch andauernder internationaler Abstimmungen (vgl. nur Schreiben
des ESMA Chairman Steven Maijoor an das Agriculture Committee of the U.S.
House of Representatives vom 13. 12. 2012).
96 Verfahrensdarstellung bei
Gsta¨dtner
, RdF 2012 S. 145 (150), insbesondere
zum sog. Bottom-Up und Top-Down-Approach.
97 Das Register wird auch auf der Website von ESMA vero¨ffentlicht, Art. 6
Abs. 1 Satz 2 EMIR. Aktuell von hohem Interesse ist die Frage, ob und ggf.
auf welchem Wege Foreign Exchange (FX) Swaps aus der Clearing-Pflicht he-
rausgenommen werden ko¨nnen, nachdem diese bereits unter dem Dodd-
Frank Act privilegiert wurden; vgl. dazu EU-Kommission, EMIR: Frequently
Asked Questions, Ziff. II. 2.
98 Vgl. Art. 7 Abs. 1 a) VO (EU) Nr. 149/2013.
99 Vgl. Art. 7 Abs. 1 b) VO (EU) Nr. 149/2013.
100 Vgl. Art. 7 Abs. 2 a) VO (EU) Nr. 149/2013.
101 Vgl. Art. 7 Abs. 2 b) und c) VO (EU) Nr. 149/2013; daneben sind Anzahl und
Wert der Gescha¨fte zu beru¨cksichtigen.
102 Vgl. ESMA, Final Report, Draft technical standards under the Regulation
(EU) No 648/2012 of the European Parliament and of the Council of 4 July
2012 on OTC Derivatives, CCPs and Trade Repositories (ESMA/2012/600)
vom 27.9.2012, Rdn. 37.
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Wirtschaftsrecht
DER BETRIEB | Nr. 17 | 26. 4. 2013