DER BETRIEB 21 - page 23

§ 4 Abs. 4 EStG ist der Betriebsausgabenabzug ero¨ffnet, wenn
die Ordnungswidrigkeit, welche die Geldbuße zur Folge hat,
dem Betrieb zu dienen bestimmt ist
42
. Ob der Unternehmer ein
derartiges betriebliches Verhalten trotz der Bußgeldfolge wa¨hlt,
ist Teil seiner Unternehmerfreiheit
43
. Berechtigterweise setzt der
Gesetzgeber dieser Freiheit durch Verbote und ihre Sanktion
Grenzen, ohne dass diese die steuerrechtliche Grundwertung
nach dem Nettoprinzip beeinflussen ko¨nnen
44
. Die entscheiden-
de Frage ist darum, ob die steuerrechtliche Wertung von Geld-
bußen als abzugsfa¨hige Betriebsausgaben gegenu¨ber Wertungen
anderer Teilrechtsordnungen wegen des Postulats der Einheit
der Rechtsordnung ausnahmsweise zuru¨cktreten muss und nicht
durchgesetzt werden kann
45
.
Unter dem Stichwort des Grundsatzes der Einheit des ordre
public fordert
W. Rainer Walz
46
, auf die Durchsetzung der an
sich gebotenen steuerrechtlichen Wertung solle immer, aber
auch nur dann, verzichtet werden, wenn dadurch klar umrissene,
u¨berragende rechtspolitische Anliegen benachbarter Teilrechts-
ordnungen verletzt werden
47
. Auf diese Formel kann man sich
versta¨ndigen
48
, ohne dass die daraus abzuleitenden Schlu¨sse kon-
sensfa¨hig sind. Denn es erscheint fragwu¨rdig, ob das vom Gro-
ßen Senat nach dem Nettoprinzip angenommene steuerliche
Abzugsgebot von Geldbußen diese Grenzlinie u¨berschreitet.
Walz
geht davon aus, weil je nach Steuersatz jedenfalls der Pra¨-
ventionszweck unterschiedlich beeintra¨chtigt werde und das In-
teresse der gesetzestreuen Steuerbu¨rger an der Vermeidung einer
Lastenverlagerung zu ihren Ungunsten missachtet werde
49
.
Do¨llerer
hatte im Rahmen seiner Besprechung des Beschlusses
betont, dass es nicht weiter fu¨hre, „den Mann auf der Straße zu
fragen, ob es gerechtfertigt ist, durch den Abzug von Aufwen-
dungen als Betriebsausgaben oder Werbungskosten diese Auf-
wendungen z. T. ,auf die Allgemeinheit abzuwa¨lzen’“
50
. Gemes-
sen an der steuerrechtlichen Grundwertung des objektiven Net-
toprinzips sind schon die pejorativen Begriffe der Lastenverlage-
rung und Abwa¨lzung verfehlt. Denn die Steuerminderung ist
mit den bereits zitierten Worten des Großen Senats die „not-
wendige Folge des steuerrechtlichen Netto-Prinzips“
51
. Ebenso
folgt – auch wenn es dem „Volksempfinden“ widersprechen mag
– aus der legislatorischen Grundentscheidung fu¨r eine progressi-
ve ESt zwingend
52
, dass Abzu¨ge von der Bemessungsgrundlage
als Kehrseite der Progression spiegelbildlich mit zunehmenden
Einkommen zu ho¨heren Entlastungen fu¨hren
53
. Ohne Preisgabe
der eigenen Grundwertungen kann das Steuerrecht darum nicht
das außersteuerrechtliche „Gerechtigkeitsanliegen“ in sich auf-
nehmen, den Pra¨ventionszweck nicht durch die Progression zu
verfa¨lschen. Da Geldbußen nicht der staatlichen Einnahme-
erzielung dienen
54
, kann es nicht auf die effektive Ho¨he der
Zahlungen an den Staat, sondern allein auf eine partielle Verfeh-
lung des Sanktionszwecks durch den steuerlichen Abzug
55
an-
kommen
56
. Die geforderte Wertungskoha¨renz muss indes nicht
zwingend durch ein steuerrechtliches Abzugsverbot, sondern
kann bereits durch Beru¨cksichtigung der steuerlichen Abzugs-
fa¨higkeit bei der Bußgeldbemessung erreicht werden
57
. Soll „der
unantastbare Teil der verschiedenen nebeneinanderstehenden
Teilrechtsordnungen . . . durch Imperative je anderer Teilrechts-
ordnungen nicht angetastet“
58
oder „unterlaufen werden“
59
, so
erscheint nach dem Gewicht der durch ein Abzugsverbot tan-
gierten Grundwertungen nicht unbedingt das Steuerrecht der
zwingende Ort fu¨r eine „Wertungsru¨cksicht“ zu sein. Immerhin
ist nicht zu befu¨rchten, dass unantastbare Teile des Bußgeld-
rechts durch die Beru¨cksichtigung der Steuerfolgen bei der Fest-
setzung angetastet werden. Auch wenn das Steuerrecht Grund-
wertungen anderer Teile der Rechtsordnung nicht durchkreuzen
darf
60
, fa¨llt ihm nicht automatisch die Rolle des aktiven „Sto¨rers“
der Wertungsordnung zu
61
. U¨ berdies muss man einen „unertra¨g-
lichen“ Wertungswiderspruch gegen die Einheit der Rechtsord-
nung bei Geldbußen wegen Versto¨ßen unterhalb der Schwelle
der Strafbarkeit kriminellen Unrechts nicht zwingend sehen.
Denn die Abgrenzung von Straftaten und Ordnungswidrigkei-
ten ist Aufgabe des Fachgesetzgebers und das Steuerrecht ko¨nn-
te durchaus ohne Korrektur auf dieser Abgrenzung aufbauen
62
.
Darum ist insgesamt das Argument der Einheit der Rechtsord-
nung keine zwingende Rechtfertigung fu¨r den Ausschluss des
Abzugs von Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8
EStG.
3. Wertneutralita¨t des Steuerrechts (§ 40 AO)
Eng mit dem Argument der Einheit der Rechtsordnung verbun-
den ist das gegenla¨ufige Argument der Wertneutralita¨t des Steu-
errechts. Dies bemu¨hte bereits der Große Senat, um die fehlende
Lu¨ckenhaftigkeit des fru¨heren Rechts zu bekra¨ftigen:
„Nach . . . § 40 AO 1977 wird auch ein Gewinn besteuert, der aus
einem gesetz- oder sittenwidrigen Handeln entspringt. Das Steuer-
recht erweist sich insoweit als wertneutral. Dann erscheint es nicht
„planwidrig“, die Aufwendungen, welche ebenfalls eine Folge des ge-
setz- oder sittenwidrigen Handelns sind – und damit auch die Zah-
lung von Geldbußen –, bei der Ermittlung des steuerrechtlichen Ge-
winns abzuziehen.“
63
.
Dem Großen Senat wurde vorgeworfen, implizit einen Wer-
tungsvorrang der ethischen Wertneutralita¨t des Steuerrechts vor
den Zwecken des Strafrechts und des Rechts der Ordnungswid-
rigkeiten etablieren zu wollen
64
. Da die geschilderte Wertungs-
kollision beim steuerlichen Abzug von Geldbußen auch auf an-
dere Weise aufgelo¨st werden kann (vgl. unter II. 2.), eru¨brigt
sich der behauptete absolute Vorrang des Steuerrechts. Ein der-
artig absoluter Vorrang wu¨rde in der Tat genauso wenig u¨ber-
42
Do¨llerer
, BB 1984 S. 545 (547).
43 Dazu allgemein
Dru¨en
, StuW 2008 S. 154 (155 f.).
44 Demgegenu¨ber fordert
Walz
, a.a.O. (Fn. 38), S. 205 f., unter der scho¨nen
Pra¨misse „Die Gerechtigkeit ist unteilbar“, dass das Steuerrecht die Gerech-
tigkeitsanliegen anderer Teilrechtsordnungen „in sich aufnehmen“ mu¨sse.
45 So zuna¨chst auch
Walz
, a.a.O. (Fn. 38), S. 201, 205 f., sodann aber verwa¨s-
sernd (s. Fn. 44).
46 Zuerst allgemein
Walz
, a.a.O. (Fn. 38), S. 200.
47 So konkret zu Geldbußen als Betriebsausgaben
Walz
, StuW 1984 S. 170
(173).
48 Zustimmend auch
Tipke
, a.a.O. (Fn. 32), S. 58.
49
Walz
, StuW 1984 S. 170 (174, mit Fn. 20).
50
Do¨llerer
, BB 1984 S. 545 (546).
51 BFH vom 21. 11. 1983, a.a.O. (Fn. 15), BStBl. II 1984 S. 160 (166).
52 Deutlich bereits
Do¨llerer
, BB 1984 S. 545 (548), zur Frage eines „Zweiklas-
sen-Steuerrecht(s)?“: „Die unterschiedliche Steuerminderung . . . folgt mit
mathematischer Notwendigkeit aus der Verschiedenheit der Steuersa¨tze“.
53 Zuletzt
Dru¨en
, in: Leitgedanken des Rechts, Bd. II, 2013, § 158 Rdn. 20,
m. w. N.
54
Dru¨en
, a.a.O. (Fn. 8), § 3 AO Rdn. 14 (Jan. 2012), m. w. N.
55 So bereits der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 13. 4. 1984, BT-
Drucks. 10/1314 S. 5, wonach staatliche Sanktionen „den Ta¨ter oder das Un-
ternehmen, fu¨r das der Ta¨ter gehandelt hat, in voller Ho¨he treffen“ sollen.
Dieser Zweck werde aber verfehlt, wenn die finanzielle Einbuße durch den
Betriebsausgabenabzug gemildert werde.
56
So¨hn
, a.a.O. (Fn. 9), § 4 Rdn. N 18, 93 (Mai 1995), m. w. N.
57 Dies belegen die unterschiedlichen Wege zur Vermeidung einer doppelten
Gewinnabscho¨pfung durch Geldbußen bereits im Recht der Ordnungswidrig-
keiten oder aber im Steuerrecht (dazu sub II. 5.).
58 So
Walz
, a.a.O. (Fn. 38), S. 200.
59 So
Walz
, StuW 1984 S. 170 (173).
60
Hey
, a.a.O. (Fn. 7), § 8 Rdn. 301;
Tipke
, a.a.O. (Fn. 32), S. 58.
61 In diesem Sinn aber
Tipke
, a.a.O. (Fn. 32), S. 59, wonach das Steuerrecht
das verha¨ngte U¨ bel z. T. wieder aufhebe.
62 Im Sinn einer Bindungswirkung des Steuerrechts bereits BFH vom 21. 11.
1983, a.a.O. (Fn. 15), BStBl. II 1984 S. 160 (164).
63 BFH vom 21. 11. 1983, a.a.O. (Fn. 15), BStBl. II 1984 S. 160 (166).
64
Walz
, StuW 1984 S. 170 (174).
DER BETRIEB | Nr. 21 | 24. 5. 2013
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