DER BETRIEB 21 - page 29

V. Zusammenfassung
Das Thema der Steuerfolgen von Geldbußen fu¨hrt unweigerlich
zu demVerha¨ltnis zwischen dem Steuerrecht und dem Sanktions-
recht. Der Steuerstaat knu¨pft an das wirtschaftliche Ergebnis der
Beta¨tigung der Stpfl. an und entha¨lt sich grds. eines eigenen Ur-
teils u¨ber die Modalita¨ten des Erwerbsstrebens. Die Grundent-
scheidung fu¨r die Wertneutralita¨t der Besteuerung (§ 40 AO)
eru¨brigt beim Steuervollzug subjektive Unwertsurteile und ver-
meidet dadurch die Gefahr einer Wertungsbeliebigkeit und
-kasuistik. Die Einheit der Rechtsordnung ist zwar ein anzustre-
bendes Ideal, gibt aber als abstraktes Postulat kaum Kriterien fu¨r
die Lo¨sung konkreter Fa¨lle an die Hand. Wenn der Gesetzgeber
beim Verbot des Betriebsausgabenabzugs in § 4 Abs. 5 Satz 1
Nr. 8 EStG der Einheit der Rechtsordnung den Vorrang vor
dem steuerrechtlichen Nettoprinzip einra¨umt, um die Schwere
der Sanktion nicht durch den steuerlichen Abzug als Betriebsaus-
gabe zu mildern, ist dies systemwidrig, aber als verfassungsrecht-
lich vertretbare Wertung hinzunehmen. Unter dem Dach einer
einheitlichen Rechtsordnung du¨rfen die Teilrechtsordnungen
einander nicht wertungsma¨ßig untergraben. In ihremZusammen-
wirken mu¨ssen sie zu einem verfassungskonformen Zustand fu¨h-
ren, wobei das BVerfGdemGesetzgeber verschiedeneWege dort-
hin zubilligt. Allerdings scheidet eine Doppelbelastung bei der
bußgeldrechtlichen Sanktionierung einerseits und der Besteue-
rung andererseits aus. Die offenen Rechtsfragen zur Bestimmung
und Bemessung des steuerlich abziehbaren Abscho¨pfungsanteils
i. S. von § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 EStG gerade bei Kartell-
bußen zeigen sowohl materiell, als auch in verfahrensrechtlicher
Hinsicht die Schwierigkeiten der Abstimmung der Teilrechtsord-
nungen auf und offenbaren punktuellen Optimierungsbedarf.
Redaktioneller Hinweis:
Zur Nichtabzugsfa¨higkeit von Bestechungsgeldern als Betriebs-
ausgaben vgl. OFD Frankfurt/M. vom 29. 5. 2000, DB 2000
S. 1303 = DB0005182.
RA/StB Prof. Dr. Adrian Cloer, Prag/Wiesbaden / Dipl.-Kffr. Nina Vogel, Wiesbaden
Ausdehnung der Schumacker-Rechtsprechung
auch auf Schweizer Grenzga¨nger
– Anm. zu EuGH vom 28. 2. 2013 – Rs. 425/11, Ettwein –
u
DB0588258
I. Einleitung
Das Verha¨ltnis zwischen der Schweiz und den sie umgebenden
La¨ndern der EU ist ein ganz besonderes: Es besteht nicht nur
eine kulturelle Na¨he, sondern auch ein sehr enger Handelsaus-
tausch. Rechtlich eingekleidet sind diese wirtschaftlichen Bezie-
hungen nach der Ablehnung des EWR-Beitritts seitens des
Schweizer Volkes am 6. 12. 1992 durch bilaterale Abkommen
1
.
Besondere Bedeutung fu¨r das Steuerrecht hat hierbei das sog.
Freizu¨gigkeitsabkommen vom 21. 6. 1999 zwischen der EU und
der Schweiz (FZA)
2
. Durch diese Vereinbarung werden die
Lebens- und Arbeitsbedingungen fu¨r EU-Bu¨rgerinnen und
-Bu¨rger in der Schweiz und umgekehrt vereinfacht. Die Aus-
legung des Abkommens ist bereits Gegenstand von mehreren
EuGH-Verfahren gewesen
3
. In der vorliegenden Rs. Ettwein
4
u¨bertra¨gt der EuGH zum ersten Mal seine Schumacker-Rspr.
auf Schweizer Grenzga¨nger.
II. Sachverhalt
Die Eheleute Ettwein sind deutsche Staatsangeho¨rige, die ihren
Wohnsitz am 1. 8. 2007 aus Deutschland in die Schweiz verleg-
ten. Da sie weiterhin nahezu ihr gesamtes Einkommen in
Deutschland erwirtschafteten, begehrten sie fu¨r ihre einkom-
mensteuerliche Veranlagung 2008 die Anwendung des Split-
tingtarifs. Das zusta¨ndige FA wies ihr Begehren mit der Begru¨n-
dung zuru¨ck, der Splittingtarif ko¨nne nur bei Wohnsitz inner-
halb der EU oder der EWR-Staaten gewa¨hrt werden (§ 1a
Abs. 1 Nr. 2 EStG), und veranlagte die Eheleute einzeln zur
ESt.
Daraufhin erhob Frau Ettwein Klage beim FG Baden-Wu¨rt-
temberg. Das FG setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH
die Frage vor, ob im Hinblick auf das in Deutschland erzielte
Einkommen der die perso¨nlichen und familia¨ren Umsta¨nde be-
ru¨cksichtigende Splittingtarif aufgrund des FZA auch in der
Schweiz ansa¨ssigen Stpfl. zu gewa¨hren sei.
Prof. Dr. Adrian Cloer
ist Senior Manager bei PwC in Prag, Professor
an der EBS Universita¨t fu¨r Wirtschaft und Recht, Wiesbaden sowie
Gastprofessor an der Massaryk Universita¨t in Bru¨nn bzw. Honorar-
professor an der Europa-Universita¨t Frankfurt/Oder und
Dipl.-Kffr.
Nina Vogel
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl
in Wiesbaden.
1 Vgl.
Breitenmoser/Weyeneth
, EuZW 2012 S. 854.
2 Das FZA wurde am 21. 6. 1999 unterzeichnet und trat am 1. 6. 2002 in Kraft,
ABlEU 2002 L 114 S. 6, zuletzt angepasst durch Beschluss Nr. 1/2012 des
Gemischten Ausschusses vom 31. 3. 2012 zur Ersetzung des Anh. II des FZA
u¨ber die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Vgl. z. B.
Kahil-
Wolff/Mosters
, EuZW 2001 S. 5.
3 EuGH-Urteil vom 22. 12. 2008 – Rs. C-13/08, Stamm und Hauser, EuGHE
2008 S. I-11087 befasst sich mit der Frage, ob selbststa¨ndige Grenzga¨nger
dieselben Rechte genießen wie Selbststa¨ndige; vom 12. 11. 2009 – Rs.
C-351/08, Grimme, EuGHE 2009 S. I-10777 beleuchtet intensiv die Ausdeh-
nung aller drei Personenfreiheiten; vom 11. 2. 2010 – Rs. C-541/08, Fokus
Invest AG, EuGHE S. 2010 S. I-1025 ist eine Besta¨tigung und Pra¨zisierung
der Grimme-Rspr. hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit; vom 15. 7. 2010 –
Rs. C-70/09, Hengartner und Gasser, EuGHE 2010 S. I-7233 geht der Frage
nach, ob schweizerische Dienstleistungsempfa¨nger steuerlich schlechter ge-
stellt werden du¨rfen als EU-Angeho¨rige; vom 15. 12. 2011 – Rs. C-257/10,
Bergstro¨m, noch nicht in der amtlichen Sammlung vero¨ffentlicht, hier kla¨rt
der EuGH die Frage, inwieweit die Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom
14. 6. 1971 u¨ber die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Ar-
beitnehmer und Selbststa¨ndige sowie deren Familienangeho¨rige aufgrund
Art. 1 Anh. II FZA Anwendung findet.
4 EuGH vom 28. 2. 2013 – Rs. C-425/11, Ettwein, DB0581436, noch nicht in
der amtlichen Sammlung vero¨ffentlicht; vgl. dazu auch
Hennigfeld
,
DB0585211.
DER BETRIEB | Nr. 21 | 24. 5. 2013
Steuerrecht
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