zeugen, wie umgekehrt ein absoluter Vorrang der Straf- und
Bußgeldgerechtigkeit
65
. Allerdings za¨hlt § 40 AO zu den
Grundwertungen des Steuerrechts
66
, die auch im Zusammenwir-
ken mit anderen Teilrechtsordnungen zu achten sind. § 40 AO
statuiert allgemein
67
, dass Verbote und Sittenversto¨ße unbeach-
tet bleiben
68
und ist Ausdruck einer leistungsgerechten Besteue-
rung nach dem wirtschaftlichen Ist-Zuwachs
69
. Das Steuerrecht
nimmt auf rechtliche und sittliche Sollensnormen keine Ru¨ck-
sicht, sondern stellt stattdessen auf das wirtschaftliche Ergebnis
ab
70
. Auf dieses greift der Steuerstaat als Teilhaber zu und igno-
riert dabei, ob es Frucht verbotenen oder sittenwidrigen Han-
delns ist. Um verbotenes oder sittenwidriges Handeln nicht zu
pra¨mieren, ist die Besteuerung prinzipiell wertungsindifferent
71
.
Auch der Grad der Verwerflichkeit des steuerrelevanten Han-
delns ist steuerrechtlich ohne Belang
72
. Daran gemessen ist das
spezialgesetzliche Abzugsverbot fu¨r Geldbußen systemwidrig
73
.
Auf dieser Linie sieht der BFH in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 1
EStG einen Verstoß gegen das sog. Nettoprinzip als Ausdruck
des allgemeinen Leistungsprinzips und will diese „Ausnahme-
vorschrift“ eng auslegen
74
. Die Systemwidrigkeit als solche be-
deutet indes nicht zugleich die Verfassungswidrigkeit des Ab-
zugsverbots. Denn die Maßsta¨be der Systemgerechtigkeit und
der Verfassungsma¨ßigkeit sind nicht deckungsgleich
75
.
4. Verfassungsma¨ßigkeit des Abzugsverbots fu¨r Geldbußen
Zur Frage der Verfassungskonformita¨t des Abzugsverbots nach
§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG fu¨r wirtschaftliche Vorteile ab-
scho¨pfende Geldbußen hatte das BVerfG aufgrund eines Vor-
lagebeschlusses des BFH zu befinden
76
. Der VIII. Senat des
BFH setzte mehrere Revisionsverfahren aus, weil die Norm kei-
ner verfassungskonformen Auslegung zuga¨ngig sei und den Ver-
ha¨ltnisma¨ßigkeitsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) verletze, soweit
das Abzugsverbot auch fu¨r den Teil der Geldbuße gelte, der der
Abscho¨pfung des wirtschaftlichen Vorteils diene
77
. Dabei war
das Meinungsbild innerhalb der Senate des BFH durchaus ge-
spalten
78
. Der vorlegende VIII. Senat sah Art. 20 Abs. 3 GG
verletzt, weil die Geldbuße hinsichtlich ihres abscho¨pfenden
Teils keinen Sanktionscharakter habe. Das Abzugsverbot fu¨hre
insoweit zu einem sachfremden, nicht durch ordnungspolitische
oder strafrechtliche Notwendigkeiten gerechtfertigten Eingriff
in das einkommensteuerrechtliche Nettoprinzip und damit zu
einer Art „Strafsteuer“
79
. Das BVerfG hat zwar mit Beschluss
vom 23. 1. 1990 die grundsa¨tzliche Vereinbarkeit des Abzugs-
verbots mit Art. 3 Abs. 1 GG festgestellt
80
, aber zugleich Gren-
zen aufgezeigt, indem es die Interdependenzen zwischen ab-
scho¨pfender Bußgeldbemessung und der steuerlichen Abzieh-
barkeit hervorgehoben hat. Die grundlegenden Aussagen haben
noch heute fu¨r die inzwischen gesetzlich angeordnete Aufteilung
von Geldbußen in einen Sanktions- und Abscho¨pfungsteil (vgl.
III. 2.) Bedeutung
81
:
„
Mit dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Besteuerung nach der wirt-
schaftlichen Leistungsfa¨higkeit ist weder eine Regelung vereinbar, die
dem Ta¨ter seinen Gewinn sowohl unter ordnungswidrigkeitsrechtlichen
als auch unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten voll bela¨sst, noch eine
Regelung, welche die vollsta¨ndige Abscho¨pfung nach ordnungswidrig-
keitsrechtlichen Grundsa¨tzen mit einer zusa¨tzlichen steuerrechtlichen Be-
lastung verbindet.
Ist gem. dem geltenden Recht der durch eine Ord-
nungswidrigkeit erlangte Gewinn nach einkommensteuerlichen Re-
geln zu versteuern, so darf deshalb in den auf seine Abscho¨pfung ge-
richteten Teil des Bußgeldes nur der um den absehbaren Steueranteil
verminderte Gewinnbetrag einbezogen werden. Umgekehrt darf die
Absetzung der Geldbuße als Betriebsausgabe i. H. des Abscho¨p-
fungsbetrages dann nicht ausgeschlossen werden, wenn deren Be-
messung vom Bruttobetrag des erzielten Gewinns ausgeht.
Es liegt
in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, welchen von diesen beiden
Wegen er bei seiner Regelung einschlagen will
; er braucht dabei auch
nicht fu¨r alle in Betracht kommenden Fa¨lle den gleichen Weg zu
wa¨hlen. Fu¨r einen von beiden muss er sich aber entscheiden, wenn
er die Gewinnabscho¨pfung in die Bemessung der Geldbuße ein-
beziehen will
82
. (. . .)
Dagegen la¨sst § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG eine Auslegung zu, bei de-
ren Anwendung beide Bestimmungen in ihrem gegenseitigen Zu-
sammenwirken den Anforderungen der Verfassung gerecht werden.
Nach dieser Vorschrift soll die Geldbuße den wirtschaftlichen Vor-
teil u¨bersteigen, den der Ta¨ter aus seiner Ordnungswidrigkeit gezo-
gen hat. Damit hat der Gesetzgeber zwar hinreichend klar zum Aus-
druck gebracht, dass Geldbußen, die nach dem Ordnungswidrigkei-
tengesetz verha¨ngt werden, sowohl der von § 17 Abs. 3 OWiG vor-
geschriebenen Ahndung des Gesetzesverstoßes als auch der Ab-
scho¨pfung der daraus gezogenen Vorteile dienen sollen. Er hat es
den zusta¨ndigen Beho¨rden und Gerichten aber nicht untersagt, bei
der Berechnung des Vorteils zu beru¨cksichtigen, dass dieser auch
noch der Besteuerung nach dem Einkommensteuerrecht unterliegt.
Dementsprechend gehen die bisher vero¨ffentlichten Entscheidungen
von Obergerichten bei der Auslegung des § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG
auch ohne verfassungsrechtliche U¨ berlegungen davon aus, dass bei
der Berechnung des wirtschaftlichen Vorteils die unvermeidliche
Einkommensbesteuerung – ggf. im Wege der Scha¨tzung – beru¨ck-
sichtigt werden mu¨sse (. . .). Auch im Schrifttum ist diese Auffas-
sung, soweit ersichtlich, einhellig anerkannt (. . .)
83
.
Bei dieser Auslegung sind die . . . entwickelten verfassungsrecht-
lichen Grundsa¨tze erkennbar nicht verletzt.
Eine doppelte Gewinn-
abscho¨pfung, die mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar wa¨re,
findet jedenfalls so lange nicht statt, wie § 17 Abs. 4 Satz 1 OWiG
im dargestellten Sinne ausgelegt und angewandt wird. Eine Aus-
legung der Vorschrift, die vom Bruttogewinn ausginge, wa¨re aus ver-
fassungsrechtlichen Gru¨nden jedoch unzula¨ssig, solange der in die-
sem Punkt keiner restriktiven Auslegung zuga¨ngliche § 4 Abs. 5
Satz 1 Nr. 8 EStG die steuerliche Absetzung von Geldbußen auch
insoweit untersagt, als diese die Gewinnabscho¨pfung im Auge ha-
ben“
84
.
65 Fu¨r Letzteren aber
Tipke
, a.a.O. (Fn. 32), S. 59.
66
Kruse
, Lehrbuch des Steuerrechts, Bd. I, 1991, S. 135; abweichend
Hey
,
a.a.O. (Fn. 7), § 8 Rdn. 301, wonach der aus § 40 AO abgeleitete Satz von
der Wertneutralita¨t des Steuerrechts nicht durchga¨ngig richtig sei.
67 A. A.
Tipke
, a.a.O. (Fn. 32), S. 58, wonach § 40 AO nur einen Sonderfall be-
trifft.
68
Dru¨en
, a.a.O. (Fn. 8), § 40 AO Rdn. 22 (Juni 2012).
69
Birk
, Steuerrecht, 15. Aufl. 2012, Rdn. 332;
Englisch
, in: Tipke/Lang, Steuer-
recht, 21. Aufl. 2013, § 5 Rdn. 107.
70
Kruse
, a.a.O. (Fn. 66), S. 135; dem folgend
Dru¨en
, a.a.O. (Fn. 8), § 40 AO
Rdn. 1 (Juni 2012).
71
Stadie
, Allgemeines Steuerrecht, 2003, Rdn. 227, m. w. N.
72
Dru¨en
, a.a.O. (Fn. 8), § 40 AO Rdn. 14 (Juni 2012), m. w. N.
73
Dru¨en
, a.a.O. (Fn. 8), § 40 AO Rdn. 22 (Juni 2012), m. w. N.
74 BFH vom 9. 6. 1999, a.a.O. (Fn. 37), Rdn. 20; Niedersa¨chsisches FG, Urteil
vom 27. 4. 2006 – 10 K 65/01, EFG 2006 S. 1737, Rdn. 89. Allgemein zur ge-
botenen Auslegung auch von Ausnahmevorschriften nach ihrem Zweck
Dru¨en
, a.a.O. (Fn. 8), § 4 AO Rdn. 224 f. (Jan. 2012), m. w. N.
75 Na¨her
Dru¨en
, in: FS Spindler, 2011, S. 29 (35).
76 BVerfG vom 23. 1. 1990 – 1 BvL 4/87, 1 BvL 5/87, 1 BvL 6/87, 1 BvL 7/87,
BVerfGE 81 S. 228 = DB 1990 S. 1013.
77 Aussetzungs- und Vorlagebeschlu¨sse des BFH vom 21. 10. 1986 sowie 21. 5.
1987 – VIII R 1/85, DB 1987 S. 360, (1 BvL 4/87), VIII R 194/84 (1 BvL
5/87), VIII R 308/84 (1 BvL 6/87) und VIII R 311/84 (1 BvL 7/87), zitiert in
BVerfGE 81 S. 228 (229).
78 Vgl. Nachw. bei BVerfG vom 23. 1. 1990, a.a.O. (Fn. 76), Rdn. 24.
79 Vgl. den BFH in den Aussetzungs- und Vorlagebeschlu¨ssen, zitiert in BVerfG
vom 23. 1. 1990, a.a.O. (Fn. 76), BVerfGE 81 S. 228 (234).
80 BVerfG vom 23. 1. 1990, a.a.O. (Fn. 76), Rdn. 26 ff.
81 Grundlegend BFH vom 9. 6. 1999, a.a.O. (Fn. 37), Rdn. 10.
82 BVerfG vom 23. 1. 1990, a.a.O. (Fn. 76), Rdn. 32 (Hervorhebung durch
Verf.
).
83 BVerfG vom 23. 1. 1990, a.a.O. (Fn. 76), Rdn. 36 (unter Auslassung der dor-
tigen Zitate).
84 BVerfG vom 23. 1. 1990, a.a.O. (Fn. 76), Rdn. 37 (Hervorhebung durch
Verf.
).
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Steuerrecht
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