Der BFH baut auf dieser Rspr. auf, ha¨lt aber nur die vollsta¨ndige
Abscho¨pfung des wirtschaftlichen Vorteils, die mit einer zusa¨tz-
lichen Steuerbelastung verbunden ist, fu¨r verfassungswidrig.
Wenn dagegen – aus welchen Gru¨nden auch immer – der wirt-
schaftliche Vorteil nur z. T. abgescho¨pft werde, fu¨hre eine hin-
zutretende Steuerbelastung nicht zu einem Verstoß gegen das
Leistungsfa¨higkeitsprinzip, wenn die Summe aus Geldbuße und
Steuerbelastung den aus dem Gesetzesverstoß erlangten wirt-
schaftlichen (Netto-)Vorteil nicht u¨bersteigt
85
. Die Sicht des
BVerfG zur Verfassungskonformita¨t des Abzugsverbots ist in
der Literatur auf breite Zustimmung gestoßen
86
. Nach den zi-
tierten Maßgaben der Entscheidung hat der Gesetzgeber durch
das StA¨ ndG 1992 in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG einen neuen
Satz 4 zur Aufteilung von Geldbußen eingefu¨gt
87
(vgl. III. 2.).
Jedenfalls in seiner gegenwa¨rtigen Fassung begegnet die verfas-
sungsrechtliche Zula¨ssigkeit des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG
keinen Bedenken mehr
88
. Mit der Feststellung der Verfassungs-
konformita¨t sind die Grundlagen gelegt, um den Blick nunmehr
auf Einzelfragen zu richten.
III. Materielle Fragen des Betriebsausgabenabzugs von
Geldbußen
Betriebsausgaben sind bekanntlich die Aufwendungen, die
durch den Betrieb veranlasst sind. Sie sind bei der Gewinner-
mittlung durch Betriebsvermo¨gensvergleich ebenso zu beru¨ck-
sichtigen (§ 4 Abs. 1 Satz 9 EStG) wie bei der durch U¨ ber-
schussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG, wo sie unmittelbare Be-
steuerungsgrundlage sind
89
. Bei der Ausgabenseite verbleibt dem
Stpfl. ein gro¨ßerer Entscheidungsspielraum als auf der Einnah-
meseite, weil er es in der Hand hat, den Betriebsumfang und da-
mit den Umfang der betrieblichen Veranlassung zu bestimmen
90
.
Notwendigkeit, U¨ blichkeit oder Zweckma¨ßigkeit einer Aufwen-
dung sind keine Voraussetzungen fu¨r den Betriebsausgaben-
abzug
91
. Auf die Vermeidbarkeit von Ordnungswidrigkeiten und
Geldbußen kommt es darum fu¨r den Betriebsausgabenabzug
nicht an. Auch steht der Qualifikation als Betriebsausgabe nicht
entgegen, dass die Geldbuße nicht dem Betrieb zu dienen be-
stimmt
92
ist
93
. Vielmehr ist nach dem Veranlassungsprinzip des
§ 4 Abs. 4 EStG der Betriebsausgabenabzug grds. ero¨ffnet,
wenn die Ordnungswidrigkeit selbst dem Betrieb zu dienen be-
stimmt ist (vgl. II. 2.).
1. Anwendungsbereich und Umfang des Abzugsverbots fu¨r
Geldbußen
Nach der gesetzlichen Grundlage fu¨r das Verbot des Betriebs-
ausgabenabzugs (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 EStG) du¨rfen „von ei-
nem Gericht oder einer Beho¨rde im Geltungsbereich dieses Ge-
setzes oder von Organen der
Europa¨ischen Gemeinschaften
fest-
gesetzte Geldbußen, Ordnungsgelder und Verwarnungsgelder“
den Gewinn nicht mindern. Bereits bei der Lektu¨re des Geset-
zestextes fa¨llt auf, dass dieser mit der europa¨ischen Integration
nicht Schritt ha¨lt. Seit dem Vertrag von Lissabon ist die EU mit
eigener Rechtsperso¨nlichkeit (Art. 47 EUV) an die Stelle der
Europa¨ischen Gemeinschaft getreten. Diese neue europa¨ische
Integrationsstufe hat der ESt-Gesetzgeber noch nicht nachvoll-
zogen
94
. Inhaltlich ist die Gleichstellung der von der EU ver-
ha¨ngten Sanktionen mit innerstaatlichen Sanktionen Ausdruck
ihrer Gleichwertigkeit und der Verschra¨nkungen beider Rechts-
ordnungen. Unter das Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8
EStG fallen nunmehr auch Geldbußen, Ordnungsgelder und
Verwarnungsgelder, die von Organen der EU
95
festgesetzt wer-
den
96
. Das (fragwu¨rdige) Postulat der Einheit der Rechtsord-
nung (vgl. II. 2.) wird dadurch auf die Einheit der europa¨ischen
Rechtsordnung ausgedehnt.
Der Anwendungsbereich des Abzugsverbots des § 4 Abs. 5
Satz 1 Nr. 8 EStG ist weit. U¨ ber § 8 Abs. 1 KStG gilt es auch
fu¨r die KSt
97
und wegen § 7 Satz 1 GewStG auch fu¨r die Er-
mittlung des Gewerbeertrags
98
. Die einschla¨gige Verwaltungs-
anweisung (R 4.13 EStR 2008 zum Abzugsverbot fu¨r Sanktio-
nen) grenzt in Einklang mit der Literatur
99
die erfassten Sankti-
onskategorien voneinander ab
100
. „Zu den Geldbußen rechnen
alle Sanktionen, die nach dem Recht der Bundesrepublik
Deutschland so bezeichnet sind, insbesondere Geldbußen nach
dem Ordnungswidrigkeitenrecht einschließlich der nach § 30
OWiG vorgesehenen Geldbußen gegen juristische Personen
oder Personenvereinigungen, Geldbußen nach den berufs-
gerichtlichen Gesetzen des Bundes oder der La¨nder, z. B. der
BRAO, der BNotO, der PAO, der WPO oder dem StBerG so-
wie Geldbußen nach den Disziplinargesetzen des Bundes oder
der La¨nder“ (so R 4.13 (2) Satz 1 EStR 2008).
Negativ ist die Reichweite des Abzugsverbots des § 4 Abs. 5
Satz 1 Nr. 8 EStG einerseits hinsichtlich sonstiger Nebenfolgen
und Nebenkosten abzustecken. Das Abzugsverbot gilt nicht fu¨r
Nebenfolgen vermo¨gensrechtlicher Art, z. B. die Abfu¨hrung des
Mehrerlo¨ses nach § 8 Wirtschaftsstrafgesetz, den Verfall nach
§ 29a OWiG und die Einziehung nach § 22 OWiG (R 4.13 (1)
Satz 3 EStR 2008). Bei Sanktionen fu¨r eine Tat, die in Ausu¨bung
der betrieblichen oder beruflichen Ta¨tigkeit begangen wurde, sind
die mit diesen zusammenha¨ngenden Verfahrenskosten (insbeson-
dere Gerichts- und RA-Gebu¨hren) auch dann abziehbare Be-
triebsausgaben, wenn die Sanktion selbst nach § 4 Abs. 5 Satz 1
Nr. 8 EStG vom Abzug ausgeschlossen ist
101
. Diese Kosten sind
weder Strafe noch strafa¨hnliche Rechtsfolge (ebenso H 4.13 EStR
zu „Verfahrenskosten“). Eine Erstreckung des Abzugszugsverbots
auf mit der Geldbuße verbundenen Kosten ist nicht angezeigt, weil
ihr Abzug im Einklang mit § 40 AO steht
102
.
Weiterhin ist der sachliche Anwendungsbereich nach der die
Sanktion verha¨ngenden Institution einzugrenzen. Betrieblich
85 So BFH vom 23. 3. 2011 – X R 59/09, BFH/NV 2011 S. 2047, Rdn. 41 f.
86
Heinicke
, in: Schmidt, EStG, 32. Aufl. 2013, § 4 Rdn. 520 „Strafen/Geld-
bußen“;
Kruschke
, a.a.O. (Fn. 23), § 4 EStG Anm. 1706 (Okt. 2011), m. w. N.
87 Steuera¨nderungsgesetz 1992 vom 25. 2. 1992, BGBl. I 1992 S. 297.
88
Wied
, in: Blu¨mich, EStG/KStG/GewStG, § 4 EStG Rdn. 880 (Okt. 2010),
m. w. N.
89
Heinicke
, a.a.O. (Fn. 86), § 4 Rdn. 470.
90
Heinicke
, a.a.O. (Fn. 86), § 4 Rdn. 480.
91
Heinicke
, a.a.O. (Fn. 86), § 4 Rdn. 483.
92 So aber
Kruschke
, a.a.O. (Fn. 23), § 4 EStG Anm. 1706 (Okt. 2011).
93 Gegen ein solches Missversta¨ndnis bereits
Do¨llerer
, BB 1984 S. 545 (547).
94 Jedenfalls ist der Plural „Europa¨ische Gemeinschaften“ verfehlt, weil allein
die Europa¨ische
Atomgemeinschaft
(Euratom) nach dem Vertrag von Lissa-
bon unberu¨hrt als eigensta¨ndige internationale Organisation neben der EU
fortbesteht (vgl. nur
Oppermann/Classen/Nettesheim
, Europarecht, 5. Aufl.
2011, S. XLIX, § 1 Rdn. 1, § 2 Rdn. 14).
95 Zu den Organen der EU za¨hlen nach Art. 13 EUV das Europa¨ische Parlament,
der Europa¨ische Rat, der Rat, die EU-Kommission, der Gerichtshof der Euro-
pa¨ischen Union, die Europa¨ische Zentralbank und der Rechnungshof.
96 Ebenso
Kruschke
, a.a.O. (Fn. 23), § 4 EStG Anm. 1714 (Okt. 2011).
97 So bereits BFH vom 21. 11. 1983, a.a.O. (Fn. 15), BStBl. II 1984 S. 160
(164).
98 BFH vom 9. 6. 1999, a.a.O. (Fn. 37), BStBl. II 1999 S. 658 (659).
99
Bode
, in: Kirchhof, EStG, 12. Aufl. 2013, § 4 Rdn. 223;
Heinicke
, a.a.O.
(Fn. 86), § 4 Rdn. 520, ABC der Betriebsausgaben „Strafen/Geldbußen“;
So¨hn
, a.a.O. (Fn. 9), § 4 Rdn. N 30–44 (Mai 1995);
Wied
, a.a.O. (Fn. 88),
§ 4 EStG Rdn. 882 ff. (Okt. 2010).
100 Die Binnenunterscheidung ist wegen des auf Geldbußen beschra¨nkten Auf-
teilungsgebots nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 8 Satz 4 EStG geboten (
Bruschke
,
DStZ 2009 S. 489 [490]).
101 BFH vom 19. 2. 1982 – VI R 31/78, BStBl. II 1982 S. 467 = DB 1982 S. 1598;
vom 18. 10. 2007 – VI R 42/04, BStBl. II 2008 S. 223 (225) = DB 2007
S. 2750; vom 23. 3. 2011, a.a.O. (Fn. 85), Rdn. 45, m. w. N.
102
Dru¨en
, a.a.O. (Fn. 8), § 40 AO Rdn. 22 (Juni 2012).
DER BETRIEB | Nr. 21 | 24. 5. 2013
Steuerrecht
1137