DER BETRIEB 21 - page 43

halt des Ausgangsfalls einem der in Art. 80 MwStSystRL auf-
geza¨hlten Fa¨lle zuordnen la¨sst.
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I
Art. 74 MwStSystRL sieht vor, dass fu¨r Umsa¨tze wie die im
Ausgangsverfahren in Rede stehenden die Steuerbemessungs-
grundlage der Einkaufspreis fu¨r diese oder gleichartige Gegen-
sta¨nde oder mangels eines Einkaufspreises der Selbstkostenpreis
ist, und zwar jeweils zu den Preisen, die zum Zeitpunkt der Be-
wirkung dieser Umsa¨tze festgestellt werden. Dieser Artikel stellt
eine Ausnahme von der in Art. 73 genannten allgemeinen Regel
dar.
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I
Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass unter dem „im
Zeitpunkt der Entnahme festgestellten Einkaufspreis“ i. S. von
Art. 74 MwStSystRL der Restwert des Gegenstands im Zeit-
punkt der Entnahme zu verstehen ist
2
. Zu dem in diesem Arti-
kel ebenfalls genannten Umsatz in Form der Zuordnung eines
Gegenstands hat der Gerichtshof zudem ausgefu¨hrt, dass die
Steuerbemessungsgrundlage der zum Zeitpunkt der Zuordnung
ermittelte Wert des betreffenden Gegenstands ist, der dem
Marktpreis eines gleichwertigen Gegenstands unter Beru¨cksichti-
gung der Kosten fu¨r den Umbau dieses Gegenstands entspricht
3
.
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I
Daraus ergibt sich, dass die Steuerbemessungsgrundlage fu¨r
den Umsatz im Fall der Aufgabe der steuerbaren wirtschaft-
lichen Ta¨tigkeit der Wert der betreffenden Gegensta¨nde zum
Zeitpunkt der Aufgabe ist, der somit die Wertentwicklung der
genannten Gegensta¨nde zwischen ihrer Anschaffung und der
Aufgabe beru¨cksichtigt.
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I
Nach Art. 27 Abs. 3 ZDDS ist die Steuerbemessungsgrund-
lage fu¨r Umsa¨tze wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehen-
den der „Normalwert“, den das bulgarische Recht als den Betrag
definiert, der unter denselben Bedingungen fu¨r gleiche oder
gleichartige Gegensta¨nde aufgrund eines Rechtsgescha¨fts
zwischen nicht verbundenen Personen zu entrichten wa¨re. Es ist
Sache des vorlegenden Gerichts, zu pru¨fen, ob der „Normalwert“
i. S. dieser Bestimmung, so wie sie von der bulgarischen Steuer-
verwaltung ausgelegt und angewandt wird, in der Praxis dem
Restwert der Gegensta¨nde zum Zeitpunkt der Aufgabe der
steuerbaren wirtschaftlichen Ta¨tigkeit entspricht.
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I
Folglich ist auf die zweite und die vierte Frage zu antworten,
dass Art. 74 MwStSystRL dahin auszulegen ist, dass er einer na-
tionalen Bestimmung, wonach im Fall der Aufgabe der steuer-
baren wirtschaftlichen Ta¨tigkeit die Steuerbemessungsgrundlage
fu¨r den Umsatz der Normalwert der zum Zeitpunkt der Aufgabe
vorhandenen Gegensta¨nde ist, entgegensteht, sofern nicht dieser
Wert in der Praxis dem Restwert der genannten Gegensta¨nde
zum Zeitpunkt der Aufgabe entspricht und somit die Wertent-
wicklung dieser Gegensta¨nde zwischen dem Zeitpunkt ihrer
Anschaffung und jenem der Aufgabe der steuerbaren wirtschaft-
lichen Ta¨tigkeit beru¨cksichtigt wird.
Zur dritten Frage
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Mit seiner dritten Frage mo¨chte das vorlegende Gericht wis-
sen, ob Art. 74 MwStSystRL unmittelbare Wirkung hat.
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Nach st. Rspr. des Gerichtshofs kann sich der Einzelne in al-
len Fa¨llen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhalt-
lich unbedingt und hinreichend genau sind, vor den nationalen
Gerichten gegenu¨ber dem Staat auf diese Bestimmungen beru-
fen, wenn der Staat die Richtlinie nicht fristgema¨ß oder unzu-
la¨nglich in nationales Recht umgesetzt hat
4
.
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I
Es ist festzustellen, dass Art. 74 MwStSystRL klar und un-
bedingt die Kriterien fu¨r die Ermittlung der Steuerbemessungs-
grundlage fu¨r Umsa¨tze in Form der Zuordnung von Gegensta¨n-
den durch einen Stpfl. im Fall der Aufgabe seiner wirtschaft-
lichen Ta¨tigkeit festlegt. Diese Bestimmung erfu¨llt somit die ge-
nannten Voraussetzungen.
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Zudem ist darauf hinzuweisen, dass es nach st. Rspr. Sache
des vorlegenden Gerichts ist, eine innerstaatliche Vorschrift un-
ter Ausscho¨pfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das na-
tionale Recht einra¨umt, in U¨ bereinstimmung mit den Anforde-
rungen des Unionsrechts auszulegen und anzuwenden und,
wenn eine solche konforme Anwendung nicht mo¨glich ist, Vor-
schriften des innerstaatlichen Rechts, die diesen Anforderungen
widersprechen, unangewendet zu lassen
5
.
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I
Folglich ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 74
MwStSystRL unmittelbare Wirkung hat.
2 Vgl. EuGH-Urteil vom 17. 3. 2001 – Rs. C-322/99 und Rs. C-323/99, Fischer
und Brandenstein, EuGHE 2001 S. I-4049 = DB 2001 S. 1232, Rdn. 80.
3 Vgl. u. a. EuGH-Urteil vom 8. 11. 2012 – Rs. C-299/11, Gemeente Vlaardin-
gen, DB0556465, noch nicht in der amtlichen Sammlung vero¨ffentlicht,
Rdn. 30.
4 Vgl. EuGH-Urteil vom 19. 12. 2012 – Rs. C-549/11, Orfey Balgaria, DB 2013
S. 99, noch nicht in der amtlichen Sammlung vero¨ffentlicht, Rdn. 51 und die
dort angefu¨hrte Rspr.
5 Vgl. in diesem Sinn EuGH vom 26. 4. 2012, a.a.O. (Fn. 1), Rdn. 54 und die
dort angefu¨hrte Rspr.
Abgabenordnung/Umsatzsteuer
Zur Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist bei
ressortfremden Grundlagenbescheiden
AO § 175 Abs. 1 Nr. 1, § 171 Abs. 10; EGAO 1977 § 9 Art. 97,
§ 10; RAO § 144; UStG 1967, UStG 1973, UStG 1980, UStG 1991
§ 4 Nr. 20 Buchst. a, § 4 Nr. 21 Buchst. b
Grundlagenbescheide ressortfremder Beho¨rden, die nicht
dem Anwendungsbereich der §§ 179 ff. AO unterliegen, be-
wirken eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 10 AO nur,
wenn sie vor Ablauf der Festsetzungsfrist fu¨r die betroffene
Steuer erlassen worden sind.
BFH-Urteil vom 21. 2. 2013 – V R 27/11
u
DB0593523
Die Kla¨gerin betrieb eine Ballettschule. Sie unterwarf in den Streitjah-
ren 1972-1992 ihre Umsa¨tze dem Regelsteuersatz. Die USt-Bescheide
wurden bestandskra¨ftig. Auf Antrag der Kla¨gerin erteilte die Bezirks-
regierung am 30. 9. 2004 der Kla¨gerin eine Bescheinigung „gem. § 4
Nr. 21 a bb UStG vom 24. 3. 1999“, wonach die Ballettschule – je nach
Studio mit unterschiedlichem Beginn in der Zeit zwischen 1971-1995
– als Privatschule ordnungsgema¨ß auf einen Beruf als Ballettlehrer, Bal-
lettta¨nzer oder Musicaldarsteller vorbereite. Auf weiteren Antrag erteilte
das Ministerium fu¨r Wissenschaft und Kultur am 24. 1. 2008 zudem
eine Bescheinigung „nach § 4 Nr. 20 a UStG“ (gemeint ist § 4 Nr. 20
Buchst. b UStG) mit Wirkung ab dem 1. 1. 1973, wonach die Theater-
und Schulauffu¨hrungen der Ballettschule die gleichen kulturellen Auf-
gaben wie die in § 4 Nr. 20 Buchst. a UStG bezeichneten „o¨ffentlichen
Einrichtungen“ erfu¨llen. Die Kla¨gerin beantragte daraufhin am 14. 9.
2006 und am 18. 2. 2008 die A¨ nderung der USt-Bescheide 1972-1992.
Das FA lehnte die Antra¨ge der Kla¨gerin, die bestandskra¨ftigen USt-Be-
scheide 1972-1992 entsprechend den Bescheinigungen zu a¨ndern und
die Umsa¨tze steuerfrei zu belassen, ab. Das FG gab der Klage statt
1
.
1 FG Niedersachsen, Urteil vom 16. 9. 2010 – 16 K 295/09, EFG 2011 S. 25.
DER BETRIEB | Nr. 21 | 24. 5. 2013
Steuerrecht
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