30. 9. 2004 und vom 24. 1. 2008 nach § 175 Abs. 1 AO ent-
gegen, dass die Festsetzungsfrist fu¨r die USt fu¨r 1977-1992 bei
Erlass der Grundlagenbescheide der ressortfremden Beho¨rde be-
reits abgelaufen war. Denn bei Anwendung von § 171 Abs. 10
AO ist danach zu differenzieren, ob es sich bei dem die Ablauf-
hemmung bewirkenden Grundlagenbescheid um einen Feststel-
lungsbescheid – i. S. der §§ 179 ff. AO einem Grundlagen-
bescheid einer Finanzbeho¨rde (§ 6 Abs. 2 AO) – oder um einen
anderen Grundlagenbescheid einer aus Sicht der AO ressort-
fremden Beho¨rde handelt.
Feststellung von Besteuerungsgrundlagen als unselbststa¨ndi-
ger Teil des Steuerbescheides
25
I
aa)
Die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen ist grds.
unselbststa¨ndiger Teil des Steuerbescheides; eine Durchbre-
chung des Grundsatzes der Einheit des Steuerfestsetzungsver-
fahrens (vgl. §§ 155 Abs. 1, 157 Abs. 2 AO) findet nur statt,
wenn und soweit dies ausdru¨cklich gesetzlich bestimmt ist
7
. In-
soweit bezwecken die Vorschriften der §§ 179 ff. AO in verfah-
rens-rechtlich gestufter und abschichtender Weise, die notwen-
digen Entscheidungen verbindlich vorzugeben, um auf dieser
Grundlage die Folgebescheide erlassen zu ko¨nnen
8
. Steuerrecht-
liche Grundlagenbescheide – wie z. B. Feststellungsbescheide –
unterliegen den Regelungen der AO, die im Gegensatz zur
RAO fu¨r den Erlass von Feststellungsbescheiden eine eigensta¨n-
dige Feststellungsfrist eingefu¨hrt hat. So gelten fu¨r die gesonder-
te Feststellung gem. § 181 Abs. 1 Satz 1 AO die Vorschriften
u¨ber die Durchfu¨hrung der Besteuerung und damit auch die
Vorschriften u¨ber die Festsetzungsverja¨hrung sinngema¨ß.
26
I
Nach § 181 Abs. 5 AO kann eine gesonderte Feststellung
nach Ablauf der fu¨r sie geltenden Feststellungsfrist i. U¨ . nur in-
soweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung fu¨r eine Steuer-
festsetzung von Bedeutung ist, fu¨r die die Festsetzungsfrist im
Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen
ist. Diese Regelung tra¨gt dem Umstand Rechnung, dass Festset-
zungsfrist und Feststellungsfrist bei steuerrechtlichen Grund-
lagenbescheiden auseinanderfallen ko¨nnen, weil auch fu¨r die
Feststellungsfrist die Ablaufhemmungstatbesta¨nde maßgeblich
sind.
Regelungssystem der AO zur Beru¨cksichtigung von Grundlagen-
bescheiden
27
I
Der AO liegt danach ein Regelungssystem zugrunde, wo-
nach Grundlagenbescheide, soweit eine ausdru¨ckliche von der
Festsetzungsfrist des betreffenden Steuerbescheides (Folge-
bescheides) abweichende Regelung zur Feststellungsfrist fu¨r den
Grundlagenbescheid fehlt, steuerrechtlich nur zu beru¨cksichti-
gen sind, wenn sie innerhalb der Festsetzungsfrist fu¨r den betref-
fenden (Folge-)Steuerbescheid erlassen worden sind.
§ 171 Abs. 10 AO entha¨lt fu¨r Grundlagenbescheide ressortfrem-
der Beho¨rden . . .
28
I
bb)
Bei Grundlagenbescheiden ressortfremder Beho¨rden ist
§ 171 Abs. 10 AO lu¨ckenhaft und deshalb aufgrund einer teleo-
logischen Reduktion einschra¨nkend dahingehend auszulegen,
dass die von dieser Vorschrift angeordnete Ablaufhemmung –
wie in den Fa¨llen der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3, 4 bis
6, 9 und 13 AO – voraussetzt, dass der Grundlagenbescheid
noch vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist fu¨r die Steuer, fu¨r die
der Grundlagenbescheid bindend ist, bekanntgegeben wird.
. . . eine Regelungslu¨cke
29
I
(1)
Eine Regelungslu¨cke liegt vor, wenn eine Regelung ge-
messen an ihrem Zweck unvollsta¨ndig, d. h. erga¨nzungsbedu¨rf-
tig ist und wenn ihre Erga¨nzung nicht einer vom Gesetzgeber
beabsichtigten Beschra¨nkung auf bestimmte Tatbesta¨nde wider-
spricht. Dass eine gesetzliche Regelung nur rechtspolitisch als
verbesserungsbedu¨rftig anzusehen ist („rechtspolitische Fehler“),
reicht nicht aus. Ob eine Regelungslu¨cke oder lediglich ein sog.
rechtspolitischer Fehler vorliegt, ist unter Heranziehung des
Gleichheitsgrundsatzes zu ermitteln, wobei auf die Wertungen
und die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zuru¨ckzugreifen ist.
Die Unvollsta¨ndigkeit muss sich bereits aus der dem Gesetz im-
manenten Zwecksetzung ergeben und nicht nur aus einer selbst-
sta¨ndigen kritischen Wu¨rdigung des Gesetzes. Auch bei einem
eindeutigen Gesetzeswortlaut kann eine Gesetzeslu¨cke vorlie-
gen
9
.
Lu¨ckenfu¨llung u. a. durch teleologische Reduktion
30
I
Liegt eine sog. Gesetzeslu¨cke vor, ist diese in einer dem Ge-
setzeszweck, der Entstehungsgeschichte und der Gesetzessyste-
matik entsprechenden Weise zu schließen. Zur Lu¨ckenfu¨llung
kommen insbesondere Analogie, teleologische Extension oder
Reduktion in Betracht
9
. Dies ist Aufgabe der Fachgerichte
10
.
Zweck der Verja¨hrungsvorschriften
31
I
(2)
Danach entha¨lt § 171 Abs. 10 AO eine Regelungslu¨cke.
Denn nach ihrem Grundgedanken und System dienen die
§§ 169 ff. AO dazu, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden da-
durch herzustellen, dass Steueranspru¨che nur innerhalb be-
stimmter Fristen geltend gemacht werden ko¨nnen
11
.
. . . erfordert zeitliche Grenze fu¨r A¨ nderungsmo¨glichkeit . . .
32
I
Dieser auch fu¨r die Auslegung des § 171 Abs. 10 AO zu be-
achtende Normzweck wird fu¨r den Fall ressortfremder Grund-
lagenbescheide nicht verwirklicht, wenn diese wie Feststellungs-
bescheide der Finanzbeho¨rden i. S. von §§ 179 ff. AO auch bei
einer Bekanntgabe nach Ablauf der regula¨ren Festsetzungsfristen
des § 169 AO zu einer Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 10
AO fu¨hren wu¨rden, ohne dass fu¨r den Erlass derartiger Grund-
lagenbescheide – wie nach § 181 AO – zeitliche Grenzen beste-
hen. Eine fu¨r ressortfremde Grundlagenbescheide zeitlich unbe-
grenzte A¨ nderungsmo¨glichkeit ist nicht lediglich ein rechtspoli-
tischer Fehler. Die Verselbststa¨ndigung der Feststellung einzel-
ner fu¨r die Besteuerung vorgreiflicher Umsta¨nde und Beurteilun-
gen rechtlicher Art
12
aus verfahrenso¨konomischen Gru¨nden –
z. B. mit Ru¨cksicht auf Sachna¨he
13
– hat unabha¨ngig davon, ob
die abgeschichtete Feststellung den Finanzbeho¨rden oder einer
7 BFH-Beschluss vom 11. 4. 2005 – GrS 2/02, BStBl. II 2005 S. 679 = DB 2005
S. 1607, unter C. 4.
8 BFH vom 11. 4. 2005, a.a.O. (Fn. 7), unter C. 3. b).
9 BFH-Urteil vom 11. 2. 2010 – V R 38/08, BStBl. II 2010 S. 873 = DB 2010
S. 1272, unter II. 5. a), m. w. N. zur BFH-Rspr.
10 Vgl. z. B. BVerfG-Urteil vom 3. 4. 1990 – 1 BvR 1186/89, BVerfGE 82 S. 6 =
NJW 1990 S. 1593, unter C. I. 1.
11 Vgl. BFH-Urteil vom 31. 1. 1989 – VII R 77/86, BStBl. II 1989 S. 442, unter
II. 3. b); vom 26. 2. 2008 – VIII R 1/07, BStBl. II 2008 S. 659 = DB 2008
S. 1477, unter II. 3. a) bb); vom 24. 1. 2008 – VII R 3/07, BStBl. II 2008
S. 462 = DB 2008 S. 912, unter II. 2. b); vom 12. 5. 2009 – VII R 5/08,
BFH/NV 2009 S. 1602, unter 3.;
Kruse
, in: Tipke/Kruse, AO, FGO, vor
§§ 169 ff. AO Rdn. 5.
12 Vgl. BFH-Urteil vom 9. 5. 2000 – VIII R 40/99, BFH/NV 2001 S. 17.
13 Z. B. BFH-Beschluss vom 15. 9. 2011 – I R 53/10, BFH/NV 2012 S. 23, zu
§ 51a EStG.
DER BETRIEB | Nr. 21 | 24. 5. 2013
Steuerrecht
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