DER BETRIEB 21 - page 52

bots“ erworben hat. Es entspricht der sta¨ndigen Verwaltungspra-
xis der BaFin, dass diese Formulierung auch Parallelerwerbe er-
fasst
34
. Die Beru¨cksichtigung von Parallelerwerben ist auch wer-
tungsma¨ßig richtig. Der Angemessenheitsvermutung liegt der
Markttest als Konzept zugrunde. Besta¨tigt die ganz u¨berwiegen-
de Zahl der Markteilnehmer durch ihre Verkaufsentscheidung,
dass sie den angebotenen Preis als Gegenleistung akzeptiert,
kann dies nur als Beleg fu¨r die Angemessenheit verstanden wer-
den. Ob sich die betreffende Verkaufsentscheidung dabei in der
Annahme des Angebots oder aber in der Vera¨ußerung zu dem-
selben oder zu einem niedrigeren Preis u¨ber die Bo¨rse oder au-
ßerhalb der Bo¨rse manifestiert, spielt fu¨r die Aussagekraft des
Markturteils zur Angemessenheit keine Rolle
35
. Dem la¨sst sich
auch nicht entgegenhalten, die Motive fu¨r eine Vera¨ußerung sei-
en nicht ermittelbar. Nicht nur im Hinblick auf Parallelerwerbe,
sondern auch im Hinblick auf die Annahme des Angebots ist
fu¨r die Angemessenheitsvermutung allein entscheidend, dass die
Aktiona¨re bereit waren, sich zum Angebotspreis (oder darunter)
von ihren Aktien zu trennen. Welche weiteren Motive dabei ei-
ne Rolle gespielt haben ko¨nnten, ist im einen wie im anderen
Fall unerheblich.
4. Annahme des Angebots durch Organmitglieder
Keine Besonderheiten ergeben sich nach zutreffender Ansicht
fu¨r die Annahme des Angebots durch Vorstands- oder Auf-
sichtsratsmitglieder der Zielgesellschaft
36
. Auch solche Aktien
sind ohne Weiteres aufgrund des Angebots erworben, sodass sie
bei der Berechnung der 90%-Schwelle zu beru¨cksichtigen sind.
Fu¨r eine teleologische Reduktion des § 39a Abs. 3 Satz 3
WpU¨ G besteht kein Anlass. Die Interessen von Organmitglie-
dern ko¨nnen zwar durch ein U¨ bernahme- oder Pflichtangebot
und den damit im Erfolgsfall verbundenen Kontrollwechsel im
Vergleich zu einem beliebigen Aktiona¨r zusa¨tzlich betroffen
sein. Dies hat aber fu¨r den Markttest keine Aussagekraft. Wie
dargelegt, spielt es im Rahmen der Angemessenheitsvermutung
generell keine Rolle, aus welchen sonstigen Motiven das Ange-
bot angenommen wird.
Es la¨sst sich auch keine Vermutung aufstellen, dass Organ-
mitgliedern der Zielgesellschaft mit gro¨ßeren Aktienpaketen fu¨r
die Annahme des Angebots typischerweise Sondervorteile ge-
wa¨hrt wu¨rden, wie dies gelegentlich ins Blaue hinein behauptet
wird
37
. Fu¨r eine solche Unterstellung fehlt es an jeglicher empiri-
scher Grundlage. Im Gegenteil: Je gro¨ßer die Beteiligung von
Organmitgliedern, desto unbedeutender werden in wirtschaftli-
cher Hinsicht andere Effekte der U¨ bernahme. Selbst wenn Vor-
standsmitglieder im Zusammenhang mit der U¨ bernahme Bo-
nus- oder Abfindungszahlungen erhalten, a¨ndert dies grundsa¨tz-
lich nichts daran, dass die von ihnen in das Angebot eingereich-
ten Aktien bei der Berechnung der 90%-Schwelle zu beru¨cksich-
tigen sind
38
. Wenn es sich allerdings um eine vom Bieter er-
brachte unmittelbare Gegenleistung fu¨r den Anteilserwerb han-
delt, wu¨rde dies nach den Mindestpreisregeln zu einer Erho¨hung
des Angebotspreises fu¨hren und allen Aktiona¨ren zugute kom-
men
39
. Im Regelfall wird es aber an der Eigenschaft als Gegen-
leistung fehlen.
VI. Zusammenfassung und Ausblick
Der u¨bernahmerechtliche Squeeze-out ist nach wie vor durch ei-
ne Reihe nicht abschließend gekla¨rter Rechtsfragen gekenn-
zeichnet. Zwar hat der BGH in seiner ju¨ngsten Entscheidung
zu § 39c WpU¨ G die Frage nach dem maßgeblichen Zeitpunkt
fu¨r die Erreichung der 95%-Schwelle des § 39a Abs. 1 Satz 1
WpU¨ G (teilweise) entschieden, insoweit besteht aber Korrektur-
bedarf. Mit seiner Entscheidung hat der BGH demonstriert,
dass selbst auf eine gefestigte Literaturansicht kein Verlass ist.
Diese Unberechenbarkeit macht den u¨bernahmerechtlichen
Squeeze-out neben der zumeist langen Verfahrensdauer zusa¨tz-
lich unattraktiv. Indem der BGH den Zeitraum fu¨r die Errei-
chung der 95%-Schwelle auf die weitere oder gar die urspru¨ng-
liche Annahmefrist begrenzt, wird der Anwendungsbereich der
§§ 39a, 39b WpU¨ G erheblich verkleinert. Die Befu¨rchtung
du¨rfte daher nicht fernliegen, dass der BGH den u¨bernahme-
rechtlichen Squeeze-out mit seiner Entscheidung auf absehbare
Zeit faktisch abgeschafft hat. Fu¨r die wenigen verbleibenden
Fallkonstellationen du¨rften die aus Bietersicht unbestreitbaren
Vorteile des u¨bernahmerechtlichen Squeeze-out durch die ver-
bleibende Rechtsunsicherheit zu Fragen der Angemessenheits-
vermutung und die lange Verfahrensdauer eingetru¨bt werden.
Von dem in der Gesetzesbegru¨ndung postulierten „zu¨gigen und
kostengu¨nstigen Ausschluss verbleibender Minderheitsaktiona¨-
re“
40
kann jedenfalls keine Rede sein, sodass dringender gesetz-
geberischer Nachbesserungsbedarf besteht.
Der Gesetzgeber sollte insbesondere zum Stand vor der Re-
form des Rechts der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuru¨ckkehren
und die Mo¨glichkeit der Rechtsbeschwerde ausdru¨cklich aus-
schließen. Angesichts der Verfahrenskonzentration bei den
Frankfurter Gerichten erscheint eine Rechtsbeschwerde nicht
geboten. Durch den Ausschluss der Rechtsbeschwerde ließe
sich fu¨r den Bieter zumindest eine gewisse Sicherheit schaffen,
das Squeeze-out-Verfahren in rund einem Jahr abschließen zu
ko¨nnen. Neben der zeitlichen Straffung des Verfahrens sollte
der Gesetzgeber auch die bestehenden Rechtsunsicherheiten
im Hinblick auf die Angemessenheitsvermutung beseitigen.
Am dringendsten geboten ist eine Klarstellung, dass auch Pa-
rallelerwerbe zu beru¨cksichtigen sind. Damit wu¨rde der Ge-
setzgeber kein Neuland betreten, da auch in anderen EU-Mit-
gliedstaaten bereits entsprechende Regelungen existieren
41
. Zu
erwa¨gen wa¨re zudem, die 95%-Schwelle des § 39a Abs. 1
Satz 1 WpU¨ G entsprechend dem Vorbild des § 62 Abs. 5
UmwG auf 90% herabzusetzen
42
. Damit der u¨bernahmerecht-
liche Squeeze-out entgegen der urspru¨nglichen gesetzgeberi-
schen Intention nicht weitgehend totes Recht wird, mu¨sste der
Gesetzgeber auch die Entscheidung des BGH korrigieren, so-
fern der BGH nicht selbst die Gelegenheit dazu bekommt
oder nutzt. Nicht nur dem Bieter fu¨r den u¨bernahmerecht-
lichen Squeeze-out, sondern auch dem außenstehenden Aktio-
na¨r fu¨r sein Andienungsrecht ist mehr gedient, wenn die
95%-Schwelle bis zum Ende der Antragsfrist nach § 39a
Abs. 4 Satz 1 WpU¨ G abzu¨glich einer zweiwo¨chigen U¨ berle-
gungsfrist erreicht werden kann.
34 Merkblatt vom 12. 7. 2007, Auslegung des § 35 Abs. 3 WpU¨ G durch die Bun-
desanstalt fu¨r Finanzdienstleistungsaufsicht.
35 Vgl.
Seiler
, a.a.O. (Fn. 11), § 39a Rdn. 80.
36 OLG Frankfurt/M. vom 21. 5. 2012, a.a.O. (Fn. 12), ZIP 2012 S. 1602 (1606);
LG Frankfurt/M. vom 15. 11. 2011, a.a.O. (Fn. 12), ZIP 2011 S. 2469 (2472
f.);
Seiler
, a.a.O. (Fn. 11), § 39a Rdn. 82.
37 Vgl. OLG Frankfurt/M. vom 21. 5. 2012, a.a.O. (Fn. 12), ZIP 2012 S. 1602
(1606).
38 Ebenso
Seiler
, a.a.O. (Fn. 11), § 39a Rdn. 82; s. auch LG Frankfurt/M. vom
15. 11. 2011, a.a.O. (Fn. 12), ZIP 2011 S. 2469 (2472 f.).
39 Vgl. OLG Frankfurt/M. vom 21. 5. 2012, a.a.O. (Fn. 12), ZIP 2012 S. 1602
(1606).
40 Begr. RegE, BT-Drucks.16/1003 S. 14.
41 Entsprechende Regelungen existieren etwa in O¨ sterreich (§ 7 O¨ GesAusG)
und Großbritannien (Sec. 979(8) Companies Act 2006).
42 Ebenso
Cascante/Tyrolt
, AG 2012 S. 97 (113);
Seiler
, a.a.O. (Fn. 11), § 39a
Rdn. 31; s. auch das Ergebnis einer Experten-Umfrage bei
Seibt
, ZIP 2012
S. 1 (10).
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Wirtschaftsrecht
DER BETRIEB | Nr. 21 | 24. 5. 2013
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