DER BETRIEB 21 - page 51

maßnahmen und nachlaufendes Spruchverfahren den umfassen-
den Markttest aus dem U¨ bernahme- oder Pflichtangebot fu¨r ei-
nen Squeeze-out zu nutzen.
V. Verbleibende Rechtsfragen
Der BGH hat nur eine der offenen Rechtsfragen um den u¨ber-
nahmerechtlichen Squeeze-out adressiert und auch insoweit of-
fengelassen, ob er fu¨r das Erreichen der 95%-Schwelle sogar
schon auf das Ende der urspru¨nglichen Annahmefrist abstellen
will. Weitere Rechtsfragen, insbesondere zur Ausgestaltung und
zu den Voraussetzungen der Angemessenheitsvermutung gem.
§ 39a Abs. 3 Satz 3 WpU¨ G bleiben zu kla¨ren.
1. Widerlegbarkeit der Angemessenheitsvermutung
Dies beginnt mit der Frage, ob die Angemessenheitsvermutung
widerlegbar oder unwiderlegbar ist. Nach vereinzelt vertretener
Ansicht handelt es sich um eine widerlegbare Vermutung, die
bereits durch Vorlage von Unternehmensbewertungen nach der
Ertragswertmethode widerlegt werden ko¨nne
23
. Die herrschende
Ansicht, die sich auf die Gesetzesbegru¨ndung des U¨ bernahme-
richtlinie-Umsetzungsgesetzes stu¨tzen kann
24
, geht dagegen von
einer unwiderlegbaren Vermutung aus
25
. Das OLG Frank-
furt/M. hat die Frage bislang offengelassen, dabei jedoch – bei
unterstellter Widerlegbarkeit – hohe Anforderungen an die Wi-
derlegung aufgestellt. Eine Widerlegung komme nur in Be-
tracht, wenn der Markttest ausnahmsweise keine Aussagekraft
habe, etwa weil die Kra¨fte des Marktes nicht gewirkt oder funk-
tioniert ha¨tten
26
. Vorzugswu¨rdig erscheint die Annahme einer
unwiderlegbaren Vermutung. Neben Wortlaut und Entste-
hungsgeschichte der Norm spricht hierfu¨r insbesondere auch die
Gesetzessystematik, da das WpU¨ G fu¨r eine anderweitige Ange-
messenheitsfeststellung durch das Gericht keine Verfahrens-
lo¨sungen vorsieht
27
. Selbst wenn man von einer grundsa¨tzlichen
Widerlegbarkeit der Angemessenheitsvermutung ausginge, sollte
eine Widerlegung i. S. der Rechtsprechung des OLG Frank-
furt/M. allenfalls in krassen Ausnahmefa¨llen in Betracht kom-
men. Insbesondere wa¨re vom Gericht kein Sachversta¨ndigengut-
achten zur Ermittlung der Angemessenheit des Angebotspreises
einzuholen
28
. Der Markttest gem. § 39a Abs. 3 Satz 3 WpU¨ G
ersetzt alle betriebswirtschaftlichen Bewertungsmethoden zur
Ermittlung der vollen Entscha¨digung. Dies ist unbedenklich, da
es keinen Anlass gibt, derartigen Bewertungsmethoden eine ho¨-
here Richtigkeitsgewa¨hr als dem unter Beru¨cksichtigung des
Bo¨rsenwerts festgesetzten Angebotspreis beizumessen, der von
der großen Mehrheit der vom Angebot adressierten Aktiona¨re
als angemessen befunden wurde.
2. Irrevocable Undertakings
Bereits gekla¨rt schien die Frage, ob in das Angebot eingereichte
Aktien auch dann bei der Berechnung der 90%-Schwelle zu be-
ru¨cksichtigen sind, wenn sich die betreffenden Aktiona¨re bereits
vor der Vero¨ffentlichung des Angebots im Rahmen eines sog.
ir-
revocable undertaking
zur Annahme des Angebots verpflichtet
haben. Das OLG Frankfurt/M. hatte dies bereits Ende 2008 be-
jaht
29
. Damals handelte es sich um eine letztinstanzliche Ent-
scheidung. Nachdem nunmehr fu¨r ku¨nftige Fa¨lle die Rechts-
beschwerde zum BGH offensteht, du¨rfte aber auch bei dieser
Frage die bereits erreichte Rechtssicherheit wieder verloren sein.
Bei
irrevocable undertakings
sind jedoch auch weiterhin keine
Gru¨nde ersichtlich, die einer Beru¨cksichtigung der entsprechen-
den Aktien entgegenstehen ko¨nnten. Fu¨r die Einbeziehung von
irrevocable undertakings
spricht schon, dass die Aktien hier un-
mittelbar durch Annahme des Angebots vera¨ußert werden
30
.
Zwar wird der Erwerbsgrund zeitlich noch vor Beginn des An-
gebotsverfahrens durch die Vereinbarung gesetzt. Dokumentie-
ren aber Großaktiona¨re, die sich typischerweise intensiver mit
den Verha¨ltnissen des Unternehmens befassen, durch Abschluss
von
irrevocable undertakings
ihre Bereitschaft, die von ihnen ge-
haltenen Aktien zum Angebotspreis in das Angebot einzurei-
chen, liegt hierin ein besonders starkes Indiz fu¨r die Angemes-
senheit des Angebotspreises
31
. Insoweit unterscheiden sich
irre-
vocable undertakings
von Aktienka¨ufen vorab und außerhalb des
U¨ bernahmeangebots, wie sie der ju¨ngsten Entscheidung des LG
Frankfurt/M. zugrunde lagen
32
.
3. Parallelerwerbe
Ebenfalls noch nicht abschließend gekla¨rt ist die Frage, ob Paral-
lelerwerbe außerhalb des eigentlichen Angebotsverfahrens bei der
Berechnung der 90%-Schwelle des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpU¨ G
einzubeziehen sind. Der Wortlaut von § 39a Abs. 3 Satz 3WpU¨ G
(„aufgrund des Angebots“) ist offen formuliert. Der Erwerb von
Aktien der Zielgesellschaft parallel zum U¨ bernahmeangebot ist
kausal mit dem Angebot verknu¨pft. Mit aller Wahrscheinlichkeit
ha¨tte weder der Bieter die Aktien ohne das Angebot erworben
noch ha¨tte der Vera¨ußerer einen durch das Angebot getriebenen
Preis erzielen ko¨nnen. Parallelerwerbe sind deshalb bei der Be-
rechnung der 90%-Schwelle zu beru¨cksichtigen
33
.
Besta¨tigt wird dies durch einen Vergleich mit der ganz herr-
schenden Interpretation der wortgleichen Formulierung in § 35
Abs. 3 WpU¨ G. Der Bieter ist danach vom Pflichtangebot be-
freit, wenn er die Kontrolle „aufgrund eines U¨ bernahmeange-
23 So insbesondere
Heidel/Lochner
, a.a.O. (Fn. 14), § 39a WpU¨ G Rdn. 56 ff.;
dies
., Der Konzern 2006 S. 653 (656); ebenso noch LG Frankfurt/M., Be-
schluss vom 5. 8. 2008 – 3-5 O 15/08, Deutsche Hypothekenbank, ZIP 2008
S. 1769 (1770) (aufgehoben durch OLG Frankfurt/M., Beschluss vom 9. 12.
2008 – WpU¨ G 2/08, DB 2009 S. 54 = ZIP 2009 S. 74).
24 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1003 S. 22: „ist als angemessene Abfindung
anzusehen“.
25 OLG Stuttgart vom 5. 5. 2009, a.a.O. (Fn. 5), ZIP 2009 S. 1059 (1061);
Has-
selbach
, a.a.O. (Fn. 12), § 39a Rdn. 68 ff.;
Ho¨rmann/Feldhaus
, BB 2008
S. 2134 (2136);
Holzborn/Peschke
, BKR 2007 S. 101 (106);
Merkner
, in:
Baums/Thoma, WpU¨ G, Stand: Mai 2012, § 39a Rdn. 55 ff.;
Merlt/Binder
, BB
2006 S. 1285 (1290);
Mu¨ller-Michaels
, a.a.O. (Fn. 13), § 39a WpU¨ G Rdn. 12;
Noack/Zetzsche
, a.a.O. (Fn. 13), § 39a WpU¨ G Rdn. 28 ff.;
Ott
, WM 2008
S. 384 (390);
Santelmann
, a.a.O. (Fn. 12), § 39a Rdn. 31 ff.;
Schlitt/Ries/Be-
cker
, NZG 2008 S. 700 f.;
Steinmeyer/Santelmann
; BB 2009 S. 674;
Su¨ßmann
,
NZG 2009 S. 980 f.;
Theiselmann
, Der Konzern 2009 S. 221 (225);
Wilsing/
Ogorek
, BB 2008 S. 2038 f.;
dies
., GWR 2009 S. 211 (213 f.).
26 OLG Frankfurt/M. vom 9. 12. 2008, a.a.O. (Fn. 23), ZIP 2009 S. 74 (78); be-
sta¨tigt durch OLG Frankfurt/M. vom 21. 5. 2012, a.a.O. (Fn. 12), ZIP 2012
S. 1602 (1607 f.); ebenso jetzt LG Frankfurt/M. vom 15. 11. 2011, a.a.O.
(Fn. 12), ZIP 2011 S. 2469 (2473 f.); vom 19. 2. 2013, a.a.O. (Fn. 15), ZIP
2013 S. 625 (628).
27 Ausfu¨hrlich OLG Stuttgart vom 5. 5. 2009, a.a.O. (Fn. 5), ZIP 2009 S. 1059
(1061);
Merkner
, a.a.O. (Fn. 25), § 39a Rdn. 55 ff.
28 So ausdru¨cklich OLG Frankfurt/M. vom 9. 12. 2008, a.a.O. (Fn. 23), ZIP 2009
S. 74 (78).
29 OLG Frankfurt/M. vom 9. 12. 2008, a.a.O. (Fn. 23), ZIP 2009 S. 74 (75); be-
sta¨tigt durch OLG Frankfurt/M. vom 21. 5. 2012, a.a.O. (Fn. 12), ZIP 2012
S. 1602 (1607 f.); ebenso LG Frankfurt/M. vom 5. 8. 2008, a.a.O. (Fn. 23);
vom 13. 3. 2009, a.a.O. (Fn. 12);
Hasselbach
, a.a.O. (Fn. 12), § 39a Rdn. 67;
Merkner/Sustmann
, a.a.O. (Fn. 12), § 39a Rdn. 34;
Noack/Zetzsche
, a.a.O.
(Fn. 12), § 39a WpU¨ G Rdn. 25 f.;
Seiler
, a.a.O. (Fn. 11), § 39a Rdn. 77;
Thei-
selmann
, Der Konzern 2009 S. 221 (223); a. A.
Schu¨ppen/Tretter
, a.a.O.
(Fn. 12), § 39a Rdn. 25; differenzierend
Su¨ßmann
, a.a.O. (Fn. 14), § 39a
Rdn. 10.
30
Hasselbach
, a.a.O. (Fn. 12), § 39a Rdn. 67;
Merkner/Sustmann
, a.a.O.
(Fn. 12), § 39a Rdn. 34;
Seiler
, a.a.O. (Fn. 11), § 39a Rdn. 77.
31
Seiler
, a.a.O. (Fn. 11), § 39a Rdn. 77.
32 Vgl. LG Frankfurt/M. vom 19. 2. 2013, a.a.O. (Fn. 15), ZIP 2013 S. 625
(629).
33 Ebenso
Bork
, NZG 2011 S. 650 (651);
Grunewald
, a.a.O. (Fn. 12), § 39a WpU¨ G
Rdn. 30;
Hasselbach
, a.a.O. (Fn. 12), § 39a Rdn. 65 f.;
Merkner/Sustmann
,
a.a.O. (Fn. 12), § 39a Rdn. 35 ff.;
Ott
, WM 2008 S. 384 (389);
Paefgen
, WM
2007 S. 765 (769);
Santelmann,
a.a.O. (Fn. 12), § 39a Rdn. 27;
Seiler
, a.a.O.
(Fn. 11), § 39a Rdn. 78 ff.; a. A.
Su¨ßmann
, a.a.O. (Fn. 14), § 39a Rdn. 9.
DER BETRIEB | Nr. 21 | 24. 5. 2013
Wirtschaftsrecht
1163
1...,41,42,43,44,45,46,47,48,49,50 52,53,54,55,56,57,58,59,60,61,...86
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