Entscheidungen
Insolvenzrecht
Befugnis zur Ausu¨bung des Leistungsverweige-
rungsrechts gem. § 320 BGB nach Verlust der
Verwaltungs- und Verfu¨gungsbefugnis gem.
§ 80 InsO
Ru¨ckabwicklung eines Erbbaurechtsvertrages – Leistungs-
verweigerungsrecht des Ru¨ckgewa¨hrschuldners gegenu¨ber
Ru¨ckgewa¨hranspruch trotz Verlusts der Verwaltungs- und
Verfu¨gungsbefugnis – Leistung des Ersatzanspruch an die
Insolvenzmasse
BGB § 320 Abs. 1; InsO § 80 Abs. 1
Ein Schuldner verliert nicht dadurch die Befugnis zur Aus-
u¨bung des Leistungsverweigerungsrechts nach § 320 BGB,
dass die Verwaltungs- und Verfu¨gungsbefugnis u¨ber sein
Vermo¨gen nach § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter
u¨bergegangen ist. Der Schuldner kann dieses Recht – wenn
der Gla¨ubiger nach der Ero¨ffnung des Insolvenzverfahrens
zula¨ssigerweise einen Prozess gegen ihn fortfu¨hrt – viel-
mehr dahin geltend machen, dass die Gegenleistung in die
Insolvenzmasse gezahlt werden soll.
BGH-Urteil vom 15. 3. 2013 – V ZR 201/11
u
DB0592113
Die klagende Stadt schloss mit dem Beklagten einen Erbbaurechtsver-
trag, der nicht im Grundbuch vollzogen wurde. Der Beklagte, der be-
reits vor Eintragung des Erbbaurechts ein Entgelt i. H. des Erbbauzin-
ses zahlen sollte, nahm das Grundstu¨ck in Besitz und begann mit dem
Bau eines Einfamilienhauses. Der Bau blieb im Rohbauzustand stecken,
und der Beklagte zahlte das vereinbarte Nutzungsentgelt nicht weiter.
Die Kla¨gerin trat von dem Erbbaurechtsvertrag zuru¨ck, nachdem sie
dem Beklagten fruchtlos eine Frist zur Nachzahlung des ru¨cksta¨ndigen
Entgelts gesetzt hatte.
Die Kla¨gerin hat gegen den Beklagten Klage u. a. auf Herausgabe des
Grundstu¨cks erhoben, der Beklagte hat sich auf ein Leistungsverweige-
rungsrecht wegen seiner Aufwendungen fu¨r den Bau berufen. U¨ ber das
Vermo¨gen des Beklagten ist nach Rechtsha¨ngigkeit der Klage das Insol-
venzverfahren ero¨ffnet worden. Die Kla¨gerin hat den Rechtsstreit wie-
der aufgenommen, nachdem der Insolvenzverwalter ihr mitgeteilt hatte,
dass er keinen Besitz an dem Erbbaugrundstu¨ck ausu¨be.
Das LG Leipzig hatte den Beklagten zur Herausgabe des Grundstu¨cks
verurteilt. Das OLG Dresden hatte die Berufung des Beklagten zuru¨ck-
gewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision will der Be-
klagte erreichen, nur Zug um Zug gegen Ersatz seiner Aufwendungen
fu¨r den Bau zur Herausgabe des Grundstu¨cks verurteilt zu werden. Das
Berufungsurteil war bereits deshalb aufzuheben, weil es keine tatsa¨ch-
lichen Feststellungen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) entha¨lt.
AUS DEN GRU¨ NDEN
1 . . . 6
I
I.
. . .
II. 1.
Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft
unter Hinweis auf § 540 Abs. 2 i. V. mit § 313a Abs. 1 Satz 1
ZPO von einer Wiedergabe des Parteivorbringens abgesehen.
. . . (Wird ausgefu¨hrt.)
Hinweise des Senats fu¨r die erneute Verhandlung
9
I
III.
Vorsorglich weist der Senat fu¨r die neue Verhandlung
und Entscheidung darauf hin, dass die Rechtsausfu¨hrungen in
den Urteilsgru¨nden ebenfalls nicht von Rechtsfehlern frei sind.
Zur Befugnis des Schuldners zur Ausu¨bung des Leistungsver-
weigerungsrechts nach Insolvenzero¨ffnung
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I
1.
Das Berufungsgericht meint zu Unrecht, dass der Beklag-
te das Leistungsverweigerungsrecht infolge der Ero¨ffnung des
Insolvenzverfahrens nicht mehr geltend machen ko¨nne. Ein
Schuldner verliert nicht dadurch die Befugnis zur Ausu¨bung des
Leistungsverweigerungsrechts nach § 320 BGB, dass die Ver-
waltungs- und Verfu¨gungsbefugnis u¨ber den Anspruch auf die
Gegenleistung nach § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwal-
ter u¨bergegangen ist. Der Schuldner kann dieses Recht – wenn
der Gla¨ubiger nach der Ero¨ffnung des Insolvenzverfahrens zu-
la¨ssigerweise einen Prozess gegen ihn fortfu¨hrt – vielmehr dahin
geltend machen, dass die Gegenleistung in die Insolvenzmasse
gezahlt werden soll.
Geltendmachung der Forderung nur aufgrund Erma¨chtigung des
Insolvenzverwalters
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a)
Richtig ist zwar, dass der Schuldner eine zur Insolvenz-
masse geho¨rende Forderung nur dann aktiv (im Wege der Klage
oder der Widerklage) geltend machen kann, wenn er dazu von
dem Insolvenzverwalter erma¨chtigt worden ist
1
. Das steht der
Ausu¨bung des Leistungsverweigerungsrechts nach § 320 BGB
durch den Schuldner jedoch nicht entgegen.
Zum rechtlich geschu¨tzten Interesse auf Leistungsverweigerung
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I
b)
Das Leistungsverweigerungsrecht folgt aus dem bei ge-
genseitigen Verpflichtungen durch § 320 BGB rechtlich ge-
schu¨tzten Interesse jedes Vertragsteils, nicht leisten zu mu¨ssen,
solange der andere Teil seinen vertraglichen Leistungspflichten
nicht nachkommt.
Schutz des Interesses selbst nach einer Abtretung des An-
spruchs auf die Gegenleistung
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aa)
Dieses Interesse wird selbst nach einer Abtretung des
Anspruchs auf die Gegenleistung geschu¨tzt. Der dadurch einge-
tretene Verlust der Verwaltungs- und Verfu¨gungsbefugnis des
Zedenten fu¨hrt nicht zum Wegfall seines Leistungsverweige-
rungsrechts
2
. Einer Erma¨chtigung zur Geltendmachung des Leis-
tungsverweigerungsrechts durch den Zessionar bedarf es nicht
3
.
Das gilt – entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung –
nicht nur fu¨r bei der Abtretung von Anspru¨chen wegen Ma¨ngeln
nach §§ 434 ff. BGB oder §§ 633 ff. BGB, sondern allgemein.
Zula¨ssige Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts
im Interesse der Vollstreckungsgla¨ubiger . . .
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I
bb)
Vollstreckungsrechtliche Gesichtspunkte stehen der
Ausu¨bung des Leistungsverweigerungsrechts durch den Schuld-
ner nach dem Verlust der Verwaltungs- und Verfu¨gungsbefugnis
dann nicht entgegen, wenn das Recht im Interesse der Vollstre-
ckungsgla¨ubiger geltend gemacht wird.
. . . in der Einzelzwangsvollstreckung . . .
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I
(1)
In der Einzelzwangsvollstreckung wird davon ausgegan-
gen, dass der Schuldner das Leistungsverweigerungsrecht nach
1 Vgl. BGH-Urteil vom 29. 5. 1961 – VII ZR 46/60, BGHZ 35 S. 180 (184) und
vom 19. 3. 1987 – III ZR 2/86, BGHZ 100 S. 217 (218) = DB 1987 S. 1676 –
sog. modifizierte Freigabe.
2 Vgl. BGH-Urteil vom 10. 10. 1994 – VIII ZR 295/93, NJW 1995 S. 187 (188);
H.P. Westermann
, in: Erman, BGB, 13. Aufl., § 320 Rdn. 9;
Tettinger
, in: No-
mos Komm-BGB, § 320 Rdn. 5.
3 BGH-Urteil vom 26. 7. 2007 – VII ZR 262/05, DB0231800 = NJW-RR 2007
S. 1612 (1613), Rdn. 20.
DER BETRIEB | Nr. 21 | 24. 5. 2013
Wirtschaftsrecht
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