Entscheidungen
Gewinnermittlung/Ko¨rperschaftsteuer/Gewerbesteuer
Verfassungszweifel an der Zinsschranke verdich-
ten sich
EStG § 4h; KStG § 8a
1.
Das FG stellt fest, dass der Gesetzgeber mit der Einfu¨hrung
der Zinsschrankenregelung von seiner Grundentscheidung abge-
wichen ist, wonach Betriebsausgaben in dem Jahr abziehbar sind,
in dem sie anfallen und den Stpfl. belasten. In ihrer Wirkung
aber gehe die Zinsschranke, die insbesondere zur Verhinderung
missbra¨uchlicher konzerninterner Gewinnverlagerungen einge-
fu¨hrt worden sei, weit u¨ber diese Fa¨lle missbra¨uchlicher Gestal-
tungen hinaus. Auch im Bereich u¨blicher Fremdfinanzierungen
fu¨hre die Zinsschranke zu erheblichen Belastungswirkungen
bzw. einer Substanzbesteuerung, die besonders die Situation in-
solvenzbedrohter Unternehmen verschlechtern ko¨nne. Es sei
deshalb ernstlich zweifelhaft, ob die gesetzliche Beschra¨nkung
des Betriebsausgabenabzugs dem allgemeinen Gleichheitssatz
(Art. 3 GG) und dem verfassungsrechtlichen Gebot der Verha¨lt-
nisma¨ßigkeit entspreche.
2.
Trotz erheblicher verfassungsrechtlicher Bedenken wurde dem
Aussetzungsantrag der Antragstellerin im Ergebnis nicht statt-
gegeben, weil sich im Streitfall kein gegenu¨ber dem o¨ffentlichen
Interesse an dem Gesetzesvollzug u¨berwiegendes besonderes Aus-
setzungsinteresse der Antragstellerin – insbesondere keine durch
die Zinsschranke begru¨ndete Existenzgefa¨hrdung – feststellen ließ.
3.
Wegen der grds. Bedeutung hat das FG jedoch die Beschwer-
de zum BFH zugelassen
1
.
FG Mu¨nster, Beschluss vom 29. 4. 2013 – 9 V 2400/12 K
u
DB0594287
>
Anmerkungen von StB/WP Prof. Dr. Ulrich Prinz, Ko¨ln
Verfassungsrechtlicher Diskussionsstand zur Zinsschranke
Der Beschluss des 9. Senats beim FG Mu¨nster vom 29. 4. 2013
ist ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zur verfassungs-
rechtlichen Beurteilung der Zinsschranke. Die Grundregeln zur
erfolgsabha¨ngigen Begrenzung des zinsbezogenen Betriebsaus-
gabenabzugs entha¨lt § 4h EStG, ko¨rperschaftsteuerliche Erga¨n-
zungen sind in § 8a KStG zu finden. Beide Rechtsnormen sind
im Grundsatz wie im Detail hoch umstritten
2
. Zwischenzeitlich
hat der BFH in seinem Beschluss vom 13. 3. 2012
3
ernstliche
Verfassungszweifel an der gesellschafterfremdfinanzierungsbezo-
genen Ru¨ckgriffsklausel des § 8a Abs. 2 Alt. 3 KStG außerhalb
von back-to-back-Finanzierungen ausgemacht. Mit Vero¨ffent-
lichung der Entscheidung im BStBl. ra¨umt die Finanzverwaltung
die Verfassungszweifel ein. Das FG Berlin-Brandenburg hat mit
rechtskra¨ftigem Beschluss vom 13. 10. 2011
4
daru¨ber hinaus
ernstliche Verfassungszweifel an der Zinsschranke insgesamt in
einem u¨blich fremdfinanzierten Immobilienfall gea¨ußert und
AdV gewa¨hrt. Das FG Mu¨nster geht nun bei einem inlands-
basierten Mittelstandskonzern einen „Mittelweg“: Es artikuliert
zum einen klar und deutlich ernstliche Verfassungszweifel, die
den Kernbereich der Zinsschranke betreffen, ohne aber die Ver-
fassungsrechtslage als eindeutig zu qualifizieren
5
. Zum anderen
wird im Rahmen einer Rechtsgu¨terabwa¨gung zwischen o¨ffent-
lichem Interesse an geordneter Haushaltsfu¨hrung sowie Gel-
tungsanspruch eines formell ordnungsgema¨ß zustande gekom-
menen Gesetzes einerseits und den konkreten Aussetzungsinte-
ressen des Stpfl. andererseits die AdV abgelehnt. Dies erscheint
auf den ersten Blick recht zwiespa¨ltig, vielleicht etwas mutlos;
auf den zweiten Blick aber ist es nachvollziehbar. Das BVerfG
selbst hat sich mit den Verfassungszweifeln an der Zinsschranke
bislang nicht befassen mu¨ssen. Der Beschluss des FG Mu¨nster
ist deshalb zwar sehr wichtig, aber nur ein „Zwischenschritt“.
Rechtserwa¨gungen des FG Mu¨nster
Der Zinsschrankenrechtsstreit beim FG Mu¨nster wird gefu¨hrt
von einer inla¨ndischen Familien-GmbH, die Mutterunterneh-
men eines Mittelstandskonzerns mit globalen Produktions- und
Vertriebsaktivita¨ten ist
6
. Das Streitjahr ist 2008 und betrifft die
KSt; wegen der Aussetzungsfrage „blendet“ das FG Mu¨nster
aber auch die GewSt und die Jahre 2007/2009 ein. Die GmbH
erzielt – inkl. des zugerechneten Einkommens der Organgesell-
schaften – einen operativen Verlust, soll aber (vereinfacht dar-
gestellt) wegen der drastischen Kappung des Zinsabzugs – 66%
des Nettozinssaldos sind nicht abziehbar – Ertragsteuern zahlen.
Die Freigrenze von 3 Mio. € ist u¨berschritten, der Eigenkapital-
Escape konnte nicht in Anspruch genommen werden
7
. Die Zins-
aufwendungen resultieren ganz u¨berwiegend aus Bankverbind-
lichkeiten, ein kleinerer Teil (rd. 17%) aus Genussrechtskapital
einer nahestehenden Person. Eine ernsthafte Insolvenzgefa¨hr-
dung besteht trotz wirtschaftlich preka¨rer Lage wohl nicht, zu-
mal im Jahr 2012 ein chinesischer Investor „eingestiegen“ ist.
Die GmbH begru¨ndet ihren Aussetzungsantrag mit einem Ver-
stoß der Zinsschranke gegen den allgemeinen Gleichheitssatz
des Art. 3 GG und das folgerichtig umzusetzende Gebot der
Leistungsfa¨higkeitsbesteuerung
8
. Die Durchbrechung des objek-
tiven Nettoprinzips durch Anwendung der Zinsschranke bei ty-
pischen Finanzierungsgestaltungen sei u¨berschießend und nicht
durch Missbrauchsabwehr gegen „u¨berbordende internationale
Finanzierungskonstrukte“ zu rechtfertigen.
Im ersten Teil seines Beschlusses folgt das FG Mu¨nster den ver-
fassungsrechtlichen U¨ berlegungen des Antragstellers und ra¨umt
mit intensiver Begru¨ndung, aber naturgema¨ß begrenzt auf die
gebotene summarische Pru¨fung, Zweifel an der Verfassungs-
ma¨ßigkeit der Zinsschranke insgesamt ein. Dabei befasst sich
der Senat auch mit dem „qualifizierten Fiskalzweck“ als Recht-
fertigung zur Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips
9
, be-
urteilt die Wirkungen der Zinsschranke letztlich aber trotz ent-
stehenden und spa¨ter (jedenfalls abstrakt) nutzbaren Zinsvor-
trags als unverha¨ltnisma¨ßig. Dabei deutet das Gericht auch Ab-
wa¨gungsu¨berlegungen bei der Durchfu¨hrung eines Eigenkapital-
quotenvergleichs an, ohne dem bei der bloßen Aussetzungspru¨-
fung im Detail nachgehen zu ko¨nnen
10
. Insoweit gibt das Ge-
richt „Fingerzeige“ fu¨r das etwaige Hauptsacheverfahren.
Im zweiten Teil des Beschlusses lehnt das FG Mu¨nster aber
trotz der Verfassungszweifel im Rahmen einer ernsthaften und
konkreten Gu¨terabwa¨gung die AdV ab, la¨sst aber wegen der
insoweit offenen Grundsatzfragen bei divergierender Rspr. die
1 Redaktionelle Ls.
2 Zur Diskussion vgl.
Heuermann
, DStR 2013 S. 1;
Prinz
, FR 2013 S. 145.
3 BFH vom 13. 3. 2012 – I B 111/11, BStBl. II 2012 S. 611 = DB 2012 S. 1071.
Zu Erla¨uterungen
Gosch
, BFH/PR 7/2012 S. 243;
HHR/Prinz
, § 8a KStG
Anm. 4;
Rosen/Hu¨tig
, StuB 2012 S. 475.
4 FG Berlin-Brandenburg vom 13. 10. 2011 – 12 V 12089/11, EFG 2012 S. 358.
Zur Einordnung s.
Prinz
, FR 2012 S. 170.
5 FG Mu¨nster vom 29. 4. 2013 – 9 V 2400/12 K, DB0594161, Rdn. 55.
6 FG Mu¨nster vom 29. 4. 2013, a.a.O. (Fn. 5), Rdn. 19.
7 FG Mu¨nster vom 29. 4. 2013, a.a.O. (Fn. 5), Rdn. 33.
8 Dazu grundlegend
Birk
, in: FS Paul Kirchhof, 2013, S. 1591.
9 FG Mu¨nster vom 29. 4. 2013, a.a.O. (Fn. 5), Rdn. 38.
10 FG Mu¨nster vom 29. 4. 2013, a.a.O. (Fn. 5), Rdn. 44.
DER BETRIEB | Nr. 23 | 7. 6. 2013
Steuerrecht
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