DER BETRIEB 23 - page 33

StB Prof. Dr. Peter Bareis, Dettenhausen
Mindestbesteuerung und Liquidationszeitraum
– Anm. zum BFH-Urteil vom 23. 1. 2013 – I R 35/12 (DB0583831) –
u
DB0589650
I. Einleitung
Wie bei einer Dreijahresveranlagung nach § 11 KStG die Min-
destbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG anzuwenden ist, war
bis zum BFH-Urteil vom 23. 1. 2013 – I R 35/12
1
ho¨chstrich-
terlich noch nicht entschieden. Es geht um die Frage, „ob in den
Fa¨llen der Liquidationsbesteuerung der Sockelbetrag abziehbarer
Verluste i. H. von 1 Mio. € wegen des (maximal) dreija¨hrigen
Besteuerungszeitraums mehrfach zu gewa¨hren ist“
2
. Die Vor-
instanz, das FG Du¨sseldorf
3
, hatte in einem Fall mit zwei positi-
ven und einem negativen Einkommen innerhalb des Dreijahres-
zeitraums zwei Sockelbetra¨ge zugestanden, so wie dies auch bei
Einjahresveranlagungen geschehen wa¨re. Demgegenu¨ber ent-
schied nun der I. Senat des BFH, dass es sich um einen einheit-
lichen Vz. handele, sodass nur ein Sockelbetrag zu gewa¨hren sei.
Diese Frage ist allerdings nur dann zu kla¨ren, wenn die Be-
stimmung des § 10d Abs. 2 EStG i. V. mit § 8 Abs. 1 KStG fu¨r
verfassungsgema¨ß gehalten wird. M. E. ich dies nicht der Fall
4
.
Die Finanzgerichtsbarkeit ist gegenteiliger Ansicht, wendet also
die Mindestbesteuerung an. Der vorliegende Sachverhalt und
die Begru¨ndung des BFH weisen jedoch auf zusa¨tzliche Unge-
reimtheiten der Mindestbesteuerung hin. Diese versta¨rken die
Bedenken gegen die Verfassungsma¨ßigkeit des § 10d Abs. 2
EStG zusa¨tzlich. Dies zeigt sich, wenn der Sachverhalt nicht
nur formal-begrifflich gelo¨st wird, indem lediglich der Wortlaut
der gesetzlichen Regelungen zugrunde gelegt wird. Vielmehr
mu¨ssen Vergleichsrechnungen durchgefu¨hrt werden, die zeigen,
dass erhebliche Ungleichbehandlungen daraus resultieren ko¨n-
nen. Damit haben sich weder das FG noch der BFH in ihren
Urteilen auseinander gesetzt.
II. Sachverhalt des BFH-Urteils
Es geht um den Fall einer im Insolvenzverfahren befindlichen
GmbH, die Ende 2002 mit einem Verlustvortrag von
17,5 Mio. € belastet ist und in den folgenden drei Jahren ins-
gesamt saldiert ein Einkommen vor Verlustabzug von lediglich
3,5 Mio. € erzielt hat. Sie soll trotz fehlender Zahlungsfa¨higkeit
eine Mindest-KSt entrichten, da sie in den ersten beiden Jahren
ho¨here positive Einkommen ausweist, danach aber einen zusa¨tz-
lichen Verlust erlitten hat
5
.
Der Sachverhalt ist in den Urteilen des FGDu¨sseldorf ausfu¨hr-
lich dargestellt. Dort sind nicht alle Daten exakt nachvollziehbar.
Es ist aber vo¨llig ausreichend, die erfolgte abschließende Einigung
zwischen den Beteiligten darzustellen. Die GmbH einigte sich
wa¨hrend des laufenden Klageverfahrens mit dem FA u¨ber die zu-
treffenden Einkommen sowie u¨ber den gesondert festgestellten
Verlustabzugsbetrag in der in Tab. 1 dargestellten Weise.
Das Totaleinkommen in der letzten Zeile hat der Insolvenz-
verwalter dem BFH als voraussichtliches Gesamtergebnis fu¨r das
2013 zu erwartende Ende des Liquidationszeitraums genannt;
dem urspru¨nglich vorhandenen Verlustabzug von 17,5 Mio. €
steht ein voraussichtlicher Abwicklungsgewinn von 17,9 Mio. €
gegenu¨ber; also wird ein Totaleinkommen fu¨r 2003–2013 i. H.
von 0,4 Mio. € erwartet.
Vor der Einigung u¨ber die Daten zwischen GmbH und FA
hatte es verschiedene Veranlagungen gegeben, die fu¨r die
Grundsatzfrage unwichtig sind. Zur besseren U¨ bersicht sind die
Zahlen gerundet; dies hat auf die Beurteilung keinen Einfluss.
Einvernehmen besteht daru¨ber, dass fu¨r den Zeitraum
2003–2005 eine Dreijahresveranlagung nach § 11 Abs. 1 KStG
zu erfolgen hat; danach folgten Einjahresveranlagungen.
Das FG erkla¨rte zugunsten des Antrags der GmbH, dass im
vorliegenden Fall sowohl fu¨r das Jahr 2003 wie fu¨r das Jahr 2004
der Sockelbetrag von 1 Mio. € nach § 10d Abs. 2 EStG zu ge-
wa¨hren sei, nicht jedoch fu¨r das Jahr 2005, da hier ein Verlust vor-
handen war. Die Berechnung sollte dem FA u¨berlassen werden.
Auch der BFH stellte keine Berechnungen an, sondern er-
kla¨rte nach formal-begrifflicher Analyse der Bestimmungen, der
Sockelbetrag du¨rfe bei einer Dreijahresveranlagung nur einmal
gewa¨hrt werden.
31.12.2002 Festgestellter Verlustabzug
-17,5
2003 Einkommen
6,0
2004 Einkommen
1,5
2005 Einkommen
-4,0
2003-2005 Summe der Einkommen im Dreijahreszeitraum
3,5
Totaleinkommen* Lt. BFH-Urteil fu¨r den Zeitraum 2003-2013
0,4
* Im FG-Urteil finden sich auch Angaben u¨ber die Verlust-„Nutzung“ in
den Jahren 2006 und 2007 lt. FA, die hier ebenfalls unbeachtlich sind.
Der Ausdruck Verlust-„Nutzung“ lt. FA verdeutlicht ein mehr als fragwu¨r-
diges Versta¨ndnis fu¨r die Situation einer KapGes., die Verluste erlitten
hat, als ob diese zur Minderung von Steuerzahlungen bewusst in Kauf ge-
nommen worden wa¨ren. Die Information u¨ber das (voraussichtliche) To-
taleinkommen findet sich unter Rdn. 4 des BFH-Urteils vom 23. 1. 2013.
Tab. 1: Gerundete Zahlen lt. U¨ bereinkunft bzw. Information der
Beteiligten in Mio. €
Prof. Dr. Peter Bareis
war bis zum Eintritt in den Ruhestand Ordina-
rius fu¨r Betriebswirtschaftliche Steuerlehre und Pru¨fungswesen an
der Universita¨t Hohenheim, Stuttgart. Der Verf. dankt
Prof. Dr.
Theodor Siegel
fu¨r die intensive Diskussion und wichtige Hinweise.
1 BFH-Urteil vom 23. 1. 2013 – I R 35/12, DB0583831.
2 BFH unter:
vorschau; Abruf 15. 3. 2013.
3 FG Du¨sseldorf, Urteil vom 12. 3. 2012 – 6 K 2199/09 K, DB0479349 = EFG
2012 S. 1387; vgl. dazu auch
Graw
, StR kompakt DB0479352.
4
Bareis
, DB 2013 S. 144.
5 Ist der Absolutbetrag des Verlustvortrags aus Vorjahren gro¨ßer als das
1 Mio. € u¨bersteigende Jahreseinkommen (|VV
0
| > Y
1
> 1), so betra¨gt der
Verlustabzug (VA
1
) lediglich 1 Mio. € zzgl. 60% des diesen Betrag u¨berstei-
genden Einkommens: VA
1
= 0,6*(Y
1
– 1) + 1 = 0,6*Y
1
+ 0,4. Das zu versteu-
ernde Einkommen (Y
1z
) ermittelt sich dann so: Y
1z
= Y
1
– VA
1
. = 0,4*Y
1
0,4. Ist im Folgejahr das Einkommen negativ, so kommt ein Verlustru¨cktrag
(VR
2
R
1
) in Betracht, der aber ho¨chstens 0,5115 Mio. € betra¨gt. Das nach
Ru¨cktrag verbleibende zu versteuernde Einkommen (Y
1zr
) ermittelt sich
dann: Y
1zr
= 0,4*Y
1
– 0,4 – Min(|Y
2
|; 0,5). Um in den folgenden Tabellen
u¨bersichtliche Zahlen zu erhalten, wird in Mio. € mit einer Stelle nach dem
Komma gerechnet; daraus ergeben sich keine systematischen Verzerrungen.
DER BETRIEB | Nr. 23 | 7. 6. 2013
Steuerrecht
1265
1...,23,24,25,26,27,28,29,30,31,32 34,35,36,37,38,39,40,41,42,43,...96
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