DER BETRIEB 23 - page 34

III. Zur Argumentation des BFH
Der BFH stellt in seinen Urteilsgru¨nden zuna¨chst zutreffend
fest, dass der Sinn des § 11 KStG darin besteht, den gesamten
Abwicklungsgewinn zu erfassen und der Besteuerung zugrunde
zu legen
6
. Aus diesem Grundsatz folgt eine einfache Maxime:
innerhalb dieses Zeitraums muss ein vollsta¨ndiger Verlustaus-
gleich erfolgen. Davon ist im BFH-Urteil jedoch keine Rede.
Dann wird aus der Soll-Bestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 2
KStG im Ergebnis eine Muss-Bestimmung: es ist nach Ero¨ff-
nung des Insolvenzverfahrens (vgl. § 11 Abs. 7 KStG) ein Drei-
jahreszeitraum zugrunde zu legen. Das hat allerdings nur einen
Sinn, wenn es in diesem Zeitraum u¨berhaupt zu einer Besteue-
rung kommen wu¨rde. Dazu kann es jedoch im vorliegenden Fall
nur dann kommen, wenn die Regelungen der Mindestbesteue-
rung (§ 10d Abs. 2 EStG i. V. mit § 8 Abs. 1 KStG) eingreifen.
Diese sollen jedoch, wie in der Begru¨ndung zur Mindestbesteue-
rung ausdru¨cklich betont wird, keineswegs dazu fu¨hren, dass
Verlustabzugspotenzial untergeht
7
. Angesichts des im Vergleich
zu den Gewinnen der Jahre 2003 und 2004, die nicht einmal die
Ha¨lfte des Verlustabzugs erreichen, und erst recht angesichts des
erneuten Verlusts 2005, folgt aus dem Sinn und Zweck des § 11
Abs. 1 KStG, dass hier eine vollsta¨ndige Verlustverrechnung er-
folgen mu¨sste. Stattdessen fu¨hrt die BFH-Rspr. dazu, dass fu¨r
diese drei Jahre eine Bemessungsgrundlage von 1 Mio. € resul-
tiert, wa¨hrend der Totalgewinn im Abwicklungszeitraum unter
Beru¨cksichtigung des anfa¨nglichen Verlustabzugs lt. Insolvenz-
verwalter voraussichtlich gerade einmal 0,4 Mio. € betra¨gt, wie
zu Tab. 1 erla¨utert ist. Dem BFH ist diese Folgerung fremd, ob-
wohl er lediglich von einer „Zwischenveranlagung“ spricht
8
. Er
erkla¨rt lapidar, das FG habe die Regelungen der Mindest-
besteuerung „rechtsfehlerhaft“ ausgelegt
9
. Lt. BFH sind die Re-
gelungen zur Mindestbesteuerung im Streitfall „zu beachten“.
Diese Regelungen seien zwar erst nach Beginn des Insolvenzver-
fahrens in Kraft getreten, jedoch sei hierbei auf das Ende des
Dreijahreszeitraums abzustellen
10
.
Der BFH argumentiert weiter, gegen die Mindestbesteue-
rung bestu¨nden im vorliegenden Fall keine Bedenken, obwohl
die Mindestbesteuerung „in den Kernbereich der Gewa¨hrung ei-
nes Verlustausgleichs in unverha¨ltnisma¨ßiger Weise einwirken“
ko¨nne
11
. Die Begru¨ndung hierfu¨r ist nicht nachvollziehbar: Dies
gelte „jedenfalls dann nicht, wenn die Abwicklung . . . noch
nicht abgeschlossen ist.“ Fu¨r den BFH spielt es keine Rolle, dass
fu¨r die Jahre 2003–2005 ein Einkommen von 1 Mio. € zu ver-
steuern ist, obwohl nach Verlustabzug erst im Jahre 2013, also
acht Jahre danach, ein gesamter Abwicklungsgewinn von ledig-
lich 0,4 Mio. € zu verzeichnen ist. Weshalb die bloße Mo¨glich-
keit einer „Scheinabwicklung“
12
– die hier gar nicht vorliegt –,
die Mindestbesteuerung rechtfertigen ko¨nnte, bleibt ra¨tselhaft.
Letztlich beruht die Entscheidung des BFH, nur einen
Sockelbetrag zu gewa¨hren, auf der Gleichsetzung des in § 11
Abs. 1 Satz 2 KStG verwendeten Wortes „Besteuerungszeit-
raum“ mit dem Wort „Veranlagungszeitraum“ in § 10d Abs. 2
EStG. Das ist selbst unter formal-begrifflichen Aspekten nicht
plausibel. Denn in § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG findet sich nach
dem Wort „Kalenderjahr“ als Definition in Klammern der Be-
griff „Vz.“, so dass dies i. V. mit § 10d Abs. 2 EStG auch so aus-
gelegt werden kann (wenn nicht ausgelegt werden muss), dass
jeweils fu¨r das Kalenderjahr ein Sockelbetrag zu gewa¨hren ist.
Denn das KStG entha¨lt keine abweichende Begrifflichkeit (vgl.
§ 31 KStG).
Die im BFH-Urteil noch ausfu¨hrlich diskutierte Frage, ob
„Zwischenveranlagungen“ oder „(Einzel-) Festsetzungen“ vorlie-
gen, spielt fu¨r die Ho¨he der insgesamt festzusetzenden Steuer
dann keine Rolle, wenn der Verlustabzug im Endergebnis nicht
beschra¨nkt wird; dies ist im vorliegenden Fall zu erwarten.
Im Ergebnis la¨sst sich das BFH-Urteil so zusammenfassen:
– Wa¨hrend des gesamten Liquidationszeitraums von mehr als
drei Jahren mu¨sste der Verlustabzug in vollem Umfang ge-
wa¨hrt werden, wenn der Liquidationsgewinn diesen Ver-
lustabzug erreicht oder u¨berschreitet. Im Urteilsfall sind das
17,5 Mio. €.
j
0
2002
j
1
2003
j
2
2004
j
3
2005
Summe Einjahres-
veranlagungen
2003 – 2005
Drei-Jahresveranlagung mit
einem bzw. zwei Sockelbetra¨gen
1
2
3
4
5
6
7
1 Sockelb.
2 Sockelb.
1
Einkommen (Y
j
)
6,0
1,5
(-4,0)
7,5 [3,5]
3,5
3,5
2
Verlustabzug (VA
j
) lfd.
-4,0
-1,3
0,0
-5,3
-2,5
-2,9
3
Zu verst. Eink. ( Y
jz
)
2,0
0,2
(-4,0)
2,2
1,0
0,6
4
Verlustru¨cktrag (VR)
-0,2
0,2
-0,2
5
restliches z.v.E (Y
jzr
)
2,0
0,0
(-3,8)
2,0
1,0
0,6
6
Verbleib. VV
j
insg.
-17,5
-13,5
-12,2
-16,0
-16,0
-15,0
-14,6
Tab. 2: Vergleich Jahres- mit Dreijahresveranlagung und Einkommensspreizung lt. Urteilssachverhalt
6 BFH vom 23. 1. 2013, a.a.O. (Fn. 1), Rdn. 9. Die Formulierung im Urteil, die
Ermittlung dieses Gewinns mu¨sse „nach Maßgabe des § 11 Abs. 2 KStG“ er-
folgen, zeigt, dass der Zusammenhang mit den allgemeinen Vorschriften der
Gewinn- bzw. Einkommensermittlung vom BFH verkannt wird. Es handelt
sich bei § 11 Abs. 2-6 KStG keineswegs inhaltlich um Sonderbestimmungen,
sondern um eine bloße Umformulierung der allgemeinen Vorschriften fu¨r
die Gewinn- und Einkommensermittlung. Vgl. dazu den Nachweis bei
Bareis
,
in:
Bro¨nner
, Die Besteuerung der Gesellschaften, 18. Aufl., 2006, C. VII.
Rdn. 1543-1553 (S. 1479-1484).
7 BT-Drucks. 15/1518 S. 13: „Durch diese Regelung wird der Verlustabzug le-
diglich zeitlich gestreckt, es gehen aber keine Verluste endgu¨ltig verloren.“
8 BFH vom 23. 1. 2013, a.a.O. (Fn. 1), Rdn. 9 am Ende.
9 BFH vom 23. 1. 2013, a.a.O. (Fn. 1), Rdn. 11.
10 BFH vom 23. 1. 2013, a.a.O. (Fn. 1), Rdn. 14. Bei einer Einjahresveranlagung
fu¨r 2003 wa¨re hier ein voller Verlustabzug i. H. des Einkommens 2003 von
6 Mio. € mo¨glich gewesen; vgl. Tab. 2 Feld 1.1 statt Feld 1.2.
11 BFH vom 23. 1. 2013, a.a.O. (Fn. 1), Rdn. 15.
12 BFH vom 23. 1. 2013, a.a.O. (Fn. 1), Rdn. 15.
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Steuerrecht
DER BETRIEB | Nr. 23 | 7. 6. 2013
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