DER BETRIEB 23 - page 54

aus § 16 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG, der Steuersatz von 30% aus § 19
Abs. 1 ErbStG. Die Kla¨gerinnen und B geho¨ren als Geschwister
zu den Personen der Steuerklasse II (§ 15 Abs. 1 Steuerklasse II
Nr. 2 ErbStG).
Keine verfassungswidrige Benachteiligung von Geschwistern
2.
Weder die Beschra¨nkung des Anwendungsbereichs des § 13
Nr. 4b und 4c ErbStG auf u¨berlebende Ehegatten, Lebenspart-
ner und Kinder noch die fu¨r das Jahr 2009 hinsichtlich der Frei-
betra¨ge nach § 16 Abs. 1 ErbStG und der Steuersa¨tze nach § 19
Abs. 1 ErbStG erfolgte Gleichstellung der Erwerber der Steuer-
klassen II und III ist verfassungswidrig
1
. Es liegt insbesondere
kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 oder Art. 6 Abs. 1 GG vor.
Keine Gleichbehandlung mit Ehepartnern/Lebenspartnern
3.
Erwerber der Steuerklasse II wie etwa Geschwister ko¨nnen
nicht von Verfassungs wegen beanspruchen, erbschaftsteuer-
rechtlich wie Ehegatten oder Lebenspartner gem. § 13 Abs. 1
Nr. 4b, § 15 Abs. 1 Steuerklasse I Nr. 1, § 16 Abs. 1 Nr. 1, § 17
und § 19 Abs. 1 ErbStG behandelt zu werden, und zwar unab-
ha¨ngig von den konkreten Lebensverha¨ltnissen.
Rechtfertigung der Steuervergu¨nstigungen fu¨r Ehe- und Le-
benspartner
a)
Unter Lebenspartnern i. S. der genannten Vorschriften sind
nur Lebenspartner i. S. des LPartG zu verstehen. Die erbschaft-
steuerrechtliche Gleichstellung von Ehegatten und Lebenspart-
nern war verfassungsrechtlich geboten, da die Ungleichbehand-
lung mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar war
2
. Zur Begru¨ndung
verwies das BVerfG darauf, dass eingetragene Lebenspartner wie
Ehegatten in einer auf Dauer angelegten, rechtlich verfestigten
Partnerschaft mit rechtlich verbindlicher Verantwortung fu¨r den
Partner lebten. Lebenspartnern stu¨nden Unterhaltsanspru¨che zu,
die denjenigen von Ehegatten im Wesentlichen entspra¨chen.
Keine vergleichbaren Verha¨ltnisse bei Geschwistern
b)
Eine solche rechtlich verfestigte, zur erbschaftsteuerrecht-
lichen Gleichbehandlung mit Ehegatten und (eingetragenen)
Lebenspartnern zwingende Partnerschaft besteht zwischen Ge-
schwistern nicht
3
. Wa¨hrend Ehegatten gem. § 1353 Abs. 1
Satz 2 BGB einander grds. zur ehelichen Lebensgemeinschaft
verpflichtet sind und fu¨reinander Verantwortung tragen und Le-
benspartner einander zu Fu¨rsorge und Unterstu¨tzung sowie zur
gemeinsamen Lebensgestaltung verpflichtet sind und fu¨reinan-
der Verantwortung tragen (§ 2 LPartG), gibt es Geschwistern
gegenu¨ber keine solche rechtliche Verpflichtung. Anders als
Ehegatten (§§ 1360-1361, §§ 1569-1586b BGB), Lebenspart-
ner (§§ 5, 12 und 16 LPartG) und Verwandte in gerader Linie
(§§ 1601 ff. BGB) sind Geschwister einander auch nicht zum
Unterhalt verpflichtet. Geschwistern steht zudem kein Pflicht-
teilsrecht zu (§ 2303 BGB).
Verfassungsma¨ßigkeit der Steuerklasseneinteilung
c)
Es ist auch nicht verfassungswidrig, dass die Steuerklassenein-
teilung in § 15 Abs. 1 ErbStG an die bu¨rgerlich-rechtlichen
Vorgegebenheiten von Ehe, (eingetragener) Lebenspartner-
schaft, Verwandtschaft und Schwa¨gerschaft und nicht an tat-
sa¨chliche Umsta¨nde wie etwa das Bestehen einer Lebensgemein-
schaft anknu¨pft
4
. § 15 Abs. 1 ErbStG nimmt eine rein formale
Anknu¨pfung vor. Perso¨nliche Vertrautheit, gemeinsames Zu-
sammenleben oder langja¨hrige Fu¨rsorge spielen keine Rolle
5
.
Die Anknu¨pfung an rein formale Gesichtspunkte dient der kla-
ren, eindeutigen Abgrenzung der Steuerklassen, vermeidet die
Abgrenzungsschwierigkeiten, die mit einer Ausrichtung der
Steuerklassen an tatsa¨chlichen Verha¨ltnissen notwendigerweise
in großem Umfang verbunden wa¨ren, und eru¨brigt eine u. U.
mit hohem Aufwand verbundene Sachverhaltsermittlung im pri-
vaten Bereich. Hierbei handelt es sich um Gesichtspunkte, die
die vom Gesetzgeber vorgenommene Abgrenzung der Steuer-
klassen auch aus verfassungsrechtlicher Sicht rechtfertigen. Steu-
ergesetze mu¨ssen, um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die
sie dieselben steuerrechtlichen Folgen knu¨pfen, typisieren und
damit in weitem Umfang die Besonderheiten nicht nur des ein-
zelnen Falls, sondern ggf. auch ganzer Gruppen vernachla¨ssi-
gen
6
.
Rechtslage ist EU-konform
4.
Wie der EGMR auf der Grundlage des englischen Rechts
entschieden hat
7
, gewa¨hrt Art. 14 EMRK i. V. mit Art. 1 des
Zusatzprotokolls zur EMRK Geschwistern auch dann nicht das
Recht, bei der ErbSt wie Ehegatten oder eingetragene Lebens-
partner behandelt zu werden, wenn sie in einem gemeinsamen
Haushalt zusammenleben. Es fehle na¨mlich in einem solchen
Fall an den Rechten und Pflichten, die im Verha¨ltnis von Ehe-
gatten oder eingetragenen Lebenspartnern zueinander bestu¨n-
den. Die Dauer der Verbindung oder die wechselseitige Unter-
stu¨tzung seien nicht entscheidend. Die Rechtslage nach deut-
schem Recht entspricht insoweit dem englischen Recht und
fu¨hrt danach auch unter Beru¨cksichtigung der EMRK zu kei-
nem anderen Ergebnis.
Redaktioneller Hinweis:
Volltext-Urteil online: DB0594187.
1 BFH-Beschluss vom 27. 9. 2012 – II R 9/11, BStBl. II 2012 S. 899 = DB 2012
S. 2381, Rdn. 69-77.
2 BVerfG-Beschluss vom 21. 7. 2010 – 1 BvR 611/07, u. a., BVerfGE 126 S. 400
= DB 2010 S. 1863.
3
Weinmann
, in: Moench/Weinmann, § 15 ErbStG Rdn. 4;
Wachter
, DB 2010
S. 1863 (1864).
4 BFH-Beschluss vom 27. 10. 1982 – II B 77/81, BStBl. II 1983 S. 114 = DB
1983 S. 427; BVerfG-Beschluss vom 1. 6. 1983 – 1 BvR 107/83, BStBl. II
1984 S. 172 = DB 1983 S. 2232; vom 15. 11. 1989 – 1 BvR 171/89, BStBl. II
1990 S. 103; vom 15. 5. 1990 – 2 BvR 592/90, BStBl. II 1990 S. 764.
5 BFH-Urteil vom 23. 3. 1998 – II R 41/96, BStBl. II 1998 S. 396 = DB 1998
S. 1215; vgl. ferner Beschluss vom 24. 11. 2005 – II B 27/05, BFH/NV 2006
S. 743; vom 18. 7. 2007 – II B 106/06, BFH/NV 2007 S. 2296.
6 BFH vom 27. 9. 2012, a.a.O. (Fn. 1), Rdn. 56, m. w. N.
7 EGMR-Urteil vom 29. 4. 2008 – 13378/05, NJW-RR 2009 S. 1606.
Kindergeld
Kein Kindergeldanspruch aus den Vorschriften des
Titels II der VO Nr. 1408/71
EStG § 1 Abs. 1 und 3, § 62 Abs. 1; AEUV Art. 48; VO
Nr. 1408/71 Art. 13, Art. 14; AO § 8, § 9; FGO § 118 Abs. 2
Die Vorschriften des Titels II der VO Nr. 1408/71 begru¨nden
als Kollisionsregeln keinen unmittelbaren Anspruch auf Kinder-
geld aus Unionsrecht. Ein Anspruch auf Kindergeld nach dem
EStG besteht nur, wenn die mit dem Unionsrecht im Einklang
stehenden nationalen Anspruchsvoraussetzungen erfu¨llt sind.
BFH-Urteil vom 20. 3. 2013 – XI R 37/11
u
DB0594263
Redaktioneller Hinweis:
Volltext-Urteil online: DB0594184.
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Steuerrecht
DER BETRIEB | Nr. 23 | 7. 6. 2013
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