DER BETRIEB 23 - page 61

gerichten bereits lange vor Inkrafttreten des ESUG offenstand
(s. o. II.), in der Praxis allerdings aus welchen Gru¨nden auch im-
mer nicht genutzt worden war, hat § 270b Abs. 3 InsO nichts
gea¨ndert.
b) Voraussetzungen und mo¨gliche Inhalte der gerichtlichen Anord-
nung
Nach neuem
54
Recht kommt eine auf § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO ge-
stu¨tzte Zuweisung einer Masseschuldbegru¨ndungskompetenz an
den Schuldner insbesondere dann in Betracht, wenn der Schuld-
ner seinen Ero¨ffnungsantrag mit einem „nicht offensichtlich aus-
sichtslosen“ (§ 270a Abs. 1 Satz 1 InsO) Antrag auf Anordnung
der Eigenverwaltung verbunden hat, keine Anzeichen fu¨r eine
negative Prognose i. S. des § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO vorliegen
und erst recht natu¨rlich dann, wenn ein vom Schuldner gestellter
Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung von einem bereits
wa¨hrend des Ero¨ffnungsverfahrens gefassten, einstimmigen Be-
schluss des vorla¨ufigen Gla¨ubigerausschusses mit der in § 270
Abs. 3 Satz 2 InsO vorgesehenen Konsequenz („so gilt die Anord-
nung als nicht nachteilig fu¨r die Gla¨ubiger“) unterstu¨tzt wird. Ob-
wohl ein auf Verleihung einer Masseschuldbegru¨ndungskom-
petenz gerichteter „Antrag“ des Schuldners nicht zu den Voraus-
setzungen des § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO geho¨rt, ergibt sich aus
der Natur der Sache, dass das Insolvenzgericht den Schuldner in
geeigneten Fa¨llen zwar auf die Mo¨glichkeit der Einra¨umung einer
Masseschuldbegru¨ndungskompetenz hinweisen, einen entspre-
chenden Erma¨chtigungsbeschluss aber nur dann erlassen wird,
wenn der Schuldner zu erkennen gibt, dass er eine solche Kom-
petenz auch tatsa¨chlich erwerben mo¨chte. Wie im Schutzschirm-
verfahren (dazu oben III. 2. c)) besteht auch hier die Mo¨glichkeit,
dem Schuldner entweder eine „globale“ Masseschuldbegru¨n-
dungskompetenz oder eine sog. „Einzelerma¨chtigung“ zu ertei-
len
55
. Auch die Frage einer Anwendung des § 55 Abs. 4 InsOwird
hier nicht anders zu beantworten sein als in Fa¨llen des § 270b
Abs. 3 InsO. Vermutlich hat der von der erhofften Unanwendbar-
keit
56
des § 55Abs. 4 InsOausgehende Steuerspareffekt nicht ganz
unwesentlich dazu beigetragen, dass die eigentlich schon vor
Inkrafttreten des ESUG richtig gewesene Auffassung, dass nach
§ 21 Abs. 1 Satz 1 InsO auch dem
Schuldner
eine Masseschuld-
begru¨ndungskompetenz verliehen werden kann, seit Inkrafttreten
des ESUG immer mehr an Raum gewinnt.
c) Rechtsstellung und Haftung des vorla¨ufigen Sachwalters
Wenig sinnvoll und mo¨glicherweise sogar unzula¨ssig
57
du¨rfte es
i. d. R. sein, in Fa¨llen, in denen das Insolvenzgericht bei Nicht-
vorliegen der speziellen Voraussetzungen eines Schutzschirmver-
fahrens (§ 270b InsO) einen vorla¨ufigen Sachwalter einsetzt (vgl.
etwa § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO), eine bereits wa¨hrend des
Ero¨ffnungsverfahrens notwendig werdende Masseschuldbegru¨n-
dungskompetenz nicht dem Schuldner, sondern dem vorla¨ufigen
Sachwalter zuzugestehen
58
. Jedenfalls im Zusammenhang mit
§ 270b Abs. 3 InsO bekannte sich der BT-Rechtsausschuss de-
zidiert zu der U¨ berzeugung, dass ein fu¨r das Ero¨ffnungsverfah-
ren bestellter vorla¨ufiger Sachwalter (§§ 270a Abs. 1 Satz 2,
270b Abs. 2 InsO) nicht mehr Kompetenzen haben ko¨nne als
der Sachwalter im eigenverwalteten
ero¨ffneten
Insolvenzverfah-
ren
59
. Da eine Masseschuldbegru¨ndungskompetenz im bereits
ero¨ffneten Insolvenzverfahren niemals dem Sachwalter, sondern
immer nur dem Schuldner zusteht, spricht viel dafu¨r, eine ent-
sprechende Machtverteilung auch fu¨r das vorgelagerte Ero¨ff-
nungsverfahren vorzusehen. Allerdings wird fu¨r das bereits
ero¨ff-
nete
eigenverwaltete Insolvenzverfahren durch § 277 Abs. 1
Satz 1 InsO dafu¨r gesorgt, dass das Insolvenzgericht auf Antrag
der Gla¨ubigerversammlung anordnen kann und muss, dass be-
stimmte Rechtsgescha¨fte und somit auch beabsichtigte Masse-
schuldbegru¨ndungen
60
des Schuldners nur wirksam sind, wenn
der Sachwalter ihnen zustimmt. Gerade auf den diese Mo¨glich-
keit ero¨ffnenden § 277 Abs. 1 Satz 1 InsO verweist der die
Rechtsstellung des
vorla¨ufigen
Sachwalters regelnde § 270a
Abs. 1 Satz 2 InsO jedoch nicht. Die Nichtaufnahme des § 277
InsO in die Verweisungsnorm des § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO er-
scheint zwar prima facie konsequent, da sich eine antragstellende
„Gla¨ubigerversammlung“ (§ 277 Abs. 1 Satz 1 InsO) wa¨hrend
des Ero¨ffnungsverfahrens noch nicht konstituieren kann. Bei na¨-
herem Hinsehen regt sich aber doch Kritik. Denn auf der Strecke
bleiben wegen der Nichterwa¨hnung des § 277 InsO in der Ver-
weisungsnorm des § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO sowohl das gerade
in den besonders
dringenden
Fa¨llen des § 277 Abs. 2 InsO beste-
hende Antragsrecht der Absonderungsberechtigten und der In-
solvenzgla¨ubiger als auch die in § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO durch
Verweis auf § 61 InsO angemessen streng ausgestaltete perso¨n-
liche Haftung des Sachwalters fu¨r die Erfu¨llbarkeit derjenigen
Masseverbindlichkeiten, deren Begru¨ndung durch den Schuldner
er zugestimmt hat. Bereits unter Gliederungspunkt III. 2. e) wur-
de dafu¨r pla¨diert, die auf keines dieser Elemente des § 277 InsO
eingehende und insofern viel zu enge Fassung des § 270a Abs. 1
Satz 2 InsO als Redaktionsversehen zu behandeln, das einer ana-
logen Anwendung der auch auf den
vorla¨ufigen
Sachwalter pas-
senden Teilaspekte des § 277 InsO nicht entgegensteht. Wa¨h-
rend eines Ero¨ffnungsverfahrens, das nicht in den hohen qualita-
tiven Anforderungen eines Schutzschirmverfahrens (§ 270b
InsO), sondern lediglich denen des § 270a InsO entspricht, er-
scheint es zudem gut vertretbar, dem Insolvenzgericht auch ohne
entsprechenden Antrag eines Absonderungsberechtigten oder
eines Insolvenzgla¨ubigers (§ 277 Abs. 2 InsO) allein schon auf-
grund der Generalklausel des
§ 21 Abs. 1 Satz 1 InsO
das Recht
zuzugestehen, die dem Schuldner zu erteilende Masseschuld-
begru¨ndungskompetenz – insbesondere wenn es sich um eine
Pauschalerma¨chtigung handelt – bei verbleibenden Restzweifeln
an der perso¨nlichen Eignung des Schuldners mit der Einschra¨n-
kung zu versehen, dass von ihr nur mit Zustimmung des vorla¨ufi-
gen Sachwalters wirksam Gebrauch gemacht werden kann
61
.
IV. Zusammenfassung
1.
Auch schon vor Inkrafttreten des ESUG war es rechtlich zu-
la¨ssig, den im Ero¨ffnungsverfahren stehenden Schuldner durch
Beschluss des Insolvenzgerichts zur Begru¨ndung von Massever-
bindlichkeiten zu erma¨chtigen (s. o. II.). Handelte es sich bei
dem Schuldner um einen vertrauenswu¨rdigen Eigenverwaltungs-
kandidaten, bot die Generalklausel des § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO
bereits vor Inkrafttreten des ESUG eine in jeder Hinsicht geeig-
nete und ausreichende Rechtsgrundlage, um eine als notwendig
54 Zum bisherigen Recht s. o. II. 1. bei Fn. 18 f.
55 Wie hier
Klinck
, ZIP 2013 S. 853 (860 f.).
56 Vgl. oben III. 2. d).
57 In diesem Sinne
Klinck
, ZIP 2013 S. 853 (860 bei Fn. 64) ; vgl. auch
Pape
,
in: Ku¨bler/Pru¨tting/Bork, InsO, Stand 07/2012, § 270a Rdn. 19 ff., § 270b
Rdn. 76 ff.
58 So jedoch AG Hamburg, Beschluss von 4. 4. 2012 – 67g IN 74/12, ZIP 2012
S. 787 f.; AG Duisburg, Beschluss vom 6. 11. 2012 – 62 IN 178/12 (spa¨ter
vom Beschwerdegericht zu Recht dahingehend abgea¨ndert, dass die Masse-
schuldbegru¨ndungskompetenz dem
Schuldner
zu erteilen sei; vgl. LG Duis-
burg vom 29. 11. 2012, a.a.O. (Fn. 53).
59 S. oben III. 1. b) bei Fn. 32.
60 S. oben Fn. 17.
61 Vgl. auch AG Mu¨nchen vom 27. 6. 2012, a.a.O. (Fn. 52), ZIP 2012 S. 1470
(1471);
Klinck
, ZIP 2013 S. 853 (861 f.) sowie bereits vor Schaffung des
ESUG
Marotzke
, a.a.O. (Fn. 21 f.).
DER BETRIEB | Nr. 23 | 7. 6. 2013
Wirtschaftsrecht
1289
1...,51,52,53,54,55,56,57,58,59,60 62,63,64,65,66,67,68,69,70,71,...96
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