DER BETRIEB 23 - page 59

des Vermo¨gen hat und ihm
nach
Ero¨ffnung des Insolvenzverfah-
rens ohnehin eine nahezu unbeschra¨nkte Masseschuldbegru¨n-
dungskompetenz zusteht
40
, wenn das Gericht gem. § 270 oder
§ 271 InsO Eigenverwaltung anordnet.
Bezweifeln kann man allerdings, ob es gut war, als Inhalt der
vom Schuldner zu erwirkenden gerichtlichen Anordnung vor-
zugeben, „dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begru¨n-
det“ (§ 270b Abs. 3 Satz 1 InsO). Angemessener wa¨re wohl eine
Formulierung des Inhalts gewesen, dass der Schuldner Masse-
verbindlichkeiten begru¨nden „kann“. Der Gedanke, dass es
mo¨glicherweise dem Schuldner u¨berlassen bleiben sollte, von
Fall zu Fall eigenverantwortlich zu entscheiden, ob er von einer
ihm eingera¨umten pauschalen oder einer auf bestimmte Ge-
scha¨fte beschra¨nkten Masseschuldbegru¨ndungskompetenz Ge-
brauch machen mo¨chte oder nicht
41
, scheint bei der in § 270b
Abs. 3 Satz 1 InsO vorgesehenen Formulierung des gericht-
lichen Erma¨chtigungsbeschlusses keine Rolle gespielt zu haben.
Nach den Ausfu¨hrungen im Bericht des Rechtsausschusses sol-
len derartige Zweckma¨ßigkeitsu¨berlegungen anscheinend (nur?)
an vorgelagerter Stelle zu beru¨cksichtigen sein: Bereits bei Stel-
lung des in § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO vorausgesetzten
Antrags
42
soll der im Schutzschirmverfahren stehende Schuldner abzuwa¨-
gen haben, ob es in der konkreten Situation der Vorbereitung
einer Sanierung sinnvoller sei, beim Gericht „Einzelerma¨chti-
gungen“ zur Begru¨ndung von Masseverbindlichkeiten anzuregen
(deren Erteilung m. E. als Minus zur Erteilung einer Global-
erma¨chtigung ebenfalls auf § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO gestu¨tzt
werden kann
43
) oder von der Mo¨glichkeit Gebrauch zu machen,
sich mit einer „globalen“ Erma¨chtigung ausstatten zu lassen.
Dies ist nicht mehr als ein erster Ansatz in Richtung einzelfall-
bezogener Flexibilita¨t.
d) Kein Fiskusprivileg nach Art des § 55 Abs. 4 InsO
Sehr trickreich wurde § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO gestaltet. Die
Vorschrift erkla¨rt bei Vorliegen eines den Schuldner zur Begru¨n-
dung von Masseverbindlichkeiten erma¨chtigenden Gerichts-
beschlusses zwar § 55 Abs. 2, nicht aber auch § 55 Abs. 4 InsO
fu¨r entsprechend anwendbar. Ausgerechnet die Vorschrift, die
Verbindlichkeiten des Schuldners aus einem Steuerschuldver-
ha¨ltnis, die von einem vorla¨ufigen Insolvenzverwalter oder vom
Schuldner mit Zustimmung eines vorla¨ufigen Insolvenzverwal-
ters begru¨ndet worden sind, mit Ero¨ffnung des Insolvenzverfah-
ren zu Masseverbindlichkeiten werden la¨sst (§ 55 Abs. 4 InsO),
scheint also unanwendbar zu sein, wenn statt eines vorla¨ufigen
Insolvenzverwalters lediglich ein vorla¨ufiger Sachwalter (§§ 270a
Abs. 1 Satz 2, 270b Abs. 2 Satz 1 InsO) bestellt und die Masse-
schuldbegru¨ndungskompetenz dem Schuldner perso¨nlich verlie-
hen wurde. Ein großartiges Steuersparmodell, das in der Praxis
sicherlich auf lebhaftes Interesse stoßen wird! Aber entspricht es
auch dem Willen des Gesetzgebers? Anlass zu Zweifeln gibt die
Bemerkung im Bericht des Rechtsausschusses (s. o. III. 1. b)),
dass dem Schuldner mithilfe des § 270b Abs. 3 InsO die Mo¨g-
lichkeit ero¨ffnet werden solle, u¨ber eine Anordnung des Gerichts
die Befugnis zu erlangen, „durch alle seine Rechtshandlungen“
Masseverbindlichkeiten zu begru¨nden und somit „quasi in die
Rechtsstellung eines starken vorla¨ufigen Insolvenzverwalters ein-
zuru¨cken“. Hat man oder
wollte
man hier vielleicht sogar geflis-
sentlich u¨bersehen, dass die Gleichstellung des Schuldners mit
einem „starken vorla¨ufigen Insolvenzverwalter“ zwangsla¨ufig
auch den Anwendungsbereich des § 55 Abs. 4 InsO ero¨ffnet
ha¨tte? Vermutlich wollte man die Gleichstellung mit einem vor-
la¨ufigen Insolvenzverwalter in diesem Punkt bewusst nicht vor-
nehmen; zumindest war das Problem bei Schaffung des § 270b
Abs. 3 InsO bekannt
44
. Da sich an der Art und Weise des Zu-
standekommens des § 55 Abs. 4 InsO und erst recht am Inhalt
dieser eigenartigen Vorschrift vieles kritisieren la¨sst
45
, sollte eine
analoge Anwendung des – von § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO nicht
in Bezug genommenen –
§ 55 Abs. 4 InsO
nicht befu¨rwortet,
sondern der mutmaßliche Wille des ESUG-Gesetzgebers als
noch vertretbar akzeptiert werden
46
.
e) Rechtsstellung und Haftung des vorla¨ufigen Sachwalters
Dezidiert bekannte sich der BT-Rechtsausschuss im Zusam-
menhang mit § 270b Abs. 3 InsO zu der U¨ berzeugung, dass ein
fu¨r das Ero¨ffnungsverfahren bestellter vorla¨ufiger Sachwalter
(§§ 270a Abs. 1 Satz 2, 270b Abs. 2 InsO) nicht mehr Kom-
petenzen haben ko¨nne als der Sachwalter im eigenverwalteten
ero¨ffneten
Insolvenzverfahren
47
. Wie der Letztere habe auch der
vorla¨ufige Sachwalter vorrangig die wirtschaftliche Lage des
Schuldners zu pru¨fen und die Gescha¨ftsfu¨hrung sowie die Aus-
gaben fu¨r die Lebensfu¨hrung des Schuldners zu u¨berwachen.
Verbindlichkeiten, die nicht zum gewo¨hnlichen Gescha¨fts-
betrieb geho¨ren, solle der Schuldner auch im Ero¨ffnungsverfah-
ren nur mit Zustimmung des (vorla¨ufigen) Sachwalters einge-
hen. Mit dieser Bemerkung harmoniert die gesetzliche Regelung
in §§ 270a Abs. 1 Satz 2, 275 Abs. 1 InsO. Gleichwohl fa¨llt auf,
dass § 270a Abs. 1 Satz 2 InsO bezu¨glich des vorla¨ufigen Sach-
walters zwar eine entsprechende Anwendung der 㤤 274 und
275“, nicht aber auch eine entsprechende Anwendung des § 277
Abs. 1 Satz 3 vorschreibt. Soll das etwa bedeuten, dass der vor-
la¨ufige Sachwalter im Unterschied zu einem Sachwalter, der
nach
Ero¨ffnung eines eigenverwalteten Insolvenzverfahrens bestellt
wurde, nicht nach § 61 InsO perso¨nlich haftet, wenn er der
Begru¨ndung einer Masseverbindlichkeit durch den Schuldner
zugestimmt hat und diese spa¨ter nicht erfu¨llt werden kann? So
etwas kann nicht im Ernst gewollt sein. Richtig ist es wohl, die
in diesem Punkt zu eng geratene Fassung des § 270a Abs. 1
Satz 2 InsO als Redaktionsversehen anzusehen, das einer analo-
gen Anwendung des auch auf den
vorla¨ufigen
Sachwalter passen-
den § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO nicht entgegensteht. Entspre-
chende Fragen stellen sich auch in Bezug auf § 277 Abs. 2 InsO,
der jedoch im Schutzschirmverfahren keine Rolle spielen du¨rfte
und auf den deshalb erst gegen Ende des Gliederungspunktes
III. 3. einzugehen sein wird.
f) Schließung von Regelungslu¨cken
Der ku¨nftigen Gesetzgebung ist zu empfehlen, in § 270b Abs. 3
Satz 2 InsO nicht nur eine entsprechende Anwendung des § 55
Abs. 2 InsO, sondern außerdem auch eine entsprechende Anwen-
40 S. o. II. 1. bei Fn. 15.
41 Dazu
Klinck
, ZIP 2013 S. 853 (856 f.), der eine solche „Differenzierungskom-
petenz des Schuldners“ im Ergebnis verneint. Die Frage fu¨r den „starken“
vorla¨ufigen Insolvenzverwalter und fu¨r den endgu¨ltigen Insolvenzverwalter
unter Hinweis auf einschla¨gige Gestaltungsmo¨glichkeiten und damit einher-
gehende Fairnessgebote bejahend
Marotzke
, ZInsO 2004 S. 178 (181 f.);
ders.
, InVo 2004 S. 301 (305, 307 f., 316);
ders.
, ZIP 2005 S. 2144 ff.; a. M.
– teils grundsa¨tzlich, teils nur punktuell –
Frind
, ZInsO 2004 S. 270 (272 f.);
Eckert
, NZM 2003 S. 41 (47 ff.); vgl. auch BGH-Urteil vom 3. 4. 2003 – IX ZR
101/02, BGHZ 154 S. 358 (364 ff. unter III. 1. d)) = DB 2003 S. 1731 = NJW
2003 S. 2454 (2455 f.) = NZI 2003 S. 369 (370 f.) = ZIP 2003 S. 914 (916 f.)
= ZInsO 2003 S. 465 (466 f.).
42 S. oben III. 1. a) bei Fn. 30 ff.
43 A. M.
Klinck
, ZIP 2013 S. 853 (857 f.), der nicht § 270b Abs. 3 Satz 1, son-
dern § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO anwenden will.
44 Vgl. den letzten Satz des Gliederungspunktes III. 1. a).
45 Vgl.
Marotzke
, ZInsO 2010 S. 2163 (2169 ff. [Entstehungsgeschichte des
§ 55 Abs. 4 InsO], 2175 [inhaltliche Kritik der Vorschrift]).
46 Im Ergebnis wie hier
Landfermann
, WM 2012 S. 869 (871, Fn. 108);
Kahlert
,
ZIP 2012 S. 2089 (2090 f., ad III. 2.); a. M.
Geißler
, ZInsO 2013 S. 531 (536)
mit Fn. 48.
47 S. o. III. 1. b) bei Fn. 32.
DER BETRIEB | Nr. 23 | 7. 6. 2013
Wirtschaftsrecht
1287
1...,48-49,50,51,52,53,54,55,56,57,58 60,61,62,63,64,65,66,67,68,69,...96
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