DER BETRIEB 23 - page 58

verwaltenden Schuldner in einem Verfahren nach § 270b
InsO-E besonders geboten, um Vertrauen im Gescha¨ftsverkehr
zu werben“. Deshalb sei es notwendig, den Schuldner in dieser
besonders kritischen Phase der Unternehmenssanierung dadurch
zu unterstu¨tzen, dass ihm die Mo¨glichkeit ero¨ffnet werde, u¨ber
eine Anordnung des Gerichts quasi in die Rechtsstellung eines
starken vorla¨ufigen Insolvenzverwalters einzuru¨cken. Er erlange
damit die Befugnis, durch alle seine Rechtshandlungen Masse-
verbindlichkeiten zu begru¨nden. La¨gen die allgemeinen Voraus-
setzungen fu¨r die Anordnung eines Verfahrens nach § 270b
InsO-E vor, so habe („
hat
31
) das Gericht den Schuldner auf
seinen Antrag mit dieser Befugnis auszustatten.
Der eigenverwaltende Schuldner habe bei Stellung des (in
§ 270b Abs. 3 Satz 1 InsO vorausgesetzten) Antrags abzuwa¨gen,
ob es in der konkreten Situation der Vorbereitung einer Sanie-
rung sinnvoller sei, beim Gericht
Einzelerma¨chtigungen
zur Be-
gru¨ndung von Masseverbindlichkeiten anzuregen oder von der
Mo¨glichkeit Gebrauch zu machen, sich mit einer
globalen
Erma¨chtigung ausstatten zu lassen. Der mit dem ESUG einge-
fu¨hrte
vorla¨ufige Sachwalter
(§§ 270a Abs. 1 Satz 2, 270b Abs. 2
InsO) ko¨nne in diesem Zusammenhang nicht mehr Kompeten-
zen haben als der Sachwalter bei der Eigenverwaltung nach
Ero¨ffnung des Insolvenzverfahrens
32
. Er habe also vorrangig die
wirtschaftliche Lage des Schuldners zu pru¨fen und die Ge-
scha¨ftsfu¨hrung sowie die Ausgaben fu¨r die Lebensfu¨hrung des
Schuldners zu u¨berwachen. Verbindlichkeiten, die nicht zum ge-
wo¨hnlichen Gescha¨ftsbetrieb geho¨ren, solle der Schuldner auch
im Ero¨ffnungsverfahren nur mit Zustimmung des (vorla¨ufigen)
Sachwalters eingehen. Mit dem neuen Abs. 3 (des § 270b InsO)
werde es bei Vorliegen eines Schuldnerantrags dem Gericht er-
mo¨glicht, die Verfu¨gungsbefugnis – gemeint ist wohl: die Befug-
nis zur Begru¨ndung von Masseverbindlichkeiten – ausschließlich
beim Schuldner zu konzentrieren und den vorla¨ufigen Sachwal-
ter lediglich auf einer U¨ berwachungsfunktion zu begrenzen. Da
beim Schuldner
noch keine Zahlungsunfa¨higkeit
vorliege (vgl.
§ 270b Abs. 1 Satz 3 InsO), sei es gerechtfertigt, den Beteiligten
einen weiten Rechtsrahmen zu ero¨ffnen, um die Verfu¨gungs-
befugnis so auszugestalten, wie sie im Interesse einer mo¨glichst
optimalen Sanierung am sinnvollsten sei
33
.
Vor dem Hintergrund des Wortlauts des § 270b Abs. 3 InsO,
der seiner Begru¨ndung dienenden Ausfu¨hrungen des Bundes-
tags-Rechtsausschusses
34
und des oben unter II.1. pra¨sentierten
Ru¨ckblicks auf die Rechtslage vor Inkrafttreten des ESUG ist
der Fokus im Folgenden auf die aktuellen Streitfragen zu rich-
ten, die sich seit Inkrafttreten des ESUG in Bezug auf das The-
ma des vorliegenden Beitrags herauskristallisiert haben.
2. Voraussetzungen und Umfang einer Masseschuldbegru¨n-
dungskompetenz des Schuldners im Schutzschirmverfahren
(§ 270b Abs. 3 InsO)
a) Antragsgesteuerte Anordnungspflicht des Gerichts
Fu¨r ein Ero¨ffnungsverfahren, das in der besonderen Gestalt
eines sog. Schutzschirmverfahrens i. S. des § 270b InsO durch-
gefu¨hrt wird, trifft § 270b Abs. 3 InsO eine sehr klare Regelung
dahingehend, dass der Schuldner selbst es in der Hand hat, ob
das Gericht ihm Masseschuldbegru¨ndungskompetenz verleiht:
Wenn der Schuldner dies beantragt, „
hat
“ das Insolvenzgericht
gem. § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO anzuordnen, „dass der Schuld-
ner Masseverbindlichkeiten begru¨ndet“. Ein Ermessensspiel-
raum wie in Fa¨llen, in denen als Rechtsgrundlage einer solchen
Anordnung lediglich § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO in Betracht
kommt, steht dem Gericht im Schutzschirmverfahren nicht zu.
Das mag rechtspolitisch zu kritisieren sein
35
, ist aber eine Ent-
scheidung des Gesetzgebers, die sich innerhalb der Grenzen des
Vertretbaren bewegt und deshalb zu respektieren ist
36
.
b) Konstitutive Wirkung der Anordnung
Wie selbstversta¨ndlich gingen die Verfasser des § 270b Abs. 3
Satz 1 InsO davon aus, dass die Masseschuldbegru¨ndungskom-
petenz des Schuldners eine klare diesbezu¨gliche Anordnung des
Insolvenzgerichts voraussetzt und dass diese nicht bereits darin
gesehen werden darf, dass das Gericht keinen vorla¨ufigen Insol-
venzverwalter, sondern lediglich einen vorla¨ufigen Sachwalter
(§ 270b Abs. 2 Satz 1 InsO) bestellt und dem Schuldner keine
Verfu¨gungsbeschra¨nkungen i. S. des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
InsO auferlegt. Das ist ein zutreffender Standpunkt: Ebenso wie
die fu¨r die Zeit
nach
Verfahrensero¨ffnung zu einer Masseschuld-
begru¨ndungskompetenz des Schuldners fu¨hrende Zulassung der
Eigenverwaltung im oder nach dem Ero¨ffnungsbeschluss (vgl.
§ 270 bzw. § 271 InsO) bedarf auch die Verleihung einer Mas-
seschuldbegru¨ndungskompetenz an einen noch im
Ero¨ffnungs-
verfahren
stehenden Schuldner der positiven gerichtlichen An-
ordnung; bloßes Unterlassen genu¨gt den hier zu stellenden An-
forderungen nicht
37
.
c) Inhalt der Anordnung
Wie dem sehr weit gefassten Wortlaut des § 270b Abs. 3 Satz 1
InsOund auch den Erla¨uterungen imBericht des Rechtsausschus-
ses (s. o. III 1. b)) zu entnehmen ist, soll dem Schuldner aufgrund
des § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO nicht lediglich eine auf bestimmte
Gescha¨fte beschra¨nkte, sondern sogar eine „globale“Masseschuld-
begru¨ndungskompetenz verliehen werden ko¨nnen. Wie selbstver-
sta¨ndlich wird hier in Bezug auf den
Schuldner
als zula¨ssig erachtet,
was nach sta¨ndiger Rechtsprechung des BGH in Bezug auf einen
„schwachen“ oder „halbstarken“
vorla¨ufigen Insolvenzverwalter
prinzipiell verboten sein soll: die Beleihung mit einer Masse-
schuldbegru¨ndungskompetenz, die nicht nur fu¨r „einzelne, im
Voraus genau festgelegte“ Gescha¨fte
38
, sondern pauschal und um-
fassend gelten soll. Vor demHintergrund der Argumente, die sich
gegen diese Rechtsprechung des BGH anfu¨hren lassen
39
, sind die
mutigen Ausfu¨hrungen des Rechtsausschusses im Ergebnis nicht
zu kritisieren. In Bezug auf den sein Ero¨ffnungsverfahren „eigen-
verwaltenden“
Schuldner
la¨sst sich zudem das weitere Argument
anfu¨hren, dass dieser, im Unterschied zu einem „schwachen“ oder
„halbstarken“ vorla¨ufigen Insolvenzverwalter, noch immer die vol-
le Verfu¨gungsmacht u¨ber sein die spa¨tere Insolvenzmasse bilden-
31 Ein inhaltsgleicher Hinweis findet sich nicht nur auf S. 37, sondern auch
schon auf S. 3 des in Fn. 31 erwa¨hnten Dokuments: „Auf Antrag des eigen-
verwaltenden Schuldners in einem Verfahren nach § 270b InsO-E soll das
Gericht verpflichtet sein, ihn mit der Befugnis auszustatten, Masseverbind-
lichkeiten zu begru¨nden.“
32 Auf diese Bemerkung wird unter III. 2., III. 3. zuru¨ckzukommen sein.
33 Ein solcher Hinweis findet sich nicht nur auf S. 37, sondern auch schon auf
S. 3 des in Fn. 30 erwa¨hnten Dokuments.
34 Soeben bei Fn. 30 ff.
35 Vgl. etwa
Klinck
, ZIP 2013 S. 853 (855 ff.).
36 Zutreffend
Klinck
, ZIP 2013 S. 853 (855 bei Fn. 17 f.); a. M.
Foltis
, in: Frank-
furter Komm-InsO, 7. Aufl. 2013, § 270b Rdn. 42.
37 So bereits
Marotzke
, a.a.O. (Fn. 8), S. 6 (Rdn. 11) bei Fn. 18; vgl. auch
Klinck
, ZIP 2013 S. 853 (858 f., m. w. N.). Zu weit geht m. E. die viele Jahre
vor dem ESUG vertretene These von
Ehricke
(ZIP 2002 S. 782 [787]; vgl. jetzt
auch
Oppermann/Smid
, ZInsO 2012 S. 862 ff., 869;
Foltis
, a.a.O. (Fn. 36),
§ 270a Rdn. 27, § 270b Rdn. 41 ff.; AG Montabaur, Beschluss vom 27. 12.
2012 – 14 IN 282/12, ZInsO 2013 S. 397 f. = ZIP 2013 S. 899 f.), dass eine
„Begru¨ndung von Masseverbindlichkeiten durch den Schuldner im Vorver-
fahren“ auch ohne besonderen gerichtlichen Erma¨chtigungsbeschluss be-
reits dann mo¨glich sei, wenn der Schuldner die Anordnung der Eigenverwal-
tung beantragt und das Insolvenzgericht von der Bestellung eines „starken“
vorla¨ufigen Insolvenzverwalters abgesehen habe.
38 Grundlegend BGH vom 18. 7. 2002, a.a.O. (Fn. 10), BGHZ 151 S. 353
(365 ff.); weitere Nachweise oben Fn. 13.
39 Ausfu¨hrlich
Marotzke
, ZInsO 2004 S. 113 (117 ff., 178 ff.).
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Wirtschaftsrecht
DER BETRIEB | Nr. 23 | 7. 6. 2013
1...,47,48-49,50,51,52,53,54,55,56,57 59,60,61,62,63,64,65,66,67,68,...96
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