DER BETRIEB 23 - page 62

erachtete Masseschuldbegru¨ndungskompetenz nicht einem vor-
la¨ufigen Insolvenzverwalter, sondern dem Schuldner zu verlei-
hen. Jedoch hat die Insolvenzpraxis es bis zum Inkrafttreten des
ESUG versa¨umt, das Potenzial des § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO
auch in dieser Hinsicht auszuscho¨pfen. Die Gru¨nde fu¨r diese
Zuru¨ckhaltung sind vermutlich nicht in einem Mangel an Phan-
tasie, sondern eher in einer jedenfalls wa¨hrend der ersten Jahre
nach Inkrafttreten der InsO noch weit verbreiteten Skepsis ge-
genu¨ber dem Rechtsinstitut der Eigenverwaltung zu sehen.
2.
Nachdem durch das ESUG erstmals eine gesetzliche Rege-
lung geschaffen wurde, die ausdru¨cklich – nicht lediglich nach
Art einer Generalklausel – davon spricht, dass einem im Ero¨ff-
nungsverfahren stehenden Schuldner durch gerichtliche Anord-
nung die Kompetenz zur Begru¨ndung von Masseverbindlichkei-
ten eingera¨umt werden kann (§ 270b Abs. 3 InsO), hat die Pra-
xis ihre bisherige Zuru¨ckhaltung zu u¨berdenken begonnen.
3.
Aus der systematischen Stellung des § 270b Abs. 3 InsO
in dem Paragraphen u¨ber das sog. Schutzschirmverfahren folgt,
dass die durch diese Vorschrift begru¨ndete
Pflicht
des Insolvenz-
gerichts, einem vom Schuldner gestellten Antrag auf Einra¨u-
mung einer Masseschuldbegru¨ndungskompetenz stattzugeben,
außerhalb des Schutzschirmverfahrens nicht besteht.
4.
Außerhalb eines Schutzschirmverfahrens, insbesondere in
Fa¨llen des § 270a InsO, kann ein Gerichtsbeschluss, der den
Schuldner zur Begru¨ndung von Masseverbindlichkeiten erma¨ch-
tigt, bei Vorliegen eines entsprechenden Bedu¨rfnisses auf § 21
Abs. 1 Satz 1 InsO gestu¨tzt werden (s. oben II., III. 3. a), b)).
Wie in allen anderen Fa¨llen des § 21 Abs. 1 InsO entscheidet
das Gericht auch hier von Amts wegen nach pflichtgema¨ßem
Ermessen; an einen Antrag des Schuldners ist es, anders als im
Schutzschirmverfahren (§ 270b Abs. 3 InsO), nicht gebunden.
5.
Nach wie vor ungelo¨st ist die Frage einer perso¨nlichen
Haftung der organschaftlichen Vertreter einer eigenverwalten-
den insolventen Gesellschaft fu¨r die Erfu¨llbarkeit der von ihnen
begru¨ndeten Masseverbindlichkeiten (s. o. III. 1. a)
62
).
6.
Des Weiteren fehlen eine auf § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO
(und damit zugleich auf § 61 InsO) Bezug nehmende Vorschrift
u¨ber die perso¨nliche Haftung des vorla¨ufigen Sachwalters fu¨r die
Erfu¨llbarkeit von Masseverbindlichkeiten, deren Begru¨ndung
durch den Schuldner er zugestimmt hat, sowie eine Aufnahme
auch des § 55 Abs. 3 InsO in die Verweisungsnorm des § 270b
Abs. 3 Satz 2 InsO. Dass § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO nicht auch
auf § 55 Abs. 4 InsO verweist, mag hingegen zu verkraften sein
(vgl. zu allen hier angesprochenen Punkten oben III. 2. c) bis f),
III. 3. b), c)).
7.
Nicht ausdru¨cklich geregelt hat der Gesetzgeber die Frage,
wie die Erfu¨llung der vom Schuldner wa¨hrend des Ero¨ffnungs-
verfahrens begru¨ndeten Masseverbindlichkeiten sichergestellt
werden kann, wenn der Antrag auf Ero¨ffnung des Insolvenzver-
fahrens zuru¨ckgenommen oder rechtskra¨ftig abgewiesen wird
oder wenn das Ero¨ffnungsverfahren zwar weiterla¨uft, das Insol-
venzgericht sich jedoch im Hinblick auf vom Schuldner zu ver-
antwortende Fehlentwicklungen entschließt, dem Schuldner
nun doch nicht mehr alle Freiheiten eines Eigenverwalters zu
belassen, sondern ihn durch Anordnung von Verfu¨gungs-
beschra¨nkungen i. S. des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO und
Einsetzung eines „echten“ vorla¨ufigen Insolvenzverwalters zu
entmachten. Ob in solchen Fa¨llen mit einer analogen Anwen-
dung des § 25 Abs. 2 InsO geholfen werden kann, ist nicht si-
cher (s. o. III. 2. g)).
62 Insbesondere bei Fn. 26, 28 f.
Entscheidungen
GmbH-Recht/Verfahrensrecht
Keine Pfa¨ndbarkeit der Auskunfts- und Einsichts-
rechte eines GmbH-Gesellschafters gem. § 51a
GmbHG
ZPO § 851 Abs. 1, § 857; GmbHG § 51a
Anspru¨che nach § 51a GmbHG sind nicht pfa¨ndbar.
BGH-Beschluss vom 29. 4. 2013 – VII ZB 14/12
u
DB0594300
Die Gla¨ubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung
wegen einer titulierten Geldforderung.
Auf Antrag der Gla¨ubigerin hat das Amtsgericht Gelsenkirchen – Voll-
streckungsgericht – einen Beschluss erlassen, mit dem die Gescha¨fts-
anteile des Schuldners an der M. E. GmbH, der Drittschuldnerin, so-
wie weitere Anspru¨che, darunter die Anspru¨che auf Erteilung von Aus-
kunft u¨ber die Angelegenheiten der Drittschuldnerin und Einsicht in
deren Bu¨cher und Schriften gem. § 51a GmbHG, gepfa¨ndet worden
sind.
Der Schuldner hat gegen den genannten Beschluss Erinnerung einge-
legt, soweit es um seine (angeblichen) Anspru¨che gegen die Dritt-
schuldnerin gem. § 51a GmbHG geht, und beantragt, den Pfa¨ndungs-
beschluss insoweit aufzuheben. Das Amtsgericht – Vollstreckungs-
gericht – hat diese Erinnerung durch Beschluss zuru¨ckgewiesen. Diesen
Beschluss hat das Beschwerdegericht LG Essen auf die sofortige Be-
schwerde des Schuldners aufgehoben und auf dessen Erinnerung auch
den Pfa¨ndungsbeschluss insoweit aufgehoben, als durch diesen Anspru¨-
che auf Erteilung von Auskunft u¨ber die Angelegenheiten der Dritt-
schuldnerin und auf Einsichtnahme in deren Bu¨cher und Schriften nach
§ 51a GmbHG gepfa¨ndet worden sind.
Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt die Gla¨ubigerin die
Wiederherstellung des Beschlusses des Amtsgerichts, mit dem die Erin-
nerung des Schuldners zuru¨ckgewiesen worden ist. Die Rechts-
beschwerde ist nicht begru¨ndet.
AUS DEN GRU¨ NDEN
1 . . . 9
I
1.
. . .
2. a)
Die Anspru¨che des Schuldners gegen die
Drittschuldnerin auf Erteilung von Auskunft u¨ber deren Ange-
legenheiten und auf Gestattung der Einsicht in deren Bu¨cher
und Schriften gem. § 51a GmbHG sind nicht zusammen mit
der Gescha¨ftsanteilspfa¨ndung mitgepfa¨ndet.
Grundsa¨tzliche Erstreckung der mit der Pfa¨ndung einer Haupt-
forderung verbundenen Beschlagnahme auf alle Nebenrechte
10
I
aa)
Die mit der Pfa¨ndung einer Hauptforderung verbundene
Beschlagnahme erstreckt sich allerdings grundsa¨tzlich auf alle
Nebenrechte, die im Falle einer Abtretung nach § 412, § 401
1290
Wirtschaftsrecht
DER BETRIEB | Nr. 23 | 7. 6. 2013
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