nes Verfu¨gungsverbot auferlegt wurde
10
. Bleibe man hierbei ste-
hen, so nehme man in Kauf, dass das Insolvenzgericht auch
einem
zuverla¨ssigen
Schuldner – z. B. einem potenziellen Eigen-
verwaltungskandidaten (vgl. §§ 270 ff. InsO) – allein deshalb,
weil betriebsnotwendigen Gescha¨ftspartnern nur auf diese Weise
die Stellung von Massegla¨ubigern angeboten werden ko¨nnte, die
Verfu¨gungs- und Verwaltungsbefugnis u¨ber sein Vermo¨gen ent-
ziehen (arg. §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1, 22 Abs. 1 Satz 1,
55 Abs. 1 InsO)
11
oder ihm zumindest einen „schwachen“ vor-
la¨ufigen Insolvenzverwalter zur Seite stellen mu¨sse (dem aller-
dings nach inzwischen ganz h. M. keine pauschale bzw. unbe-
grenzte
12
, sondern lediglich eine spezielle, weil nur fu¨r „einzelne,
im Voraus genau festgelegte“ Gescha¨fte
13
geltende Erma¨chti-
gung zur Masseschuldbegru¨ndung erteilt werden kann). Damit
werde der Schuldner wa¨hrend des Ero¨ffnungsverfahrens schlech-
ter behandelt als in einem bereits
ero¨ffneten
Insolvenzverfahren,
in welchem der Schuldner, wenn ihm gem. § 270 InsO die
Eigenverwaltung gestattet worden sei, in demselben Umfang wie
ein endgu¨ltiger Insolvenzverwalter (§ 55 Abs. 1 InsO) und in
mindestens
demselben Umfang wie ein starker „vorla¨ufiger“
Insolvenzverwalter (§ 55 Abs. 2 InsO) Masseverbindlichkeiten
begru¨nden ko¨nne (§§ 275 ff. InsO). Eine Rechtsauslegung, die
auch dann zur Bestellung eines vorla¨ufigen Insolvenzverwalters
zwinge, wenn vom Schuldner eine andere Gefahr als das Fehlen
einer Masseschuldbegru¨ndungskompetenz nicht ausgehe, wider-
spreche dem fu¨r hoheitliche Eingriffe in Freiheit und Eigentum
geltenden Grundsatz der Verha¨ltnisma¨ßigkeit
14
und sei deshalb
nicht zu befu¨rworten. Wenn die InsO sogar fu¨r das
ero¨ffnete
Insolvenzverfahren die Mo¨glichkeit vorsehe, dass der Schuldner
sein Vermo¨gen aufgrund gerichtlicher Anordnung weiterhin
selbst verwaltet und dabei Masseverbindlichkeiten begru¨ndet
15
,
dann mu¨sse dem Schuldner
16
eine entsprechende Verpflich-
tungsmacht erst recht auch fu¨r das vorgelagerte Ero¨ffnungsver-
fahren eingera¨umt werden ko¨nnen
17
. In Betracht komme die
Verleihung einer Masseschuldbegru¨ndungskompetenz an den
Schuldner
vor allem dann, wenn die Bestellung eines „starken“
oder „halbstarken“ vorla¨ufigen Insolvenzverwalters nach Lage
des Falles nicht erforderlich sei, um die Gla¨ubigerinteressen
wa¨hrend des Ero¨ffnungsverfahrens zu schu¨tzen, insbesondere
also bei Vorliegen eines Antrags auf Anordnung der Eigenver-
waltung und bereits jetzt mo¨glicher positiver Prognose
18
i. S. des
damaligen
19
§ 270 Abs. 2 Nr. 3 InsO. Rechtsgrundlage des den
Schuldner zur Begru¨ndung von Masseverbindlichkeiten erma¨ch-
tigenden Gerichtsbeschlusses sei die Generalklausel des § 21
Abs. 1 Satz 1 InsO
20
. Von ihr ko¨nne das Gericht Gebrauch ma-
chen, wenn und soweit es einer Masseschuldbegru¨ndungskom-
petenz des Schuldners bedu¨rfe, um „bis zur Entscheidung u¨ber
den [Insolvenz-]Antrag eine den Gla¨ubigern nachteilige Vera¨n-
derung in der Vermo¨genslage des Schuldners [der zur Fortfu¨h-
rung des Unternehmens auf Gescha¨ftspartner angewiesen ist] zu
verhu¨ten“. Erga¨nzend ero¨ffne § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO dem Ge-
richt die Mo¨glichkeit, die wirksame
Ausu¨ bung
einer dem Schuld-
ner verliehenen Masseschuldbegru¨ndungskompetenz in kriti-
schen Fa¨llen von der Zustimmung eines (idealerweise lediglich
mit den Rechten und Pflichten eines „Sachwalters“ auszustatten-
den
21
) vorla¨ufigen Insolvenzverwalters abha¨ngig zu machen
22
.
2. Konsequenzen fu¨r die Gegenwart
Die Feststellung, dass sowohl die Verleihung einer Masseschuld-
begru¨ndungskompetenz an den Schuldner als auch die Einset-
zung einer Kontrollinstanz mit den Rechten und Pflichten eines
(vorla¨ufigen) Sachwalters bereits vor Inkrafttreten des ESUG
allein schon aufgrund der Generalklausel des § 21 Abs. 1 Satz 1
InsO mo¨glich gewesen wa¨re, ist nach wie vor von erheblicher
praktischer Bedeutung. Denn das ESUG thematisiert die Verlei-
hung einer Masseschuldbegru¨ndungskompetenz an den noch im
Ero¨ffnungsverfahren stehenden Schuldner nur fu¨r die besondere
Situation des Schutzschirmverfahrens (§ 270b Abs. 3 InsO). Im
Zusammenhang mit der gegenwa¨rtig sehr kontrovers diskutier-
ten Frage, ob und wenn ja auf welcher Rechtsgrundlage und mit
welchen Beschra¨nkungen dem Schuldner auch in anderen eigen-
verwalteten Ero¨ffnungsverfahren – insbesondere in Fa¨llen des
§ 270a InsO – eine Masseschuldbegru¨ndungskompetenz verlie-
hen werden kann, fu¨hrt eine Ru¨ckbesinnung auf Gestaltungs-
10 Nicht ausreichend ist, dass das Insolvenzgericht lediglich i. S. des § 21
Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
Alt. 2
InsO bestimmt, „dass Verfu¨gungen des Schuldners
nur mit Zustimmung des vorla¨ufigen Insolvenzverwalters wirksam sind“. Das
folgt im Gegenschluss aus §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1, 22 Abs. 1 Satz 1
InsO und entspricht st. Rspr. seit BGH-Urteil vom 18. 7. 2002 – IX ZR
195/01, BGHZ 151 S. 353 = DB 2002 S. 2100 = NJW 2002 S. 3326 = NZI 2002
S. 543 = ZInsO 2002 S. 819 = KTS 2003 S. 138 = ZIP 2002 S. 1625.
11 Das erkennt und kritisiert auch
Pohlmann
, Befugnisse und Funktionen des
vorla¨ufigen Insolvenzverwalters, 1998, Rdn. 340 f.
12 So jedoch
Marotzke
, ZInsO 2004, 113, 117 ff, 178 ff. mit ausfu¨hrlicher Be-
gru¨ndung.
13 Grundlegend BGH vom 18. 7. 2002, a.a.O. (Fn. 10), BGHZ 151 S. 353
(365 ff.) = NJW 2002 S. 3326 (3329) = NZI 2002 S. 543 (546) = ZInsO 2002
S. 819 (822 f.) = KTS 2003 S. 138 (144) = ZIP 2002 S. 1625 (1629 f.) (ge-
ku¨rzt); vgl. auch BGH-Beschluss vom 16. 6. 2005 – IX ZB 264/03,
DB0115547 = ZIP 2005 S. 1372 f. = ZInsO 2005 S. 804 f.; AG Duisburg, Be-
schluss vom 28. 7. 2002 – 62 IN 167/02, ZIP 2002 S. 1700 f. = ZInsO 2002
S. 885 f. (geku¨rzt) m. Anm.
Pape
; wesentlich großzu¨giger
Marotzke
, ZInsO
2004 S. 113 (117 ff., 178 ff.).
14 Vgl. auch das Wort „erforderlich“ in § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO sowie insbeson-
dere BGH vom 18. 7. 2002, a.a.O. (Fn. 10), BGHZ 151 S. 353 (364) = NJW
2002 S. 3326 (3329) = ZInsO 2002 S. 819 (822) = ZIP 2002 S. 1625 (1628):
„In jedem Falle unterliegt die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen dem
Verha¨ltnisma¨ßigkeitsgrundsatz (vgl.
Lepa
, Insolvenzordnung und Verfas-
sungsrecht, 2002, S. 155 ff., insbes. S. 160 ff.): Soweit mildere Mittel ein-
zeln oder in Verbindung miteinander den Sicherungszweck hinreichend er-
fu¨llen, sind sie regelma¨ßig einschneidenderen vorzuziehen. Die Anordnung
unverha¨ltnisma¨ßiger Sicherungsmaßnahmen kann u. U. sogar eine Amtshaf-
tung begru¨nden (vgl. BGH-Beschluss vom 20. 3. 1986 – III ZR 55/85, NJW-
RR 1986 S. 1188 f.).“
15 Vgl. §§ 275 Abs. 1, 277 Abs. 1 Satz 3, 279 (i. V. mit § 55 Abs. 1 Nr. 2) InsO;
Landfermann
, in: Heidelberger Komm-InsO, 6. Aufl. 2011, § 277 Rdn. 10.
16 A. M. wohl
Pohlmann
, a.a.O. (Fn. 11), Rdn. 340 ff., 345 ff., der bei
Rdn. 333 ff., 614 lediglich die Mo¨glichkeit einer entsprechenden Rechts-
machtu¨bertragung auf einen nicht mit allgemeiner Verfu¨gungsmacht u¨ber
das Schuldnervermo¨gen ausgestatteten
vorla¨ufigen Insolvenzverwalter
in Be-
tracht zieht.
17
Marotzke
, a.a.O. (Fn. 8), S. 6 Rdn. 11;
ders
., ZInsO 2004 S. 113 (115 f., 118
Fn. 66). A¨ hnlich
Ahrendt/Struck
, ZInsO 1999 S. 450 ff. mit dem allerdings er-
heblichen Unterschied, dass dies rechtlich nur in der Weise mo¨glich sei, dass
das Entstehen einer Masseverbindlichkeit analog § 277 Abs. 1 Satz 3 InsO
von der Zustimmung des vorla¨ufigen Insolvenzverwalters (Zustimmungsver-
walters i. S. des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO) abha¨nge. Dabei wird je-
doch verkannt, dass die als Vergleichsmaßstab genommene Fa¨higkeit eines
im
Insolvenzverfahren befindlichen Schuldners, nach Anordnung der Eigen-
verwaltung (§ 270 InsO)
Masse
verbindlichkeiten zu begru¨nden, normaler-
weise nicht von der Zustimmung des Sachwalters abha¨ngt, sondern nur
durch gerichtliche Anordnung nach § 277 Abs. 1 Satz 1 InsO von dieser
abha¨ngig
gemacht
werden kann (vgl.
Uhlenbruck
, in: Uhlenbruck, InsO,
13. Aufl. 2010, § 275 Rdn. 2, 8, § 277 Rdn. 6;
Ringstmeier
, in: Ringstmeier/
Gehrlein/Ringstmeier, Anwaltskommentar InsO, 1. Aufl. 2012, § 275 Rdn. 5,
§ 277 Rdn. 1, 14, 19).
18 Dazu ausfu¨hrlich
Marotzke
, ZInsO 2004 S. 113 (115 f.) mit kritischer Wu¨rdi-
gung u. a. des tatsa¨chlichen gerichtlichen Vorgehens in der Insolvenz der
Babcock Borsig AG.
19 Das auf dem ESUG beruhende
neue
Recht hat die hier zu stellenden Anforde-
rungen deutlich abgesenkt; s. dazu unten III. 3. b).
20
Marotzke
, a.a.O. (Fn. 8), S. 6 f. Rdn. 11.
21
Marotzke
, ZInsO 2004 S. 113 (115, 180 Fn. 103) (hier mit dem erga¨nzenden
Vorschlag, an die Stelle der Bezeichnung „vorla¨ufiger Insolvenzverwalter“ die
Bezeichnung „Sachwalter“ zu setzen). Bereits vorher hatte
Kirchhof
darauf
hingewiesen, dass die Aufgaben eines „schwachen“ vorla¨ufigen Insolvenzver-
walters „je nach Bedarf auf diejenigen eines Sachwalters nach §§ 274 ff. ab-
gestimmt werden“ ko¨nnen (vgl.
Kirchhof
, in: Heidelberger Komm-InsO,
3. Aufl. 2003, § 22 Rdn. 5 sowie zuletzt 6. Aufl. 2011, § 22 Rdn. 6).
22
Marotzke
, a.a.O. (Fn. 8), S. 7 Rdn. 12;
ders
., ZInsO 2004 S. 113 (115, 117
Fn. 59, 180 Fn. 103).
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Wirtschaftsrecht
DER BETRIEB | Nr. 23 | 7. 6. 2013