DER BETRIEB 23 - page 60

dung des § 55 Abs. 3 InsO
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(gesetzlicher Rangru¨cktritt etwaiger
Regressanspru¨che der Bundesagentur fu¨r Arbeit und der Sozial-
versicherungstra¨ger) und des § 277 Abs. 1 Satz 2 InsO (perso¨n-
liche Haftung des der Begru¨ndung einer Masseverbindlichkeit
zustimmenden Sachwalters) ausdru¨cklich vorzuschreiben.
g) Exkurs: Vertragspartnerschutz bei prognosewidrigem Verfahrens-
ablauf
Nicht immer gehen alle Erwartungen, die sich mit gutgemeinten
Eigenverwaltungs- und Sanierungsprognosen verbinden, voll-
sta¨ndig in Erfu¨llung. Nachdem das auf dem ESUG beruhende
neue Recht die Voraussetzungen fu¨r die Anordnung der Eigen-
verwaltung fu¨r das
ero¨ffnete
Insolvenzverfahren deutlich abge-
senkt hat (§ 270 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 InsO) und eine die
angestrebte Eigenverwaltung versuchsweise
antizipierende
Ge-
staltung des Ero¨ffnungsverfahrens jetzt nur noch davon abha¨n-
gig sein soll, dass ein fu¨r den Fall der Verfahrensero¨ffnung ge-
stellter Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung bzw. eine
angestrebte Sanierung „nicht offensichtlich aussichtslos“ ist (vgl.
§§ 270a Abs. 1 Satz 1, 270b Abs. 1 Satz 1 und 3 InsO sowie er-
ga¨nzend unten III. 3.), sind bo¨se U¨ berraschungen nunmehr
noch weniger auszuschließen als nach bisherigem
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Recht. Zum
Schutz des Rechtsverkehrs sollte deshalb eine entsprechende
Anwendung auch des
§ 25 Abs. 2 InsO
in Betracht gezogen wer-
den. Auf diese Weise ko¨nnte klargestellt werden, dass ein
Schuldner, der im Ero¨ffnungsverfahren aufgrund seiner umfas-
senden, weil (noch) nicht durch gerichtliche Anordnungen
i. S. des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO beschra¨nkten Ver-
fu¨gungsmacht „wie ein starker vorla¨ufiger Insolvenzverwalter“
agieren konnte, im Fall spa¨terer Abweisung oder Ru¨cknahme
des Ero¨ffnungsantrags berechtigt und verpflichtet ist, die von
ihm aufgrund gerichtlicher General- oder Spezialerma¨chtigung
begru¨ndeten Masseverbindlichkeiten vorab zu erfu¨llen
50
. Ob
daru¨ber hinaus auch die mit flankierenden gerichtlichen An-
ordnungen i. S. von § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO verbundene
Bestellung eines vorla¨ufigen Insolvenzverwalters zu einer analo-
gen Anwendung des § 25 Abs. 2 InsO auf den dann weitgehend
entmachteten
Schuldner
berechtigt, ist hingegen zweifelhaft. In
solchen Fa¨llen ko¨nnte es mo¨glicherweise genu¨gen, die vom
Schuldner begru¨ndeten Masseverbindlichkeiten im Zusammen-
hang mit der Frage, ob
der vorla¨ufige Insolvenzverwalter
sie bei
Wegfall seiner Amtsstellung erfu¨llen muss, den Verbindlichkei-
ten gleichzustellen, die
dieser
aufgrund gesetzlicher (starker vor-
la¨ufiger Insolvenzverwalter) oder durch Gerichtsbeschluss verlie-
hener (schwacher vorla¨ufiger Insolvenzverwalter) Masseschuld-
begru¨ndungskompetenz begru¨ndet hat.
3. Voraussetzungen und Umfang einer Masseschuldbegru¨n-
dungskompetenz des Schuldners in sonstigen eigenverwal-
teten Ero¨ffnungsverfahren
a) Nicht § 270b Abs. 3, sondern § 21 Abs. 1 InsO
Die unter Gliederungspunkt III. 2. dargestellte Regelung des
§ 270b Abs. 3 InsO gilt aufgrund ihrer Verortung in § 270b InsO
nur im sog. Schutzschirmverfahren. Das Schutzschirmverfahren
ist ein Ero¨ffnungsverfahren besonderer Pra¨gung: Der Schuldner
muss nicht nur die Ero¨ffnung des Insolvenzverfahrens, sondern
auch die Anordnung der Eigenverwaltung beantragt haben
(§ 270b Abs. 1 Satz 1 InsO). Er muss eine nicht offensichtlich aus-
sichtslose Sanierung anstreben und mit Erfolg die Bestimmung
einer Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans beantragt haben
(§ 270b Abs. 1 Satz 1 InsO). Zudem muss der Schuldner „mit
dem Antrag eine mit Gru¨nden versehene Bescheinigung eines in
Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftspru¨fers
oder Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifi-
kation“ vorgelegt haben, aus der sich ergibt, „dass drohende Zah-
lungsunfa¨higkeit oder U¨ berschuldung, aber keine Zahlungsunfa¨-
higkeit vorliegt und die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich
aussichtslos ist“ (§ 270b Abs. 1 Satz 3 InsO). Das Insolvenzgericht
darf daraufhin keinen vorla¨ufigen Insolvenzverwalter, sondern nur
einen vorla¨ufigen Sachwalter bestellt haben, der nicht zugleich
Aussteller der vomSchuldner vorzulegenden „Bescheinigung“ sein
darf (§ 270b Abs. 2 Satz 1 InsO). Nur wenn alle diese Vorausset-
zungen erfu¨llt sind, „
hat
“ das Insolvenzgericht gem. § 270b Abs. 3
Satz 1 InsO auf Antrag des Schuldners anzuordnen, dass der
Schuldner Masseverbindlichkeiten begru¨ndet – wobei es nach
dem zuvor Ausgefu¨hrten Sache des Schuldners ist, ob er sich mit
einer „globalen“ Masseschuldbegru¨ndungskompetenz ausstatten
lassen oder lediglich von Fall zu Fall eine „Einzelerma¨chtigung“
erhalten mo¨chte
51
.
Sind die genannten Voraussetzungen hingegen
nicht
vollsta¨n-
dig erfu¨llt, ist eine gerichtliche Bindung an einen solchen Antrag
des Schuldners mangels rechtlicher Grundlage zu verneinen.
Das bedeutet jedoch nicht, dass das Insolvenzgericht wa¨hrend
eines Ero¨ffnungsverfahrens, das nicht die besonderen Vorausset-
zungen eines Schutzschirmverfahrens erfu¨llt, von Rechts wegen
gehindert wa¨re, den Schuldner zur Begru¨ndung von Massever-
bindlichkeiten zu erma¨chtigen
52
. In solchen Fa¨llen, insbesondere
wenn der Schuldner aus Zeit- und Kostengru¨nden auf die Ein-
holung der in § 270b Abs. 1 Satz 3 InsO erwa¨hnten Bescheini-
gung verzichten mo¨chte (was aber zur Folge ha¨tte, dass ihm
dann weder das in § 270b Abs. 2 Satz 2 InsO geregelte Recht
zur Auswahl des vorla¨ufigen Sachwalters noch ein Anspruch auf
Errichtung des „Schutzschirms“ zusta¨nde), kann die Verleihung
einer Masseschuldbegru¨ndungskompetenz als Ermessensent-
scheidung auf die Generalklausel des § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO
gestu¨tzt werden
53
. An dieser Mo¨glichkeit, die den Insolvenz-
48 In diesem Sinne bereits
Geißler
, ZInsO 2013 S. 531 (536 ff.).
49 Zur Rechtslage vor Inkrafttreten des ESUG s. o. II. 1. bei Fn. 18 f.
50
Marotzke
, ZInsO 2004 S. 113 (118, Fn. 66). Anders als beim starken vorla¨ufi-
gen Insolvenzverwalter stellt sich beim Schuldner allerdings die zusa¨tzliche
Frage, ob und ggfls. wie eine solche Verpflichtung auch gegenu¨ber Dritten
(insbesondere gegenu¨ber konkurrierenden anderen Gla¨ubigern) durch-
gesetzt werden kann.
51 S. oben III. 2. c).
52 Einen solchen Umkehrschluss zieht zu Unrecht AG Fulda vom 28. 3. 2012,
a.a.O. (Fn. 3); dessen Entscheidung im Ergebnis besta¨tigend LG Fulda, Be-
schluss vom 10. 4. 2012 – 5 T 65/12; die hiergegen eingelegte Rechts-
beschwerde unter Hinweis auf § 6 InsO als unstatthaft verwerfend BGH-Be-
schluss vom 7. 2. 2013 – IX ZB 43/12, DB 2013 S. 635 = ZInsO 2013 S. 460;
gegen diesen Umkehrschluss zutreffend AG Mu¨nchen, Beschluss vom 27. 6.
2012 – 1506 IN 1851/12, ZIP 2012 S. 1470;
Klinck
, ZIP 2013 S. 853 (859).
53 Die Zula¨ssigkeit auf
§ 21 Abs. 1 Satz 1 InsO
gestu¨tzter Erma¨chtigungs-
beschlu¨sse mit dem oben erwa¨hnten Inhalt (Masseschuldbegru¨ndungskom-
petenz nicht des Sachwalters, sondern des Schuldners) bereits vor Inkraft-
treten des ESUG bejahend
Schlegel
, a.a.O. (Fn. 6), S 58;
Marotzke
, a.a.O.
(Fn. 8), S. 5 ff. (Rdn. 10 ff.), 87 (Rdn. 163);
ders.
, ZInsO 2004 S. 113
(115 ff.); die Zula¨ssigkeit solcher auf § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO gestu¨tzter Er-
ma¨chtigungsbeschlu¨sse seit Inkrafttreten des ESUG fu¨r die Fa¨lle des § 270
a
InsO – in denen § 270b Abs. 3 InsO nicht anwendbar ist – ebenfalls beja-
hend AG Ko¨ln, Beschluss vom 26. 3. 2012 – 73 IN 125/12, NZI 2012 S. 375
= ZInsO 2012 S. 790 = ZIP 2012 S. 788; AG Mu¨nchen vom 27. 6. 2012, a.a.O.
(Fn. 54), ZIP 2012 S. 1470 f.; LG Duisburg, Beschluss vom 29. 11. 2012 – 7 T
185/12, ZInsO 2012 S. 2346 ff.;
Hofmann
, EWiR 2012 S. 359 f. (ad 3.2);
Zipperer
, EWiR 2012 S. 361 f. (ad 3.);
Klinck
, ZIP 2013 S. 853 (859 f.); i. E.
ebenso – die genaue Rechtsgrundlage allerdings offenlassend –
Buchalik/
Kraus
, ZInsO 2012 S. 2330 ff.; 2013 S. 815 ff., m. w. N. in Fn. 44; a. M. AG
Fulda vom 28. 3. 2012, a.a.O. (Fn. 3), ZIP 2012 S. 1471 ff. (dessen Entschei-
dung besta¨tigend LG Fulda vom 10. 4. 2012, a.a.O. (Fn. 52); die hiergegen
eingelegte Rechtsbeschwerde unter Hinweis auf § 6 InsO als unstatthaft ver-
werfend BGH vom 7. 2. 2013, a.a.O. (Fn. 52);
No¨ll
, ZInsO 2013 S. 745 (748);
ausweichend AG Montabaur vom 27. 12. 2012, a.a.O. (Fn. 37) mit dem sehr
mutigen (s. o. III. 2. b)) Argument, zur Begru¨ndung der Masseschuld-
begru¨ndungskompetenz des Schuldners genu¨ge es, dass das Insolvenzge-
richt fu¨r das Ero¨ffnungsverfahren „vorla¨ufige Eigenverwaltung“ anordne.
1288
Wirtschaftsrecht
DER BETRIEB | Nr. 23 | 7. 6. 2013
1...,50,51,52,53,54,55,56,57,58,59 61,62,63,64,65,66,67,68,69,70,...96
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