DER BETRIEB 23 - page 70

Gesetzgeberisches Ziel
9
I
cc)
Dieses Versta¨ndnis wird auch von dem gesetzgeberischen
Ziel getragen, die wirtschaftliche Ta¨tigkeit insolventer Unter-
nehmen einzuschra¨nken und die Zahlungsfa¨higkeit des Schuld-
ners mo¨glichst fru¨h abzukla¨ren
7
. So sollen auch die Verluste
reduziert werden, die Gla¨ubiger durch Insolvenzanfechtungen in
spa¨ter folgenden Insolvenzverfahren erleiden. Dieses Ziel wird
fu¨r die Fa¨lle genannt, in denen der Gla¨ubiger zuverla¨ssige
Kenntnis u¨ber das Vorliegen eines Insolvenzgrundes besitzt
8
.
Gerade in diesen Fa¨llen wird dem Gla¨ubiger die Glaubhaft-
machung eines Ero¨ffnungsgrundes aber oftmals mo¨glich sein.
Zur Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes
10
I
dd)
Die Glaubhaftmachung des Insolvenzgrundes muss
ohnehin nicht gerade durch Vorlage einer Bescheinigung u¨ber
einen erfolglosen Vollstreckungsversuch erfolgen; der antragstel-
lende Gla¨ubiger kann den Ero¨ffnungsgrund auch auf andere
Weise glaubhaft machen
9
. Es ist ausreichend, wenn der Gla¨ubi-
ger Indizien glaubhaft macht, die einzeln oder in ihrer Ha¨ufung
nach der allgemeinen Erfahrung den hinreichend sicheren
Schluss auf das Vorliegen eines Ero¨ffnungsgrundes zulassen
10
.
So stellt die Nichtabfu¨hrung von Sozialversicherungsbeitra¨gen
ein starkes Indiz dar, welches fu¨r den Eintritt der Zahlungsunfa¨-
higkeit spricht, weil diese Forderungen i. d. R. wegen der dro-
henden Strafbarkeit gem. § 266a StGB bis zuletzt bedient wer-
den
11
. Eine einmal nach außen in Erscheinung getretene Zah-
lungsunfa¨higkeit wirkt fort, sie kann nur dadurch wieder besei-
tigt werden, dass die geschuldeten Zahlungen an die Gesamtheit
der Gla¨ubiger wieder aufgenommen werden
12
.
Keine sekunda¨re Darlegungslast des Schuldners
11
I
ee)
Die auch im Fall des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO erforder-
liche Glaubhaftmachung eines Insolvenzgrundes kann nicht auf
eine (nicht erfu¨llte) sekunda¨re Darlegungslast des Schuldners fu¨r
seine Behauptung gestu¨tzt werden, der zuna¨chst glaubhaft ge-
macht gewesene Ero¨ffnungsgrund bestehe nicht
13
. Im Zulas-
sungsverfahren kann es auf entsprechende Darlegungen des
Schuldners nicht ankommen, weil das Insolvenzgericht zuna¨chst
nur die Zula¨ssigkeit des Ero¨ffnungsantrags pru¨ft
14
. Erst nach
Zulassung des Antrags erfolgt eine Anho¨rung des Schuldners
mit einer etwaigen Gegenglaubhaftmachung zu dem zula¨ssig-
keitsbegru¨ndenden Vorbringen nach § 14 Abs. 2 InsO
15
. Eine
sekunda¨re Darlegungslast des Schuldners kann deshalb nicht
angenommen werden.
Zur Wiederaufnahme der Zahlungen durch den Schuldner nach
einer einmal nach außen in Erscheinung getretenen Zahlungs-
unfa¨higkeit
12
I
b)
Unzutreffend ist demgegenu¨ber die Auffassung des Be-
schwerdegerichts, die aufgrund der Nichtabfu¨hrung der Sozial-
versicherungsbeitra¨ge u¨ber einen Zeitraum von 16 Monaten be-
stehende Indizwirkung fu¨r die Zahlungsunfa¨higkeit des Schuld-
ners
16
sei entfallen, weil der Schuldner die Gesamtforderung am
1. 6. 2011 in einer Summe vollsta¨ndig ausgeglichen und die
Gla¨ubigerin weitere Zahlungsru¨cksta¨nde nicht vorgetragen habe.
Die – wie glaubhaft gemacht – einmal nach außen in Erschei-
nung getretene Zahlungsunfa¨higkeit kann nur dadurch beseitigt
worden sein, dass der Schuldner seine Zahlungen insgesamt wie-
der aufgenommen hat
17
. Hierzu hat das Beschwerdegericht, das
auf Grundlage seiner Auffassung bislang von einer Anho¨rung
des Schuldners gem. § 14 Abs. 2 InsO abgesehen hat, nichts
festgestellt.
13
I
3.
Die Beschwerdeentscheidung erweist sich auch nicht aus
anderen Gru¨nden als richtig (§ 577 Abs. 3 ZPO).
Erforderlichkeit weiterer Feststellungen
14
I
a)
Das Beschwerdegericht hat keine na¨heren Feststellungen
zu dem durch die Gla¨ubigerin gem. § 14 Abs. 1 Satz 3 InsO
durch Angabe des Aktenzeichens glaubhaft gemachten Erstver-
fahren
18
getroffen. Es steht lediglich fest, dass dieses am 19. 11.
2010 erledigt worden ist. Als Erstantrag i. S. des § 14 Abs. 1
Satz 2 InsO sind auch solche Antra¨ge zu beru¨cksichtigen, die
bereits vor Inkrafttreten des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO gestellt
wurden
19
. Es ha¨tte deshalb weiterer Feststellungen dazu bedurft,
wann der Erstantrag gestellt worden ist. Dass dies innerhalb der
Zweijahresfrist des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO erfolgte, ist anhand
des Aktenzeichens aus 2010 glaubhaft gemacht.
Zum rechtlichen Interesse an der Aufrechterhaltung des Insol-
venzantrages
15
I
b)
Die Fortfu¨hrung des Verfahrens kann schließlich auch nicht
mit der Begru¨ndung ausgeschlossen werden, es fehle der Gla¨ubi-
gerin an einem rechtlichen Interesse an der Aufrechterhaltung
ihres Antrags
20
. Ein derartiges Interesse hat die Gla¨ubigerin zwar
nicht dargelegt und glaubhaft gemacht. Hierauf war die Gla¨ubige-
rin jedoch zuna¨chst hinzuweisen; ein fortdauerndes Rechtsschutz-
interesse bei Sozialversicherungstra¨gern wird i. d. R. anzunehmen
sein, wenn der Schuldner weiterhin Arbeitnehmer bescha¨ftigt
21
.
16
I
III.
Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben.
Er ist aufzuheben. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat nicht
mo¨glich; daher ist die Sache zuru¨ckzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO).
17
I
Das Insolvenzgericht wird nunmehr, falls ein zumindest statthafter
erster Insolvenzantrag binnen der Frist des § 14 Abs. 1 Satz 2 InsO
gestellt worden war, zu pru¨fen haben, ob die Gla¨ubigerin – nach ggf.
erga¨nzendem Vortrag – ein rechtliches Interesse an der Durchfu¨hrung
des Insolvenzverfahrens und den Ero¨ffnungsgrund glaubhaft gemacht
hat. Ist dies der Fall, ist der Schuldner zu ho¨ren und dem Verfahren
Fortgang zu geben.
7 Vgl. BT-Drucks. 17/3030 S. 42; BR-Drucks. 618/05 S. 14; BT-Drucks. 16/886
S. 11.
8 Vgl. BR-Drucks. 618/05 S. 14; BT-Drucks. 16/886 S. 11; BT-Drucks. 17/3030
S. 42.
9 BGH-Beschluss vom 5. 2. 2004 – IX ZB 29/03, DB0067629 = WM 2004
S. 1686 (1688); vom 23. 10. 2008 – IX ZB 7/08, DB0315084 = WuM 2009
S. 144, Rdn. 3; vom 12. 7. 2012 – IX ZB 264/11, DB0484395 = ZInsO 2012
S. 1418, Rdn. 9.
10
Schmahl
, in: Mu¨nchKomm-InsO, 2. Aufl., § 14 Rdn. 31, m. w. N.;
Pape
, a.a.O.
(Fn. 2), Rdn. 87 ff., m. w. N.;
Uhlenbruck
, InsO, 13. Aufl., § 14 Rdn. 80 ff.
11 BGH-Beschluss vom 13. 6. 2006 – IX ZB 238/05, DB 2006 S. 1725 = WM
2006 S. 1631, Rdn. 6; vom 28. 4. 2008 – II ZR 51/07, DB0291682 = ZInsO
2008 S. 1019, Rdn. 2.
12 BGH vom 13. 6. 2006, a.a.O. (Fn. 11), Rdn. 8.
13 So aber AG Ko¨ln vom 9. 5. 2011, a.a.O. (Fn. 4), ZInsO 2011 S. 1517;
Kaden-
bach
, in: Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 14 Rdn. 16.
14 Vgl.
Kirchhof
, in: Heidelberger Komm-InsO, 6. Aufl., § 14 Rdn. 42;
Pape
,
a.a.O. (Fn. 2), Rdn. 1, 149;
Uhlenbruck
, a.a.O. (Fn. 10), Rdn. 91 ff.
15 Vgl.
Pape
, a.a.O. (Fn. 2), Rdn. 1, 155 ff.;
Uhlenbruck
, a.a.O. (Fn. 10),
Rdn. 95 ff.
16 Vgl. BGH vom 13. 6. 2006, a.a.O. (Fn. 11), Rdn. 6; vom 28. 4. 2008, a.a.O.
(Fn. 11), Rdn. 2.
17 Vgl. BGH vom 13. 6. 2006, a.a.O. (Fn. 11), Rdn. 8.
18 Vgl.
Schmerbach
, a.a.O. (Fn. 2), § 14 Rdn. 88i;
Kadenbach
, a.a.O. (Fn. 13),
§ 14 Rdn. 15.
19 Vgl. LG Leipzig, Beschluss vom 16. 1. 2012 – 08 T 887/11, NZI 2012 S. 274
(275).
20 Vgl. BGH-Beschluss vom 12. 7. 2012 – IX ZB 18/12, DB 2012 S. 1922 = WM
2012 S. 1639, Rdn. 7; LG Freiburg, Beschluss vom 26. 3. 2012 – 3 T 50/12,
ZInsO 2012 S. 1232 f.;
Mo¨nning
, in: Nerlich/Ro¨mermann, InsO, 2012, § 14
Rdn. 91 ff.;
Wehr
, a.a.O. (Fn. 2), § 14 Rdn. 72;
Pape
, a.a.O. (Fn. 2), § 14
Rdn. 130 ff.;
Beth
, NZI 2012 S. 1 (2);
Marotzke
, ZInsO 2011 S. 841 (848 f.);
a. A.
Mu¨ller/Rautmann
, ZInsO 2013 S. 378 (379 f.).
21 BGH vom 12. 7. 2012, a.a.O. (Fn. 20), Rdn. 7.
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Wirtschaftsrecht
DER BETRIEB | Nr. 23 | 7. 6. 2013
1...,60,61,62,63,64,65,66,67,68,69 71,72,73,74,75,76,77,78,79,80,...96
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